Nun fragt es sich, wo alle diese Menschen und Thie- re geblieben sind? Und warum sie nicht eben so wie die Muscheln und Schnecken versteinert worden? Denn daß die Knochen der Thiere in Stein verwandelt werden kön- nen: siehet man aus den versteinerten Knochen, die man bisweilen in den härtesten Felsen antrift. Hieraus sehen meine Leser, wie wenig ich vor meine Meinungen einge- nommen bin. Ich gebe ihnen selbst die Waffen in die Hand, mit welchen sie mich bestreiten können, und da- mit sie desto weniger dran zweifeln, so will ich noch stär- kere Gründe anführen. Wir lesen in Missons Reise nach Italien von einem Seekrebs so bey Tivoli leben- dig mitten in einen Marmor gefunden worden, und Brand meldet, daß in Engelland ein gewisser Herr Muscheln ge- gessen, welche vermittelst eines Pfluges aus der Erde ge- ackert worden. Ja man will daselbst bey der Stadt Mold in Flintshire unterschiedene Muscheln ohngefehr drey Schuh tief im Kieß angetroffen haben, worinnen lebendi- ge Fische gewesen. Wenn dieses wahr ist, so weiß ich nicht, was ich dazu sagen soll. Dieses aber weiß ich, daß es keiner wissen wird, man müste es denn von einer bil- denden Kraft herleiten. Wenn man aber nur wüste, was dieses vor ein Ding wäre. Denn wenn ein solches Wort hinreichend seyn sollte, so wäre nichts leichter, als ein Na- turkündiger zu werden. Man dürfte denen Pferden eine Pferdemachende Kraft zuschreiben, wenn man gefragt wür- de wie es mit ihrer Erzeugung zugienge. Die Alten nenn- ten diese Zeugungskraft vim plasticam; und nun wissen wir, was es ist. In Wahrheit, wenn man dergleichen Wörter, welche Ursachen natürlicher Begebenheiten seyn sollen, und doch höchstens nichts als die Begebenheit selber andeuten, einen Eingang in die Wissenschaften verstat- ten wollte; so stünde zu befürchten, daß die Gelehrsam- keit in ein barbarisches Wörterbuch verwandelt werden
würde,
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in den alleraͤlteſten Zeiten.
§. 67.
Nun fragt es ſich, wo alle dieſe Menſchen und Thie- re geblieben ſind? Und warum ſie nicht eben ſo wie die Muſcheln und Schnecken verſteinert worden? Denn daß die Knochen der Thiere in Stein verwandelt werden koͤn- nen: ſiehet man aus den verſteinerten Knochen, die man bisweilen in den haͤrteſten Felſen antrift. Hieraus ſehen meine Leſer, wie wenig ich vor meine Meinungen einge- nommen bin. Ich gebe ihnen ſelbſt die Waffen in die Hand, mit welchen ſie mich beſtreiten koͤnnen, und da- mit ſie deſto weniger dran zweifeln, ſo will ich noch ſtaͤr- kere Gruͤnde anfuͤhren. Wir leſen in Miſſons Reiſe nach Italien von einem Seekrebs ſo bey Tivoli leben- dig mitten in einen Marmor gefunden worden, und Brand meldet, daß in Engelland ein gewiſſer Herr Muſcheln ge- geſſen, welche vermittelſt eines Pfluges aus der Erde ge- ackert worden. Ja man will daſelbſt bey der Stadt Mold in Flintshire unterſchiedene Muſcheln ohngefehr drey Schuh tief im Kieß angetroffen haben, worinnen lebendi- ge Fiſche geweſen. Wenn dieſes wahr iſt, ſo weiß ich nicht, was ich dazu ſagen ſoll. Dieſes aber weiß ich, daß es keiner wiſſen wird, man muͤſte es denn von einer bil- denden Kraft herleiten. Wenn man aber nur wuͤſte, was dieſes vor ein Ding waͤre. Denn wenn ein ſolches Wort hinreichend ſeyn ſollte, ſo waͤre nichts leichter, als ein Na- turkuͤndiger zu werden. Man duͤrfte denen Pferden eine Pferdemachende Kraft zuſchreiben, wenn man gefragt wuͤr- de wie es mit ihrer Erzeugung zugienge. Die Alten nenn- ten dieſe Zeugungskraft vim plaſticam; und nun wiſſen wir, was es iſt. In Wahrheit, wenn man dergleichen Woͤrter, welche Urſachen natuͤrlicher Begebenheiten ſeyn ſollen, und doch hoͤchſtens nichts als die Begebenheit ſelber andeuten, einen Eingang in die Wiſſenſchaften verſtat- ten wollte; ſo ſtuͤnde zu befuͤrchten, daß die Gelehrſam- keit in ein barbariſches Woͤrterbuch verwandelt werden
wuͤrde,
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in den alleraͤlteſten Zeiten.
§. 67.
Nun fragt es ſich, wo alle dieſe Menſchen und Thie-
re geblieben ſind? Und warum ſie nicht eben ſo wie die
Muſcheln und Schnecken verſteinert worden? Denn daß
die Knochen der Thiere in Stein verwandelt werden koͤn-
nen: ſiehet man aus den verſteinerten Knochen, die man
bisweilen in den haͤrteſten Felſen antrift. Hieraus ſehen
meine Leſer, wie wenig ich vor meine Meinungen einge-
nommen bin. Ich gebe ihnen ſelbſt die Waffen in die
Hand, mit welchen ſie mich beſtreiten koͤnnen, und da-
mit ſie deſto weniger dran zweifeln, ſo will ich noch ſtaͤr-
kere Gruͤnde anfuͤhren. Wir leſen in Miſſons Reiſe
nach Italien von einem Seekrebs ſo bey Tivoli leben-
dig mitten in einen Marmor gefunden worden, und Brand
meldet, daß in Engelland ein gewiſſer Herr Muſcheln ge-
geſſen, welche vermittelſt eines Pfluges aus der Erde ge-
ackert worden. Ja man will daſelbſt bey der Stadt Mold
in Flintshire unterſchiedene Muſcheln ohngefehr drey
Schuh tief im Kieß angetroffen haben, worinnen lebendi-
ge Fiſche geweſen. Wenn dieſes wahr iſt, ſo weiß ich
nicht, was ich dazu ſagen ſoll. Dieſes aber weiß ich, daß
es keiner wiſſen wird, man muͤſte es denn von einer bil-
denden Kraft herleiten. Wenn man aber nur wuͤſte, was
dieſes vor ein Ding waͤre. Denn wenn ein ſolches Wort
hinreichend ſeyn ſollte, ſo waͤre nichts leichter, als ein Na-
turkuͤndiger zu werden. Man duͤrfte denen Pferden eine
Pferdemachende Kraft zuſchreiben, wenn man gefragt wuͤr-
de wie es mit ihrer Erzeugung zugienge. Die Alten nenn-
ten dieſe Zeugungskraft vim plaſticam; und nun wiſſen
wir, was es iſt. In Wahrheit, wenn man dergleichen
Woͤrter, welche Urſachen natuͤrlicher Begebenheiten ſeyn
ſollen, und doch hoͤchſtens nichts als die Begebenheit ſelber
andeuten, einen Eingang in die Wiſſenſchaften verſtat-
ten wollte; ſo ſtuͤnde zu befuͤrchten, daß die Gelehrſam-
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wuͤrde,
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Krüger, Johann Gottlob: Geschichte der Erde in den allerältesten Zeiten. Halle, 1746, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krueger_weltweisheit_1746/135>, abgerufen am 24.02.2025.
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