Der Zigeuner schnitt eine höhnische Fratze: Blitz und Mord! rief er, so wohlfeile Versprechen kann mir ein Jeder thun und mich ein paar Stunden um führen. Ich seh' schon wie's steht. Das Christen¬ thum hat, scheint's, auf einmal ein Loch gekriegt und, nach dem einen feurigen Backen zu schließen, gar noch einen Plätz auf das Loch.
Friedrich stieß einen Schrei aus, wie nur der tollste Jähzorn ihn eingeben kann, warf sich über den Zigeuner her und ließ ihn seine Faust aus Leibeskräften fühlen. Der Zigeuner war bloß darauf be¬ dacht, sein Fläschchen vor Schaden zu hüten, übrigens wehrte er sich nicht gegen die Schläge, die er in reichlichem Maße bekam, sondern brach statt dessen in ein schallendes Gelächter aus.
Bei diesem Lachen hielt Friedrich betroffen inne. Hund, was lachst? fragte er zornig.
Der Zigeuner schüttelte sich. Herzensbruder, sagte er, ich muß lachen, daß dich das Mitleid und der Jammer zum Prügeln treibt. So was ist mir noch nie vorgekommen.
Er leerte das Fläschchen auf Einen Zug, schleuderte es mit einem Juhu hoch empor, und während es klirrend zu Friedrich's Füßen nie¬ derfiel, schallte das Jodeln des Zigeuners schon aus einiger Ferne herüber. Verblüfft starrte ihm Friedrich nach.
3.
Es war inzwischen dunkel geworden. Friedrich wollte eben in's Haus zurückkehren, als er eine Gestalt herausschlüpfen sah, in der er seine Schwester Magdalene erkannte. Sie ging in das Gärtchen und er hörte sie dort am Brunnen Wasser pumpen; denn es ist eine un¬ löbliche Gewohnheit der Leute, das Wasser, das sie Morgens frisch haben könnten, Abends zu holen und über Nacht stehen zu lassen. Bald aber hielt sie in dieser Verrichtung inne und fing leise zu weinen an. Er wollte zu ihr treten, da kam jemand aus dem Hause nach¬ gegangen, horchte eine Weile umher, fuhr, ohne ihn zu be¬ merken, in's Gärtchen hinein, und die gellende Stimme der Stief¬
Der Zigeuner ſchnitt eine höhniſche Fratze: Blitz und Mord! rief er, ſo wohlfeile Verſprechen kann mir ein Jeder thun und mich ein paar Stunden um führen. Ich ſeh' ſchon wie's ſteht. Das Chriſten¬ thum hat, ſcheint's, auf einmal ein Loch gekriegt und, nach dem einen feurigen Backen zu ſchließen, gar noch einen Plätz auf das Loch.
Friedrich ſtieß einen Schrei aus, wie nur der tollſte Jähzorn ihn eingeben kann, warf ſich über den Zigeuner her und ließ ihn ſeine Fauſt aus Leibeskräften fühlen. Der Zigeuner war bloß darauf be¬ dacht, ſein Fläſchchen vor Schaden zu hüten, übrigens wehrte er ſich nicht gegen die Schläge, die er in reichlichem Maße bekam, ſondern brach ſtatt deſſen in ein ſchallendes Gelächter aus.
Bei dieſem Lachen hielt Friedrich betroffen inne. Hund, was lachſt? fragte er zornig.
Der Zigeuner ſchüttelte ſich. Herzensbruder, ſagte er, ich muß lachen, daß dich das Mitleid und der Jammer zum Prügeln treibt. So was iſt mir noch nie vorgekommen.
Er leerte das Fläſchchen auf Einen Zug, ſchleuderte es mit einem Juhu hoch empor, und während es klirrend zu Friedrich's Füßen nie¬ derfiel, ſchallte das Jodeln des Zigeuners ſchon aus einiger Ferne herüber. Verblüfft ſtarrte ihm Friedrich nach.
3.
