§. 65. Die staatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge.
Denn Verwaltungsvorschriften, welche im Wege der Gesetzgebung erlassen sind, können auch nur im Wege der Gesetzgebung aufge- hoben werden 1).
Die Frage, welche Staatsverträge "in den Bereich der Reichs- gesetzgebung" eingreifen, ist demnach nicht im Allgemeinen nach unabänderlichen Kriterien zu beantworten, sondern immer nur nach dem momentanen Zustande der Reichsgesetzgebung. Jedes neue Gesetz kann einen Gegenstand, der bisher der freien Willensent- scheidung der Verwaltung überlassen war, "gesetzlich" regeln oder eine bisher in Geltung stehende gesetzliche Vorschrift aufheben und das freie Ermessen der Verwaltungsbehörden für maßgebend anerkennen; damit ändert sich immer zugleich auch der Kreis der Gegenstände, über welche Staatsverträge nur mit Genehmigung des Bundesrathes und Reichstages staatsrechtliche Geltung erlangen können.
Insoweit nun ein Gesetzesbefehl erforderlich ist, um einem Staatsvertrage staatsrechtliche Geltung zu verschaffen -- oder wenn man sich der verunglückten Fassung des Art. 11 Abs. 3 anschließen will -- insoweit die Verträge sich auf solche Gegenstände beziehen, welche nach Art. 4 in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören -- ist zum Erlaß und zur Wirksamkeit dieses Befehles Alles das- jenige erforderlich, was zum Zustandekommen eines gewöhnlichen Gesetzes gehört und die im §. 57 entwickelten Rechtssätze finden durchweg analoge Anwendung. Damit die im Staatsvertrage ent- haltenen Vorschriften gesetzliche Gültigkeit erlangen, bedarf es der Uebereinstimmung zwischen Bundesrath und Reichstag über ihren Inhalt, der Sanction, Promulgation und Publikation, und zwar nach folgenden Regeln:
1. Die Feststellung des Inhaltes.
Da nur der Kaiser die Verhandlungen über Staatsverträge durch seine Beamten führen lassen kann, so ergiebt sich, daß die Vorlage eines Staatsvertrages im Bundesrath immer nur vom Kaiser, niemals von einem anderen Bundesgliede erfolgen kann 2).
1) Vgl. §. 60 I. S. 95.
2) Selbstverständlich steht es aber jedem Mitgliede frei, den Abschluß eines Staatsvertrages in Anregung zu bringen, und einen Antrag zu stellen, daß der Bundesrath beschließen möge, den Kaiser zu ersuchen, die zur Herbeifüh- rung eines Vertrags-Abschlusses geeigneten Schritte zu veranlassen.
§. 65. Die ſtaatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge.
Denn Verwaltungsvorſchriften, welche im Wege der Geſetzgebung erlaſſen ſind, können auch nur im Wege der Geſetzgebung aufge- hoben werden 1).
Die Frage, welche Staatsverträge „in den Bereich der Reichs- geſetzgebung“ eingreifen, iſt demnach nicht im Allgemeinen nach unabänderlichen Kriterien zu beantworten, ſondern immer nur nach dem momentanen Zuſtande der Reichsgeſetzgebung. Jedes neue Geſetz kann einen Gegenſtand, der bisher der freien Willensent- ſcheidung der Verwaltung überlaſſen war, „geſetzlich“ regeln oder eine bisher in Geltung ſtehende geſetzliche Vorſchrift aufheben und das freie Ermeſſen der Verwaltungsbehörden für maßgebend anerkennen; damit ändert ſich immer zugleich auch der Kreis der Gegenſtände, über welche Staatsverträge nur mit Genehmigung des Bundesrathes und Reichstages ſtaatsrechtliche Geltung erlangen können.
