Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite
9.

Aber es ist Zeit, auf einige andere Punkte aufmerk-
sam zu machen, durch deren Betrachtung, wie ich hoffe,
unsere Untersuchung wieder um einige Schritte weiter ge-
führt werden soll. Denn wenn die bisher durchgegange-
nen Stücke nur als eingefügt anzunehmen sind, so zeigen
sich nun auch eben in bedeutenden Punkten der Erzählung
einige bestimmte Anfänge einzelner Lieder, die aus der
Zeit, wo die Begebenheiten zwar wohl durch die Sage,
aber noch nicht durch die Form eines einzigen Epos ver-
knüpft waren, nachher in das letztere mit übergegan-
gen sind.

Dahin gehört in der zweiten Hälfte, von der wir noch
immer allein reden, gleich der Anfang (Z. 4585):
Daz was in einen ziten, do frou Helke erstarp,
Und daz der kunic Etzel umb ein' ander frouwen warp,
Do rieten sine frunde in der Burgonden lant
Z' einer stolzen witewen, du was frou Kriemhilt ge-
nant.

Etzel läßt sich darauf noch mehr von Kriemhild und ihren
Brüdern erzählen, das der Dichter, dem man nicht die
Künste unserer nachgeahmten Heldengedichte zuschreiben
darf, schwerlich so würde vorgetragen haben, wenn er
nicht auch uns erst mit jenen Personen bekannt machen
wollte.

Eine Stelle derselben Art (Z. 5705 ff.). Etzel hat seine
Boten nach Worms abgeschickt; wir wissen schon alle Um-
stände, alles was ihnen bestellt ist. Die Erzählung von
ihrer Fahrt, die ursprünglich einzeln stand, hebt an:

9.

Aber es iſt Zeit, auf einige andere Punkte aufmerk-
ſam zu machen, durch deren Betrachtung, wie ich hoffe,
unſere Unterſuchung wieder um einige Schritte weiter ge-
führt werden ſoll. Denn wenn die bisher durchgegange-
nen Stücke nur als eingefügt anzunehmen ſind, ſo zeigen
ſich nun auch eben in bedeutenden Punkten der Erzählung
einige beſtimmte Anfänge einzelner Lieder, die aus der
Zeit, wo die Begebenheiten zwar wohl durch die Sage,
aber noch nicht durch die Form eines einzigen Epos ver-
knüpft waren, nachher in das letztere mit übergegan-
gen ſind.

Dahin gehört in der zweiten Hälfte, von der wir noch
immer allein reden, gleich der Anfang (Z. 4585):
Daz was in einen ziten, do froͧ Helke erſtarp,
Und daz der ku̓nic Etzel umb ein’ ander froͧwen warp,
Do rieten ſine fru̓nde in der Burgonden lant
Z’ einer ſtolzen witewen, du̓ was froͧ Kriemhilt ge-
nant.

Etzel läßt ſich darauf noch mehr von Kriemhild und ihren
Brüdern erzählen, das der Dichter, dem man nicht die
Künſte unſerer nachgeahmten Heldengedichte zuſchreiben
darf, ſchwerlich ſo würde vorgetragen haben, wenn er
nicht auch uns erſt mit jenen Perſonen bekannt machen
wollte.

