Daß unser Held vierundzwanzig Stunden nach diesem Briefe seinen Grundbesitz erworben haben würde, ahnte ihm in jenem Augenblicke nicht im mindesten noch. Der wichtigste Moment, der eigentliche Ziel- und Mittelpunkt seiner amerikanischen Reise überraschte ihn so -- wie die flüchtigste Episode eines Wandertags, ja, fast wie ein Stein des An¬ stoßes am Wege. Wir könnten das Ereigniß wieder aus seinen Briefen erzählen, haben aber Grund es diesmal nicht zu thun. Denn da es unmittelbar ein Act der Großmuth war, und unser Freund edel genug dachte, dieses Umstands mit keiner Sylbe zu erwähnen, so würde der Briefton nicht nur zur Wiedergabe der eigentlichen Ge¬ müthsfärbung nicht beitragen, sondern die geschichtliche Thatsache selbst wesentlich entformen.
Moorfeld ritt also von Pittsburg die schönen Ufer des Ohio hinab. Als er die Gränze Pennsylvaniens bei Beaver erreichte, las er in einem Localblatte dieser Stadt daß in einem benachbarten Orte, der aber schon dem Staate Ohio angehörte und sich sehr großartig Neu-Lissabon nannte, eine Landauction oder sogenannter Sheriff sale abgehalten würde. Um sich eine solche Scene "einstweilen", wie er dachte, mit anzusehen, wandte er nun in Beaver vom Flu߬ thale des Ohio sein Pferd ab und begab sich landeinwärts auf die Straße nach New-Lisbon. Bald verschwanden die Höhen des Ohio mit ihren laubreichen Eichwaldungen hinter seinem Rücken und das Land fing an, in niedrig gestreckten Hügelwellen sich abzuflachen. An die Stelle des Eichwuchses traten Weiden, Pappeln und Cypressen, welche einen Sumpfboden bewaldeten, der vielleicht fruchtbar, vielleicht auch ungesund war. Dazwischen lagen wie Inseln und Halbinseln dürre Sandstriche, die ihre sterile Natur in traurig-eintönigen Fichten¬ waldungen ausdrückten. Die Gegend war einsam und nichts verrieth die Nähe einer Stadt. Im halbgelichteten Walddunkel erblickte
Zweites Kapitel.
Daß unſer Held vierundzwanzig Stunden nach dieſem Briefe ſeinen Grundbeſitz erworben haben würde, ahnte ihm in jenem Augenblicke nicht im mindeſten noch. Der wichtigſte Moment, der eigentliche Ziel- und Mittelpunkt ſeiner amerikaniſchen Reiſe überraſchte ihn ſo — wie die flüchtigſte Epiſode eines Wandertags, ja, faſt wie ein Stein des An¬ ſtoßes am Wege. Wir könnten das Ereigniß wieder aus ſeinen Briefen erzählen, haben aber Grund es diesmal nicht zu thun. Denn da es unmittelbar ein Act der Großmuth war, und unſer Freund edel genug dachte, dieſes Umſtands mit keiner Sylbe zu erwähnen, ſo würde der Briefton nicht nur zur Wiedergabe der eigentlichen Ge¬ müthsfärbung nicht beitragen, ſondern die geſchichtliche Thatſache ſelbſt weſentlich entformen.
Moorfeld ritt alſo von Pittsburg die ſchönen Ufer des Ohio hinab. Als er die Gränze Pennſylvaniens bei Beaver erreichte, las er in einem Localblatte dieſer Stadt daß in einem benachbarten Orte, der aber ſchon dem Staate Ohio angehörte und ſich ſehr großartig Neu-Liſſabon nannte, eine Landauction oder ſogenannter Sheriff ſale abgehalten würde. Um ſich eine ſolche Scene „einſtweilen“, wie er dachte, mit anzuſehen, wandte er nun in Beaver vom Flu߬ thale des Ohio ſein Pferd ab und begab ſich landeinwärts auf die Straße nach New-Lisbon. Bald verſchwanden die Höhen des Ohio mit ihren laubreichen Eichwaldungen hinter ſeinem Rücken und das Land fing an, in niedrig geſtreckten Hügelwellen ſich abzuflachen. An die Stelle des Eichwuchſes traten Weiden, Pappeln und Cypreſſen, welche einen Sumpfboden bewaldeten, der vielleicht fruchtbar, vielleicht auch ungeſund war. Dazwiſchen lagen wie Inſeln und Halbinſeln dürre Sandſtriche, die ihre ſterile Natur in traurig-eintönigen Fichten¬ waldungen ausdrückten. Die Gegend war einſam und nichts verrieth die Nähe einer Stadt. Im halbgelichteten Walddunkel erblickte
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0318"n="300"/></div></div><divn="2"><head><hirendition="#b #g">Zweites Kapitel.</hi><lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Daß unſer Held vierundzwanzig Stunden nach dieſem Briefe ſeinen<lb/>
