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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

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Wahrnehmungen zu reproduciren, deren ganzer Inhalt sich aus den
durch Sprache und Schrift gelieferten Elementen erschöpft, sind die
sensorische Einprägung und die motorische Einübung untrennbar mit
einander verbunden. Wir können daher von vornherein gar nicht
sagen, welcher Ausfall der Lernversuche zu erwarten ist, wenn unsere
oben entwickelten Anschauungen über die Alkoholwirkung sich be-
wahrheiten sollen. Freilich war ich mir darüber vor Anstellung der
Versuche keineswegs klar, sondern die aus ihnen gewonnene Erfahrung
hat mich vielmehr erst nachträglich zu den hier wiedergegebenen
Ueberlegungen geführt. Ich setzte damals bestimmt voraus, dass die
Lernarbeit, die ich als eine schwierige associative Aufgabe ansah,
durch den Alkohol beträchtlich erschwert werde, und war daher nicht
wenig erstaunt, als mir persönlich der Versuch wenigstens im Beginne
deutlich das Gegentheil darthat. Allerdings kam es mir auch bei dieser
Gelegenheit ganz klar zum Bewusstsein, dass bei mir selbst das Aus-
wendiglernen eine rein motorische Einübung war. Ich wäre nicht im
Stande gewesen, eine der gelernten Reihen durch das Ansehen wieder-
zuerkennen, wol aber durch die Leichtigkeit, mit welcher ich die Reihen-
folge der in ihr symbolisirten Sprachbewegungen wiedergeben konnte.
Es ist mir somit nicht zweifelhaft, dass es sich für mich hier nicht um
eine sensorische, sondern ganz vorwiegend oder ausschliesslich um eine
motorische Arbeitsleistung handelte. Unter diesem Gesichtspunkte würde
natürlich der Ausfall meiner Versuche, die anfängliche Erleichterung
der Lernarbeit unter dem Einflusse des Alkohols, mit den bisher ge-
wonnenen Ergebnissen in bestem Einklange stehen. Wenn schon sehr
geringfügige Anstösse genügten, um eine Sprachbewegung auszulösen,
so begreift es sich, dass auch die Erneuerung des gleichen motorischen
Erregungsvorganges erleichtert war.

Diese Erfahrungen und Ueberlegungen sind es gewesen, welche
mir den Gedanken nahe gelegt haben, auch den Ausfall der übrigen
Lernversuche unter demselben Gesichtspunkte aufzufassen. Unter-
stützt wird dieses Bestreben durch die eigenthümlichen, früher ein-
gehend besprochenen Unterschiede in der Wiederholungsgeschwindigkeit,
welche ebenfalls auf eine Verschiedenheit in der Lerngewohnheit hinzu-
deuten scheinen. Einen Eindruck, den wir uns einprägen wollen,
pflegen wir möglichst lange und gründlich zu fixiren, indem wir langsam
von einem Elemente desselben zum andern übergehen, während die
Einübung einer Bewegung im Gegentheil durch recht häufige Wieder-
holung derselben von uns erstrebt wird. Grosse Wiederholungs-
geschwindigkeit würde somit auf Bevorzugung der motorischen, geringe

Wahrnehmungen zu reproduciren, deren ganzer Inhalt sich aus den
durch Sprache und Schrift gelieferten Elementen erschöpft, sind die
sensorische Einprägung und die motorische Einübung untrennbar mit
einander verbunden. Wir können daher von vornherein gar nicht
sagen, welcher Ausfall der Lernversuche zu erwarten ist, wenn unsere
oben entwickelten Anschauungen über die Alkoholwirkung sich be-
wahrheiten sollen. Freilich war ich mir darüber vor Anstellung der
Versuche keineswegs klar, sondern die aus ihnen gewonnene Erfahrung
hat mich vielmehr erst nachträglich zu den hier wiedergegebenen
Ueberlegungen geführt. Ich setzte damals bestimmt voraus, dass die
Lernarbeit, die ich als eine schwierige associative Aufgabe ansah,
durch den Alkohol beträchtlich erschwert werde, und war daher nicht
wenig erstaunt, als mir persönlich der Versuch wenigstens im Beginne
deutlich das Gegentheil darthat. Allerdings kam es mir auch bei dieser
Gelegenheit ganz klar zum Bewusstsein, dass bei mir selbst das Aus-
wendiglernen eine rein motorische Einübung war. Ich wäre nicht im
Stande gewesen, eine der gelernten Reihen durch das Ansehen wieder-
zuerkennen, wol aber durch die Leichtigkeit, mit welcher ich die Reihen-
folge der in ihr symbolisirten Sprachbewegungen wiedergeben konnte.
Es ist mir somit nicht zweifelhaft, dass es sich für mich hier nicht um
eine sensorische, sondern ganz vorwiegend oder ausschliesslich um eine
motorische Arbeitsleistung handelte. Unter diesem Gesichtspunkte würde
natürlich der Ausfall meiner Versuche, die anfängliche Erleichterung
der Lernarbeit unter dem Einflusse des Alkohols, mit den bisher ge-
wonnenen Ergebnissen in bestem Einklange stehen. Wenn schon sehr
geringfügige Anstösse genügten, um eine Sprachbewegung auszulösen,
so begreift es sich, dass auch die Erneuerung des gleichen motorischen
Erregungsvorganges erleichtert war.

