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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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gar gewonnen, erfüllten die Stube mit Gelächter über die lustigen
Einfälle, die er zum besten gab. Die Bäuerin, nachdem sie den pein¬
lichen Theil des Gesprächs einmal überstanden und hinter sich liegen
hatte, suchte ihre Neugier zu befriedigen und ließ sich von seiner wei¬
ten Reise erzählen, wobei der kleine Wollkopf an seinen Lippen hing
und mit aufgerissenem Munde in die zunehmende Heiterkeit einstimmte,
die er so wenig begriff, als er zuvor den Jammer begriffen hatte.
Christine aber lehnte sich selig und durch kein elterliches Verbot ge¬
stört an ihren Liebsten an; es war ihr wie ein Traum, daß er ihrer
Unglücksahnung zum Trotze so bald wieder zurückgekommen und den¬
noch so lange für sie nicht auf der Welt gewesen war. Jetzt aber
war er ihr auf einmal wie ein Stern gerade in der schwärzesten Nacht
aufgegangen, und sie vergaß das Elend, das ihr vorhin so unüberseh¬
bar gedäucht hatte, vergaß, daß sie morgen vor dem geistlichen Gericht
erscheinen sollte, um sich zu verantworten wegen der Missethat, die sie
aus Liebe zu ihm begangen hatte.


18.

Morgens in aller Frühe war Friedrich schon wieder bei Christinen,
um ihr die Stunden der Angst bis zu dem Gange, den sie diesen
Vormittag anzutreten hatte, zu vertreiben, noch mehr aber um vor
der öffentlichen Erklärung, welche er zu geben beabsichtigte, jeder Un¬
terredung mit seinem Vater auszuweichen, der wirklich zu glauben schien,
er werde, in den Lauf der Welt sich fügend und von der Unmöglich¬
keit einer andern Handlungsweise übermannt, sein Mädchen die ganze
Verantwortlichkeit für das Geschehene allein tragen lassen.

Die gefürchtete Stunde war endlich angebrochen. Er nahm Chri¬
stinen an der Hand und führte sie mit tröstlichen Worten von ihren
Eltern fort. Arm in Arm ging er mit ihr durch den Flecken, und
die lachende Frühlingssonne, die zu dem Gange schien, bestärkte ihn
in dem Glauben, daß die himmlischen Mächte ob dieser Liebe nicht
zürnten. Er trat aufrecht wie ein Sieger neben Christinen einher, die

gar gewonnen, erfüllten die Stube mit Gelächter über die luſtigen
Einfälle, die er zum beſten gab. Die Bäuerin, nachdem ſie den pein¬
lichen Theil des Geſprächs einmal überſtanden und hinter ſich liegen
hatte, ſuchte ihre Neugier zu befriedigen und ließ ſich von ſeiner wei¬
ten Reiſe erzählen, wobei der kleine Wollkopf an ſeinen Lippen hing
und mit aufgeriſſenem Munde in die zunehmende Heiterkeit einſtimmte,
die er ſo wenig begriff, als er zuvor den Jammer begriffen hatte.
Chriſtine aber lehnte ſich ſelig und durch kein elterliches Verbot ge¬
ſtört an ihren Liebſten an; es war ihr wie ein Traum, daß er ihrer
Unglücksahnung zum Trotze ſo bald wieder zurückgekommen und den¬
noch ſo lange für ſie nicht auf der Welt geweſen war. Jetzt aber
war er ihr auf einmal wie ein Stern gerade in der ſchwärzeſten Nacht
aufgegangen, und ſie vergaß das Elend, das ihr vorhin ſo unüberſeh¬
bar gedäucht hatte, vergaß, daß ſie morgen vor dem geiſtlichen Gericht
erſcheinen ſollte, um ſich zu verantworten wegen der Miſſethat, die ſie
aus Liebe zu ihm begangen hatte.


18.

Morgens in aller Frühe war Friedrich ſchon wieder bei Chriſtinen,
um ihr die Stunden der Angſt bis zu dem Gange, den ſie dieſen
Vormittag anzutreten hatte, zu vertreiben, noch mehr aber um vor
der öffentlichen Erklärung, welche er zu geben beabſichtigte, jeder Un¬
terredung mit ſeinem Vater auszuweichen, der wirklich zu glauben ſchien,
er werde, in den Lauf der Welt ſich fügend und von der Unmöglich¬
keit einer andern Handlungsweiſe übermannt, ſein Mädchen die ganze
Verantwortlichkeit für das Geſchehene allein tragen laſſen.

Die gefürchtete Stunde war endlich angebrochen. Er nahm Chri¬
ſtinen an der Hand und führte ſie mit tröſtlichen Worten von ihren
Eltern fort. Arm in Arm ging er mit ihr durch den Flecken, und
die lachende Frühlingsſonne, die zu dem Gange ſchien, beſtärkte ihn
in dem Glauben, daß die himmliſchen Mächte ob dieſer Liebe nicht
zürnten. Er trat aufrecht wie ein Sieger neben Chriſtinen einher, die

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[183/0199] gar gewonnen, erfüllten die Stube mit Gelächter über die luſtigen Einfälle, die er zum beſten gab. Die Bäuerin, nachdem ſie den pein¬ lichen Theil des Geſprächs einmal überſtanden und hinter ſich liegen hatte, ſuchte ihre Neugier zu befriedigen und ließ ſich von ſeiner wei¬ ten Reiſe erzählen, wobei der kleine Wollkopf an ſeinen Lippen hing und mit aufgeriſſenem Munde in die zunehmende Heiterkeit einſtimmte, die er ſo wenig begriff, als er zuvor den Jammer begriffen hatte. Chriſtine aber lehnte ſich ſelig und durch kein elterliches Verbot ge¬ ſtört an ihren Liebſten an; es war ihr wie ein Traum, daß er ihrer Unglücksahnung zum Trotze ſo bald wieder zurückgekommen und den¬ noch ſo lange für ſie nicht auf der Welt geweſen war. Jetzt aber war er ihr auf einmal wie ein Stern gerade in der ſchwärzeſten Nacht aufgegangen, und ſie vergaß das Elend, das ihr vorhin ſo unüberſeh¬ bar gedäucht hatte, vergaß, daß ſie morgen vor dem geiſtlichen Gericht erſcheinen ſollte, um ſich zu verantworten wegen der Miſſethat, die ſie aus Liebe zu ihm begangen hatte. 18. Morgens in aller Frühe war Friedrich ſchon wieder bei Chriſtinen, um ihr die Stunden der Angſt bis zu dem Gange, den ſie dieſen Vormittag anzutreten hatte, zu vertreiben, noch mehr aber um vor der öffentlichen Erklärung, welche er zu geben beabſichtigte, jeder Un¬ terredung mit ſeinem Vater auszuweichen, der wirklich zu glauben ſchien, er werde, in den Lauf der Welt ſich fügend und von der Unmöglich¬ keit einer andern Handlungsweiſe übermannt, ſein Mädchen die ganze Verantwortlichkeit für das Geſchehene allein tragen laſſen. Die gefürchtete Stunde war endlich angebrochen. Er nahm Chri¬ ſtinen an der Hand und führte ſie mit tröſtlichen Worten von ihren Eltern fort. Arm in Arm ging er mit ihr durch den Flecken, und die lachende Frühlingsſonne, die zu dem Gange ſchien, beſtärkte ihn in dem Glauben, daß die himmliſchen Mächte ob dieſer Liebe nicht zürnten. Er trat aufrecht wie ein Sieger neben Chriſtinen einher, die

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/199>, abgerufen am 21.11.2024.