Grundbeſitz erworben haben würde, ahnte ihm in jenem Augenblicke<lb/>
nicht im mindeſten noch. Der wichtigſte Moment, der eigentliche Ziel-<lb/>
und Mittelpunkt ſeiner amerikaniſchen Reiſe überraſchte ihn ſo — wie die<lb/>
flüchtigſte Epiſode eines Wandertags, ja, faſt wie ein Stein des An¬<lb/>ſtoßes am Wege. Wir könnten das Ereigniß wieder aus ſeinen Briefen<lb/>
erzählen, haben aber Grund es diesmal nicht zu thun. Denn da es<lb/>
unmittelbar ein Act der Großmuth war, und unſer Freund edel<lb/>
genug dachte, dieſes Umſtands mit keiner Sylbe zu erwähnen, ſo<lb/>
würde der Briefton nicht nur zur Wiedergabe der eigentlichen Ge¬<lb/>
müthsfärbung nicht beitragen, ſondern die geſchichtliche Thatſache ſelbſt<lb/>
weſentlich entformen.</p><lb/><p>Moorfeld ritt alſo von Pittsburg die ſchönen Ufer des Ohio<lb/>
hinab. Als er die Gränze Pennſylvaniens bei Beaver erreichte, las<lb/>
er in einem Localblatte dieſer Stadt daß in einem benachbarten Orte,<lb/>
der aber ſchon dem Staate Ohio angehörte und ſich ſehr großartig<lb/>
Neu-Liſſabon nannte, eine Landauction oder ſogenannter <hirendition="#aq">Sheriff<lb/>ſale</hi> abgehalten würde. Um ſich eine ſolche Scene „einſtweilen“,<lb/>
wie er dachte, mit anzuſehen, wandte er nun in Beaver vom Flu߬<lb/>
thale des Ohio ſein Pferd ab und begab ſich landeinwärts auf die<lb/>
Straße nach New-Lisbon. Bald verſchwanden die Höhen des Ohio<lb/>
mit ihren laubreichen Eichwaldungen hinter ſeinem Rücken und das<lb/>
Land fing an, in niedrig geſtreckten Hügelwellen ſich abzuflachen. An<lb/>
die Stelle des Eichwuchſes traten Weiden, Pappeln und Cypreſſen,<lb/>
welche einen Sumpfboden bewaldeten, der vielleicht fruchtbar, vielleicht<lb/>
auch ungeſund war. Dazwiſchen lagen wie Inſeln und Halbinſeln<lb/>
dürre Sandſtriche, die ihre ſterile Natur in traurig-eintönigen Fichten¬<lb/>
waldungen ausdrückten. Die Gegend war einſam und nichts verrieth<lb/>
die Nähe einer Stadt. Im halbgelichteten Walddunkel erblickte<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[300/0318]
Zweites Kapitel.
Daß unſer Held vierundzwanzig Stunden nach dieſem Briefe ſeinen
Grundbeſitz erworben haben würde, ahnte ihm in jenem Augenblicke
nicht im mindeſten noch. Der wichtigſte Moment, der eigentliche Ziel-
und Mittelpunkt ſeiner amerikaniſchen Reiſe überraſchte ihn ſo — wie die
flüchtigſte Epiſode eines Wandertags, ja, faſt wie ein Stein des An¬
ſtoßes am Wege. Wir könnten das Ereigniß wieder aus ſeinen Briefen
erzählen, haben aber Grund es diesmal nicht zu thun. Denn da es
unmittelbar ein Act der Großmuth war, und unſer Freund edel
genug dachte, dieſes Umſtands mit keiner Sylbe zu erwähnen, ſo
würde der Briefton nicht nur zur Wiedergabe der eigentlichen Ge¬
müthsfärbung nicht beitragen, ſondern die geſchichtliche Thatſache ſelbſt
weſentlich entformen.
Moorfeld ritt alſo von Pittsburg die ſchönen Ufer des Ohio
hinab. Als er die Gränze Pennſylvaniens bei Beaver erreichte, las
er in einem Localblatte dieſer Stadt daß in einem benachbarten Orte,
der aber ſchon dem Staate Ohio angehörte und ſich ſehr großartig
Neu-Liſſabon nannte, eine Landauction oder ſogenannter Sheriff
ſale abgehalten würde. Um ſich eine ſolche Scene „einſtweilen“,
wie er dachte, mit anzuſehen, wandte er nun in Beaver vom Flu߬
thale des Ohio ſein Pferd ab und begab ſich landeinwärts auf die
Straße nach New-Lisbon. Bald verſchwanden die Höhen des Ohio
mit ihren laubreichen Eichwaldungen hinter ſeinem Rücken und das
Land fing an, in niedrig geſtreckten Hügelwellen ſich abzuflachen. An
die Stelle des Eichwuchſes traten Weiden, Pappeln und Cypreſſen,
welche einen Sumpfboden bewaldeten, der vielleicht fruchtbar, vielleicht
auch ungeſund war. Dazwiſchen lagen wie Inſeln und Halbinſeln
dürre Sandſtriche, die ihre ſterile Natur in traurig-eintönigen Fichten¬
waldungen ausdrückten. Die Gegend war einſam und nichts verrieth
die Nähe einer Stadt. Im halbgelichteten Walddunkel erblickte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/318>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.