Nun, Meister Schwan, für diesmal ist Er christlich durchgekommen, straf' mich Gott! Ohne Willkomm und Abschied! Herr Gott von Dinkelsbühl, thut mir fast leid, daß ich Ihm nicht ein Paar aus dem ff auf sein gesundes Leder aufmessen darf, aus purer Freundschaft. Und dazu bloß ein halb Jahr! Aber ich hoff', so ein heißgräthiger Bursch' wie Er wird bald wieder das Heimweh nach unserer lustigen Karthaus' bekommen. Auf's Frühjahr spätestens, wenn die Bäum' ausschlagen, werden wir wieder die Ehre haben. Ich will derweil ein paar tüchtige Haselstöcke ins Wasser legen, damit sie den gehörigen Schwung und Zug kriegen zum Willkomm, wenn's heißen wird: "des Ebersbacher Sonnenwirths sein Gutedel ist wieder da." Adjes, Mei¬ ster Schwan, glückliche Reise und nichts für ungut.
Es war unter dem Thore des Ludwigsburger Zucht- und Arbeits¬ hauses, wo einer der Aufseher einem jungen Menschen dieses spöttische Lebewohl sagte. Dem untersetzten stämmigen Burschen konnte Niemand im Ernste den Meistertitel geben, denn er schien kaum zwanzig Jahre alt zu sein. Auch sah er sehr sauer zu der Ehrenbezeugung, die nicht gerade aus wohlwollendem Herzen kam; sein breites rothwangiges Ge¬ sicht spannte sich zu einem trotzigen Ausdruck, den eine tiefe Schramme auf der Stirne noch erhöhte. Er hielt die Augen wie aus Verachtung zu Boden geheftet, aber dann und wann schoß er seitwärts einen Blick hervor, der wie ein bloßes Messer funkelte. Der Aufseher gab ihm statt des "Abschieds", den er ihm gerne zugedacht hätte, einen derben Schlag auf die Schulter, und ging lachend hinweg. Der ent¬
D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 1
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Nun, Meiſter Schwan, für diesmal iſt Er chriſtlich durchgekommen, ſtraf' mich Gott! Ohne Willkomm und Abſchied! Herr Gott von Dinkelsbühl, thut mir faſt leid, daß ich Ihm nicht ein Paar aus dem ff auf ſein geſundes Leder aufmeſſen darf, aus purer Freundſchaft. Und dazu bloß ein halb Jahr! Aber ich hoff', ſo ein heißgräthiger Burſch' wie Er wird bald wieder das Heimweh nach unſerer luſtigen Karthauſ' bekommen. Auf's Frühjahr ſpäteſtens, wenn die Bäum' ausſchlagen, werden wir wieder die Ehre haben. Ich will derweil ein paar tüchtige Haſelſtöcke ins Waſſer legen, damit ſie den gehörigen Schwung und Zug kriegen zum Willkomm, wenn's heißen wird: „des Ebersbacher Sonnenwirths ſein Gutedel iſt wieder da.“ Adjes, Mei¬ ſter Schwan, glückliche Reiſe und nichts für ungut.
Es war unter dem Thore des Ludwigsburger Zucht- und Arbeits¬ hauſes, wo einer der Aufſeher einem jungen Menſchen dieſes ſpöttiſche Lebewohl ſagte. Dem unterſetzten ſtämmigen Burſchen konnte Niemand im Ernſte den Meiſtertitel geben, denn er ſchien kaum zwanzig Jahre alt zu ſein. Auch ſah er ſehr ſauer zu der Ehrenbezeugung, die nicht gerade aus wohlwollendem Herzen kam; ſein breites rothwangiges Ge¬ ſicht ſpannte ſich zu einem trotzigen Ausdruck, den eine tiefe Schramme auf der Stirne noch erhöhte. Er hielt die Augen wie aus Verachtung zu Boden geheftet, aber dann und wann ſchoß er ſeitwärts einen Blick hervor, der wie ein bloßes Meſſer funkelte. Der Aufſeher gab ihm ſtatt des „Abſchieds“, den er ihm gerne zugedacht hätte, einen derben Schlag auf die Schulter, und ging lachend hinweg. Der ent¬
D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 1
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Nun, Meiſter Schwan, für diesmal iſt Er chriſtlich durchgekommen,
ſtraf' mich Gott! Ohne Willkomm und Abſchied! Herr Gott von
Dinkelsbühl, thut mir faſt leid, daß ich Ihm nicht ein Paar aus dem
ff auf ſein geſundes Leder aufmeſſen darf, aus purer Freundſchaft.
Und dazu bloß ein halb Jahr! Aber ich hoff', ſo ein heißgräthiger
Burſch' wie Er wird bald wieder das Heimweh nach unſerer luſtigen
Karthauſ' bekommen. Auf's Frühjahr ſpäteſtens, wenn die Bäum'
ausſchlagen, werden wir wieder die Ehre haben. Ich will derweil
ein paar tüchtige Haſelſtöcke ins Waſſer legen, damit ſie den gehörigen
Schwung und Zug kriegen zum Willkomm, wenn's heißen wird: „des
Ebersbacher Sonnenwirths ſein Gutedel iſt wieder da.“ Adjes, Mei¬
ſter Schwan, glückliche Reiſe und nichts für ungut.
Es war unter dem Thore des Ludwigsburger Zucht- und Arbeits¬
hauſes, wo einer der Aufſeher einem jungen Menſchen dieſes ſpöttiſche
Lebewohl ſagte. Dem unterſetzten ſtämmigen Burſchen konnte Niemand
im Ernſte den Meiſtertitel geben, denn er ſchien kaum zwanzig Jahre
alt zu ſein. Auch ſah er ſehr ſauer zu der Ehrenbezeugung, die nicht
gerade aus wohlwollendem Herzen kam; ſein breites rothwangiges Ge¬
ſicht ſpannte ſich zu einem trotzigen Ausdruck, den eine tiefe Schramme
auf der Stirne noch erhöhte. Er hielt die Augen wie aus Verachtung
zu Boden geheftet, aber dann und wann ſchoß er ſeitwärts einen
Blick hervor, der wie ein bloßes Meſſer funkelte. Der Aufſeher gab
ihm ſtatt des „Abſchieds“, den er ihm gerne zugedacht hätte, einen
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/17>, abgerufen am 21.11.2024.
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