Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 1. Leipzig, 1798.Die Narcisse. Hat die Sonne dich doch, duftiges Mayenkind, Deiner Kammer entlockt, wo du so traulich schliefst, Wie im Schoosse der Mutter Leisaufathmend der Säugling schläft? Warum weiltest du nicht, züchtige Dufterin, In dem schirmenden Schooss? Drängtest dich kühn hervor, Und entschleierst den Winden Deine bebende Schwanenbrust? Ach, du lächelst mich an: "Ist mein Gewand nicht weiss? "Blüht mein Mund nicht so roth? Bin ich nicht lieb und hold? "Warum sollt' ich nicht kommen, "Da mir winken der May und Lenz?" Die Narcisse. Hat die Sonne dich doch, duftiges Mayenkind, Deiner Kammer entlockt, wo du so traulich schliefst, Wie im Schooſse der Mutter Leisaufathmend der Säugling schläft? Warum weiltest du nicht, züchtige Dufterin, In dem schirmenden Schooſs? Drängtest dich kühn hervor, Und entschleierst den Winden Deine bebende Schwanenbrust? Ach, du lächelst mich an: „Ist mein Gewand nicht weiſs? „Blüht mein Mund nicht so roth? Bin ich nicht lieb und hold? „Warum sollt' ich nicht kommen, „Da mir winken der May und Lenz?“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0199" n="157"/> <div n="2"> <head>Die Narcisse.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">H</hi>at die Sonne dich doch, duftiges Mayenkind,</l><lb/> <l>Deiner Kammer entlockt, wo du so traulich schliefst,</l><lb/> <l>Wie im Schooſse der Mutter</l><lb/> <l>Leisaufathmend der Säugling schläft?</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Warum weiltest du nicht, züchtige Dufterin,</l><lb/> <l>In dem schirmenden Schooſs? Drängtest dich kühn</l><lb/> <l>hervor,</l><lb/> <l>Und entschleierst den Winden</l><lb/> <l>Deine bebende Schwanenbrust?</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Ach, du lächelst mich an: „Ist mein Gewand nicht</l><lb/> <l>weiſs?</l><lb/> <l>„Blüht mein Mund nicht so roth? Bin ich nicht</l><lb/> <l>lieb und hold?</l><lb/> <l>„Warum sollt' ich nicht kommen,</l><lb/> <l>„Da mir winken der May und Lenz?“</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [157/0199]
Die Narcisse.
Hat die Sonne dich doch, duftiges Mayenkind,
Deiner Kammer entlockt, wo du so traulich schliefst,
Wie im Schooſse der Mutter
Leisaufathmend der Säugling schläft?
Warum weiltest du nicht, züchtige Dufterin,
In dem schirmenden Schooſs? Drängtest dich kühn
hervor,
Und entschleierst den Winden
Deine bebende Schwanenbrust?
Ach, du lächelst mich an: „Ist mein Gewand nicht
weiſs?
„Blüht mein Mund nicht so roth? Bin ich nicht
lieb und hold?
„Warum sollt' ich nicht kommen,
„Da mir winken der May und Lenz?“
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