Diese Erfahrungen und Ueberlegungen sind es gewesen, welche
mir den Gedanken nahe gelegt haben, auch den Ausfall der übrigen
Lernversuche unter demselben Gesichtspunkte aufzufassen. Unter-
stützt wird dieses Bestreben durch die eigenthümlichen, früher ein-
gehend besprochenen Unterschiede in der Wiederholungsgeschwindigkeit,
welche ebenfalls auf eine Verschiedenheit in der Lerngewohnheit hinzu-
deuten scheinen. Einen Eindruck, den wir uns einprägen wollen,
pflegen wir möglichst lange und gründlich zu fixiren, indem wir langsam
von einem Elemente desselben zum andern übergehen, während die
Einübung einer Bewegung im Gegentheil durch recht häufige Wieder-
holung derselben von uns erstrebt wird. Grosse Wiederholungs-
geschwindigkeit würde somit auf Bevorzugung der motorischen, geringe

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[186/0202] Wahrnehmungen zu reproduciren, deren ganzer Inhalt sich aus den durch Sprache und Schrift gelieferten Elementen erschöpft, sind die sensorische Einprägung und die motorische Einübung untrennbar mit einander verbunden. Wir können daher von vornherein gar nicht sagen, welcher Ausfall der Lernversuche zu erwarten ist, wenn unsere oben entwickelten Anschauungen über die Alkoholwirkung sich be- wahrheiten sollen. Freilich war ich mir darüber vor Anstellung der Versuche keineswegs klar, sondern die aus ihnen gewonnene Erfahrung hat mich vielmehr erst nachträglich zu den hier wiedergegebenen Ueberlegungen geführt. Ich setzte damals bestimmt voraus, dass die Lernarbeit, die ich als eine schwierige associative Aufgabe ansah, durch den Alkohol beträchtlich erschwert werde, und war daher nicht wenig erstaunt, als mir persönlich der Versuch wenigstens im Beginne deutlich das Gegentheil darthat. Allerdings kam es mir auch bei dieser Gelegenheit ganz klar zum Bewusstsein, dass bei mir selbst das Aus- wendiglernen eine rein motorische Einübung war. Ich wäre nicht im Stande gewesen, eine der gelernten Reihen durch das Ansehen wieder- zuerkennen, wol aber durch die Leichtigkeit, mit welcher ich die Reihen- folge der in ihr symbolisirten Sprachbewegungen wiedergeben konnte. Es ist mir somit nicht zweifelhaft, dass es sich für mich hier nicht um eine sensorische, sondern ganz vorwiegend oder ausschliesslich um eine motorische Arbeitsleistung handelte. Unter diesem Gesichtspunkte würde natürlich der Ausfall meiner Versuche, die anfängliche Erleichterung der Lernarbeit unter dem Einflusse des Alkohols, mit den bisher ge- wonnenen Ergebnissen in bestem Einklange stehen. Wenn schon sehr geringfügige Anstösse genügten, um eine Sprachbewegung auszulösen, so begreift es sich, dass auch die Erneuerung des gleichen motorischen Erregungsvorganges erleichtert war. Diese Erfahrungen und Ueberlegungen sind es gewesen, welche mir den Gedanken nahe gelegt haben, auch den Ausfall der übrigen Lernversuche unter demselben Gesichtspunkte aufzufassen. Unter- stützt wird dieses Bestreben durch die eigenthümlichen, früher ein- gehend besprochenen Unterschiede in der Wiederholungsgeschwindigkeit, welche ebenfalls auf eine Verschiedenheit in der Lerngewohnheit hinzu- deuten scheinen. Einen Eindruck, den wir uns einprägen wollen, pflegen wir möglichst lange und gründlich zu fixiren, indem wir langsam von einem Elemente desselben zum andern übergehen, während die Einübung einer Bewegung im Gegentheil durch recht häufige Wieder- holung derselben von uns erstrebt wird. Grosse Wiederholungs- geschwindigkeit würde somit auf Bevorzugung der motorischen, geringe

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Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/202>, abgerufen am 26.04.2024.