Inſoweit nun ein Geſetzesbefehl erforderlich iſt, um einem Staatsvertrage ſtaatsrechtliche Geltung zu verſchaffen — oder wenn man ſich der verunglückten Faſſung des Art. 11 Abſ. 3 anſchließen will — inſoweit die Verträge ſich auf ſolche Gegenſtände beziehen, welche nach Art. 4 in den Bereich der Reichsgeſetzgebung gehören — iſt zum Erlaß und zur Wirkſamkeit dieſes Befehles Alles das- jenige erforderlich, was zum Zuſtandekommen eines gewöhnlichen Geſetzes gehört und die im §. 57 entwickelten Rechtsſätze finden durchweg analoge Anwendung. Damit die im Staatsvertrage ent- haltenen Vorſchriften geſetzliche Gültigkeit erlangen, bedarf es der Uebereinſtimmung zwiſchen Bundesrath und Reichstag über ihren Inhalt, der Sanction, Promulgation und Publikation, und zwar nach folgenden Regeln:
1. Die Feſtſtellung des Inhaltes.
Da nur der Kaiſer die Verhandlungen über Staatsverträge durch ſeine Beamten führen laſſen kann, ſo ergiebt ſich, daß die Vorlage eines Staatsvertrages im Bundesrath immer nur vom Kaiſer, niemals von einem anderen Bundesgliede erfolgen kann 2).
1) Vgl. §. 60 I. S. 95.
2) Selbſtverſtändlich ſteht es aber jedem Mitgliede frei, den Abſchluß eines Staatsvertrages in Anregung zu bringen, und einen Antrag zu ſtellen, daß der Bundesrath beſchließen möge, den Kaiſer zu erſuchen, die zur Herbeifüh- rung eines Vertrags-Abſchluſſes geeigneten Schritte zu veranlaſſen.
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§. 65. Die ſtaatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge.
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Die Frage, welche Staatsverträge „in den Bereich der Reichs-
geſetzgebung“ eingreifen, iſt demnach nicht im Allgemeinen nach
unabänderlichen Kriterien zu beantworten, ſondern immer nur nach
dem momentanen Zuſtande der Reichsgeſetzgebung. Jedes neue
Geſetz kann einen Gegenſtand, der bisher der freien Willensent-
ſcheidung der Verwaltung überlaſſen war, „geſetzlich“ regeln
oder eine bisher in Geltung ſtehende geſetzliche Vorſchrift aufheben
und das freie Ermeſſen der Verwaltungsbehörden für maßgebend
anerkennen; damit ändert ſich immer zugleich auch der Kreis der
Gegenſtände, über welche Staatsverträge nur mit Genehmigung
des Bundesrathes und Reichstages ſtaatsrechtliche Geltung erlangen
können.
Inſoweit nun ein Geſetzesbefehl erforderlich iſt, um einem
Staatsvertrage ſtaatsrechtliche Geltung zu verſchaffen — oder wenn
man ſich der verunglückten Faſſung des Art. 11 Abſ. 3 anſchließen
will — inſoweit die Verträge ſich auf ſolche Gegenſtände beziehen,
welche nach Art. 4 in den Bereich der Reichsgeſetzgebung gehören
— iſt zum Erlaß und zur Wirkſamkeit dieſes Befehles Alles das-
jenige erforderlich, was zum Zuſtandekommen eines gewöhnlichen
Geſetzes gehört und die im §. 57 entwickelten Rechtsſätze finden
durchweg analoge Anwendung. Damit die im Staatsvertrage ent-
haltenen Vorſchriften geſetzliche Gültigkeit erlangen, bedarf
es der Uebereinſtimmung zwiſchen Bundesrath und Reichstag über
ihren Inhalt, der Sanction, Promulgation und Publikation, und
zwar nach folgenden Regeln:
1. Die Feſtſtellung des Inhaltes.
Da nur der Kaiſer die Verhandlungen über Staatsverträge
durch ſeine Beamten führen laſſen kann, ſo ergiebt ſich, daß die
Vorlage eines Staatsvertrages im Bundesrath immer nur vom
Kaiſer, niemals von einem anderen Bundesgliede erfolgen kann 2).
1) Vgl. §. 60 I. S. 95.
2) Selbſtverſtändlich ſteht es aber jedem Mitgliede frei, den Abſchluß eines
Staatsvertrages in Anregung zu bringen, und einen Antrag zu ſtellen, daß
der Bundesrath beſchließen möge, den Kaiſer zu erſuchen, die zur Herbeifüh-
rung eines Vertrags-Abſchluſſes geeigneten Schritte zu veranlaſſen.
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/201>, abgerufen am 03.03.2025.
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