§. 53. Die Unentgeltlichkeit der Reichstags-Mitgliedschaft.
tritt nicht ipso jure ein und kein Gericht ist verpflichtet, eine gegen ein Reichstags-Mitglied schwebende Untersuchung bis nach der Schließung der Sitzungsperiode von Amts wegen auszusetzen; sondern es muß der Reichstag aus eigener Initiative von dem Recht des Art. 31 Abs. 3 Gebrauch machen und die Unterbrechung des Strafverfahrens "verlangen." Die Erfüllung dieses Verlangens erfolgt durch die Vermittelung des Reichskanzlers.
5) Wer ein Mitglied des Reichstages durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer strafbaren Handlung verhindert, sich an den Ort der Versammlung zu begeben oder zu stimmen, wird mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft bis zu zwei Jahren ein 1) R.-St.-G.-B. §. 106. Vgl. R.-V. Art. 74.
Diese Strafe tritt auch dann ein, wenn die Handlung von einem Beamten, wenn auch ohne Gewalt oder Drohung, aber durch Mißbrauch seiner Amtsgewalt oder Androhung eines bestimmten Mißbrauchs derselben begangen ist. R.-St.-G.-B. §. 339 Abs. 2.
§. 53. Die Unentgeltlichkeit der Reichstags-Mitgliedschaft.
"Die Mitglieder des Reichstags dürfen als solche keine Be- soldung oder Entschädigung beziehen." R.-V. Art 32. Die Mit- gliedschaft im Reichstag soll nach diesem Verfassungs-Grundsatz den Charakter einer ehrenamtlichen Funktion haben; die mit Ueber- nahme desselben verbundenen pekuniären Opfer und Lasten sollen den einzelnen Mitgliedern zufallen. Der Art. 32 ist aber eine lex imperfecta2); er droht keine Rechtsnachtheile demjenigen an, welcher als Mitglied des Reichstages eine Besoldung oder Ent- schädigung annimmt, oder welcher einem Mitgliede des Reichstages eine Vergütung gewährt. Weder ist der Verlust der Reichstags- Mitgliedschaft oder eine andere staatsrechtliche Folge an die Ver- letzung des Art. 32 geknüpft, noch hat das Strafgesetzbuch aus dieser Verletzung den Thatbestand einer strafbaren Handlung ge- macht 3). Wenn daher Mitglieder einer politischen Partei, ein
1) Vgl. hierzu John in v. Holtzendorff's Handbuch des Strafr. III. S. 81 fg.
2) Vgl. v. Martitz Betrachtungen S. 77. 78.
3) Durch Nichts begründet ist die Behauptung Thudichum's S. 209,
§. 53. Die Unentgeltlichkeit der Reichstags-Mitgliedſchaft.
tritt nicht ipso jure ein und kein Gericht iſt verpflichtet, eine gegen ein Reichstags-Mitglied ſchwebende Unterſuchung bis nach der Schließung der Sitzungsperiode von Amts wegen auszuſetzen; ſondern es muß der Reichstag aus eigener Initiative von dem Recht des Art. 31 Abſ. 3 Gebrauch machen und die Unterbrechung des Strafverfahrens „verlangen.“ Die Erfüllung dieſes Verlangens erfolgt durch die Vermittelung des Reichskanzlers.
5) Wer ein Mitglied des Reichstages durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer ſtrafbaren Handlung verhindert, ſich an den Ort der Verſammlung zu begeben oder zu ſtimmen, wird mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren oder mit Feſtungshaft von gleicher Dauer beſtraft. Sind mildernde Umſtände vorhanden, ſo tritt Feſtungshaft bis zu zwei Jahren ein 1) R.-St.-G.-B. §. 106. Vgl. R.-V. Art. 74.
Dieſe Strafe tritt auch dann ein, wenn die Handlung von einem Beamten, wenn auch ohne Gewalt oder Drohung, aber durch Mißbrauch ſeiner Amtsgewalt oder Androhung eines beſtimmten Mißbrauchs derſelben begangen iſt. R.-St.-G.-B. §. 339 Abſ. 2.
§. 53. Die Unentgeltlichkeit der Reichstags-Mitgliedſchaft.