Es war inzwiſchen dunkel geworden. Friedrich wollte eben in's Haus zurückkehren, als er eine Geſtalt herausſchlüpfen ſah, in der er ſeine Schweſter Magdalene erkannte. Sie ging in das Gärtchen und er hörte ſie dort am Brunnen Waſſer pumpen; denn es iſt eine un¬ löbliche Gewohnheit der Leute, das Waſſer, das ſie Morgens friſch haben könnten, Abends zu holen und über Nacht ſtehen zu laſſen. Bald aber hielt ſie in dieſer Verrichtung inne und fing leiſe zu weinen an. Er wollte zu ihr treten, da kam jemand aus dem Hauſe nach¬ gegangen, horchte eine Weile umher, fuhr, ohne ihn zu be¬ merken, in's Gärtchen hinein, und die gellende Stimme der Stief¬
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0055"n="39"/><p>Der Zigeuner ſchnitt eine höhniſche Fratze: Blitz und Mord! rief<lb/>
er, ſo wohlfeile Verſprechen kann mir ein Jeder thun und mich ein<lb/>
paar Stunden um führen. Ich ſeh' ſchon wie's ſteht. Das Chriſten¬<lb/>
thum hat, ſcheint's, auf einmal ein Loch gekriegt und, nach dem einen<lb/>
feurigen Backen zu ſchließen, gar noch einen Plätz auf das Loch.</p><lb/><p>Friedrich ſtieß einen Schrei aus, wie nur der tollſte Jähzorn ihn<lb/>
eingeben kann, warf ſich über den Zigeuner her und ließ ihn ſeine<lb/>
Fauſt aus Leibeskräften fühlen. Der Zigeuner war bloß darauf be¬<lb/>
dacht, ſein Fläſchchen vor Schaden zu hüten, übrigens wehrte er ſich<lb/>
nicht gegen die Schläge, die er in reichlichem Maße bekam, ſondern<lb/>
brach ſtatt deſſen in ein ſchallendes Gelächter aus.</p><lb/><p>Bei dieſem Lachen hielt Friedrich betroffen inne. Hund, was<lb/>
lachſt? fragte er zornig.</p><lb/><p>Der Zigeuner ſchüttelte ſich. Herzensbruder, ſagte er, ich muß<lb/>
lachen, daß dich das Mitleid und der Jammer zum Prügeln treibt.<lb/>
So was iſt mir noch nie vorgekommen.</p><lb/><p>Er leerte das Fläſchchen auf Einen Zug, ſchleuderte es mit einem<lb/>
Juhu hoch empor, und während es klirrend zu Friedrich's Füßen nie¬<lb/>
derfiel, ſchallte das Jodeln des Zigeuners ſchon aus einiger Ferne<lb/>
herüber. Verblüfft ſtarrte ihm Friedrich nach.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="1"><head>3.<lb/></head><p>Es war inzwiſchen dunkel geworden. Friedrich wollte eben in's<lb/>
Haus zurückkehren, als er eine Geſtalt herausſchlüpfen ſah, in der er<lb/>ſeine Schweſter Magdalene erkannte. Sie ging in das Gärtchen und<lb/>
er hörte ſie dort am Brunnen Waſſer pumpen; denn es iſt eine un¬<lb/>
löbliche Gewohnheit der Leute, das Waſſer, das ſie Morgens friſch<lb/>
haben könnten, Abends zu holen und über Nacht ſtehen zu laſſen.<lb/>
Bald aber hielt ſie in dieſer Verrichtung inne und fing leiſe zu weinen<lb/>
an. Er wollte zu ihr treten, da kam jemand aus dem Hauſe nach¬<lb/>
gegangen, horchte eine Weile umher, fuhr, ohne ihn zu be¬<lb/>
merken, in's Gärtchen hinein, und die gellende Stimme der Stief¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[39/0055]
Der Zigeuner ſchnitt eine höhniſche Fratze: Blitz und Mord! rief
er, ſo wohlfeile Verſprechen kann mir ein Jeder thun und mich ein
paar Stunden um führen. Ich ſeh' ſchon wie's ſteht. Das Chriſten¬
thum hat, ſcheint's, auf einmal ein Loch gekriegt und, nach dem einen
feurigen Backen zu ſchließen, gar noch einen Plätz auf das Loch.
Friedrich ſtieß einen Schrei aus, wie nur der tollſte Jähzorn ihn
eingeben kann, warf ſich über den Zigeuner her und ließ ihn ſeine
Fauſt aus Leibeskräften fühlen. Der Zigeuner war bloß darauf be¬
dacht, ſein Fläſchchen vor Schaden zu hüten, übrigens wehrte er ſich
nicht gegen die Schläge, die er in reichlichem Maße bekam, ſondern
brach ſtatt deſſen in ein ſchallendes Gelächter aus.
Bei dieſem Lachen hielt Friedrich betroffen inne. Hund, was
lachſt? fragte er zornig.
Der Zigeuner ſchüttelte ſich. Herzensbruder, ſagte er, ich muß
lachen, daß dich das Mitleid und der Jammer zum Prügeln treibt.
So was iſt mir noch nie vorgekommen.
Er leerte das Fläſchchen auf Einen Zug, ſchleuderte es mit einem
Juhu hoch empor, und während es klirrend zu Friedrich's Füßen nie¬
derfiel, ſchallte das Jodeln des Zigeuners ſchon aus einiger Ferne
herüber. Verblüfft ſtarrte ihm Friedrich nach.
3.
Es war inzwiſchen dunkel geworden. Friedrich wollte eben in's
Haus zurückkehren, als er eine Geſtalt herausſchlüpfen ſah, in der er
ſeine Schweſter Magdalene erkannte. Sie ging in das Gärtchen und
er hörte ſie dort am Brunnen Waſſer pumpen; denn es iſt eine un¬
löbliche Gewohnheit der Leute, das Waſſer, das ſie Morgens friſch
haben könnten, Abends zu holen und über Nacht ſtehen zu laſſen.
Bald aber hielt ſie in dieſer Verrichtung inne und fing leiſe zu weinen
an. Er wollte zu ihr treten, da kam jemand aus dem Hauſe nach¬
gegangen, horchte eine Weile umher, fuhr, ohne ihn zu be¬
merken, in's Gärtchen hinein, und die gellende Stimme der Stief¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/55>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.