Eine Stelle derſelben Art (Z. 5705 ff.). Etzel hat ſeine
Boten nach Worms abgeſchickt; wir wiſſen ſchon alle Um-
ſtände, alles was ihnen beſtellt iſt. Die Erzählung von
ihrer Fahrt, die urſprünglich einzeln ſtand, hebt an:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0032" n="24"/>
      <div n="1">
        <head>9.</head><lb/>
        <p>Aber es i&#x017F;t Zeit, auf einige andere Punkte aufmerk-<lb/>
&#x017F;am zu machen, durch deren Betrachtung, wie ich hoffe,<lb/>
un&#x017F;ere Unter&#x017F;uchung wieder um einige Schritte weiter ge-<lb/>
führt werden &#x017F;oll. Denn wenn die bisher durchgegange-<lb/>
nen Stücke nur als eingefügt anzunehmen &#x017F;ind, &#x017F;o zeigen<lb/>
&#x017F;ich nun auch eben in bedeutenden Punkten der Erzählung<lb/>
einige be&#x017F;timmte Anfänge einzelner Lieder, die aus der<lb/>
Zeit, wo die Begebenheiten zwar wohl durch die Sage,<lb/>
aber noch nicht durch die Form eines einzigen Epos ver-<lb/>
knüpft waren, nachher in das letztere mit übergegan-<lb/>
gen &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>Dahin gehört in der zweiten Hälfte, von der wir noch<lb/>
immer allein reden, gleich der Anfang (Z. 4585):<lb/><quote xml:lang="gmh"><hi rendition="#et">Daz was in einen ziten, do fro&#x0367; Helke er&#x017F;tarp,</hi><lb/>
Und daz der ku&#x0313;nic Etzel umb ein&#x2019; ander fro&#x0367;wen warp,<lb/>
Do rieten &#x017F;ine fru&#x0313;nde in der Burgonden lant<lb/>
Z&#x2019; einer &#x017F;tolzen witewen, du&#x0313; was fro&#x0367; Kriemhilt ge-<lb/><hi rendition="#et2">nant.</hi></quote><lb/>
Etzel läßt &#x017F;ich darauf noch mehr von Kriemhild und ihren<lb/>
Brüdern erzählen, das der Dichter, dem man nicht die<lb/>
Kün&#x017F;te un&#x017F;erer nachgeahmten Heldengedichte zu&#x017F;chreiben<lb/>
darf, &#x017F;chwerlich &#x017F;o würde vorgetragen haben, wenn er<lb/>
nicht auch uns er&#x017F;t mit jenen Per&#x017F;onen bekannt machen<lb/>
wollte.</p><lb/>
        <p>Eine Stelle der&#x017F;elben Art (Z. 5705 ff.). Etzel hat &#x017F;eine<lb/>
Boten nach Worms abge&#x017F;chickt; wir wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chon alle Um-<lb/>
&#x017F;tände, alles was ihnen be&#x017F;tellt i&#x017F;t. Die Erzählung von<lb/>
ihrer Fahrt, die ur&#x017F;prünglich einzeln &#x017F;tand, hebt an:<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0032] 9. Aber es iſt Zeit, auf einige andere Punkte aufmerk- ſam zu machen, durch deren Betrachtung, wie ich hoffe, unſere Unterſuchung wieder um einige Schritte weiter ge- führt werden ſoll. Denn wenn die bisher durchgegange- nen Stücke nur als eingefügt anzunehmen ſind, ſo zeigen ſich nun auch eben in bedeutenden Punkten der Erzählung einige beſtimmte Anfänge einzelner Lieder, die aus der Zeit, wo die Begebenheiten zwar wohl durch die Sage, aber noch nicht durch die Form eines einzigen Epos ver- knüpft waren, nachher in das letztere mit übergegan- gen ſind. Dahin gehört in der zweiten Hälfte, von der wir noch immer allein reden, gleich der Anfang (Z. 4585): Daz was in einen ziten, do froͧ Helke erſtarp, Und daz der ku̓nic Etzel umb ein’ ander froͧwen warp, Do rieten ſine fru̓nde in der Burgonden lant Z’ einer ſtolzen witewen, du̓ was froͧ Kriemhilt ge- nant. Etzel läßt ſich darauf noch mehr von Kriemhild und ihren Brüdern erzählen, das der Dichter, dem man nicht die Künſte unſerer nachgeahmten Heldengedichte zuſchreiben darf, ſchwerlich ſo würde vorgetragen haben, wenn er nicht auch uns erſt mit jenen Perſonen bekannt machen wollte. Eine Stelle derſelben Art (Z. 5705 ff.). Etzel hat ſeine Boten nach Worms abgeſchickt; wir wiſſen ſchon alle Um- ſtände, alles was ihnen beſtellt iſt. Die Erzählung von ihrer Fahrt, die urſprünglich einzeln ſtand, hebt an:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/32
Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/32>, abgerufen am 21.11.2024.