„Die Mitglieder des Reichstags dürfen als ſolche keine Be- ſoldung oder Entſchädigung beziehen.“ R.-V. Art 32. Die Mit- gliedſchaft im Reichstag ſoll nach dieſem Verfaſſungs-Grundſatz den Charakter einer ehrenamtlichen Funktion haben; die mit Ueber- nahme deſſelben verbundenen pekuniären Opfer und Laſten ſollen den einzelnen Mitgliedern zufallen. Der Art. 32 iſt aber eine lex imperfecta2); er droht keine Rechtsnachtheile demjenigen an, welcher als Mitglied des Reichstages eine Beſoldung oder Ent- ſchädigung annimmt, oder welcher einem Mitgliede des Reichstages eine Vergütung gewährt. Weder iſt der Verluſt der Reichstags- Mitgliedſchaft oder eine andere ſtaatsrechtliche Folge an die Ver- letzung des Art. 32 geknüpft, noch hat das Strafgeſetzbuch aus dieſer Verletzung den Thatbeſtand einer ſtrafbaren Handlung ge- macht 3). Wenn daher Mitglieder einer politiſchen Partei, ein
1) Vgl. hierzu John in v. Holtzendorff’s Handbuch des Strafr. III. S. 81 fg.
2) Vgl. v. Martitz Betrachtungen S. 77. 78.
3) Durch Nichts begründet iſt die Behauptung Thudichum’s S. 209,
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§. 53. Die Unentgeltlichkeit der Reichstags-Mitgliedſchaft.
tritt nicht ipso jure ein und kein Gericht iſt verpflichtet, eine
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der Schließung der Sitzungsperiode von Amts wegen auszuſetzen;
ſondern es muß der Reichstag aus eigener Initiative von dem
Recht des Art. 31 Abſ. 3 Gebrauch machen und die Unterbrechung
des Strafverfahrens „verlangen.“ Die Erfüllung dieſes Verlangens
erfolgt durch die Vermittelung des Reichskanzlers.
5) Wer ein Mitglied des Reichstages durch Gewalt oder
durch Bedrohung mit einer ſtrafbaren Handlung verhindert, ſich
an den Ort der Verſammlung zu begeben oder zu ſtimmen, wird
mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren oder mit Feſtungshaft von gleicher
Dauer beſtraft. Sind mildernde Umſtände vorhanden, ſo tritt
Feſtungshaft bis zu zwei Jahren ein 1) R.-St.-G.-B. §. 106.
Vgl. R.-V. Art. 74.
Dieſe Strafe tritt auch dann ein, wenn die Handlung von
einem Beamten, wenn auch ohne Gewalt oder Drohung, aber durch
Mißbrauch ſeiner Amtsgewalt oder Androhung eines beſtimmten
Mißbrauchs derſelben begangen iſt. R.-St.-G.-B. §. 339 Abſ. 2.
§. 53. Die Unentgeltlichkeit der Reichstags-Mitgliedſchaft.
„Die Mitglieder des Reichstags dürfen als ſolche keine Be-
ſoldung oder Entſchädigung beziehen.“ R.-V. Art 32. Die Mit-
gliedſchaft im Reichstag ſoll nach dieſem Verfaſſungs-Grundſatz den
Charakter einer ehrenamtlichen Funktion haben; die mit Ueber-
nahme deſſelben verbundenen pekuniären Opfer und Laſten ſollen
den einzelnen Mitgliedern zufallen. Der Art. 32 iſt aber eine
lex imperfecta 2); er droht keine Rechtsnachtheile demjenigen an,
welcher als Mitglied des Reichstages eine Beſoldung oder Ent-
ſchädigung annimmt, oder welcher einem Mitgliede des Reichstages
eine Vergütung gewährt. Weder iſt der Verluſt der Reichstags-
Mitgliedſchaft oder eine andere ſtaatsrechtliche Folge an die Ver-
letzung des Art. 32 geknüpft, noch hat das Strafgeſetzbuch aus
dieſer Verletzung den Thatbeſtand einer ſtrafbaren Handlung ge-
macht 3). Wenn daher Mitglieder einer politiſchen Partei, ein
1) Vgl. hierzu John in v. Holtzendorff’s Handbuch des Strafr. III.
S. 81 fg.
2) Vgl. v. Martitz Betrachtungen S. 77. 78.
3) Durch Nichts begründet iſt die Behauptung Thudichum’s S. 209,
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 575. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/595>, abgerufen am 24.07.2024.
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