In der großen Welt ist der oben entwickelte Grundsatz vorzüglich nicht ausser Augen zu lassen, nemlich daß jedermann nur so viel gilt, als er sich selbst gelten macht. Man zeige sich also frey, zuversichtlich, seiner Sache gewiß! Man lasse die Leute nicht einmal ahnden, daß es mög¬ lich wäre, man könne uns zurücksetzen, sich un¬ sers Umgangs schämen, in unsrer Gesellschaft Langeweile, haben! Hofleute und ihres Gleichen pflegen die Grade ihrer Höflichkeit und Auf¬ merksamkeit gegen uns darnach abzumessen, in welcher äussern Achtung wir in den vornehmen Cirkeln stehen. Man mache sich also da gelten, mache sich eine gewisse Aisance eigen, die man nur durch Uebung erlernt, die sehr unterschieden von Unverschämtheit, Zudringlichkeit und Prah¬ lerey ist, und die vorzüglich in einem ruhigen, leidenschaftsfreyen, anständigen, gleichmüthigen Betragen, das planlos und ohne Forderungen zu seyn scheint, besteht, und zu welchem man nie gelangt, wenn unsre Eitelkeit aller Orten Glanz sucht, und wenn im Grunde des Herzens un¬ ser eigener Beyfall uns nicht mehr werth ist, als die Bewunderung, womit leere Köpfe uns beehren.
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In der großen Welt iſt der oben entwickelte Grundſatz vorzuͤglich nicht auſſer Augen zu laſſen, nemlich daß jedermann nur ſo viel gilt, als er ſich ſelbſt gelten macht. Man zeige ſich alſo frey, zuverſichtlich, ſeiner Sache gewiß! Man laſſe die Leute nicht einmal ahnden, daß es moͤg¬ lich waͤre, man koͤnne uns zuruͤckſetzen, ſich un¬ ſers Umgangs ſchaͤmen, in unſrer Geſellſchaft Langeweile, haben! Hofleute und ihres Gleichen pflegen die Grade ihrer Hoͤflichkeit und Auf¬ merkſamkeit gegen uns darnach abzumeſſen, in welcher aͤuſſern Achtung wir in den vornehmen Cirkeln ſtehen. Man mache ſich alſo da gelten, mache ſich eine gewiſſe Aiſance eigen, die man nur durch Uebung erlernt, die ſehr unterſchieden von Unverſchaͤmtheit, Zudringlichkeit und Prah¬ lerey iſt, und die vorzuͤglich in einem ruhigen, leidenſchaftsfreyen, anſtaͤndigen, gleichmuͤthigen Betragen, das planlos und ohne Forderungen zu ſeyn ſcheint, beſteht, und zu welchem man nie gelangt, wenn unſre Eitelkeit aller Orten Glanz ſucht, und wenn im Grunde des Herzens un¬ ſer eigener Beyfall uns nicht mehr werth iſt, als die Bewunderung, womit leere Koͤpfe uns beehren.
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In der großen Welt iſt der oben entwickelte
Grundſatz vorzuͤglich nicht auſſer Augen zu laſſen,
nemlich daß jedermann nur ſo viel gilt, als er
ſich ſelbſt gelten macht. Man zeige ſich alſo
frey, zuverſichtlich, ſeiner Sache gewiß! Man
laſſe die Leute nicht einmal ahnden, daß es moͤg¬
lich waͤre, man koͤnne uns zuruͤckſetzen, ſich un¬
ſers Umgangs ſchaͤmen, in unſrer Geſellſchaft
Langeweile, haben! Hofleute und ihres Gleichen
pflegen die Grade ihrer Hoͤflichkeit und Auf¬
merkſamkeit gegen uns darnach abzumeſſen, in
welcher aͤuſſern Achtung wir in den vornehmen
Cirkeln ſtehen. Man mache ſich alſo da gelten,
mache ſich eine gewiſſe Aiſance eigen, die man
nur durch Uebung erlernt, die ſehr unterſchieden
von Unverſchaͤmtheit, Zudringlichkeit und Prah¬
lerey iſt, und die vorzuͤglich in einem ruhigen,
leidenſchaftsfreyen, anſtaͤndigen, gleichmuͤthigen
Betragen, das planlos und ohne Forderungen
zu ſeyn ſcheint, beſteht, und zu welchem man
nie gelangt, wenn unſre Eitelkeit aller Orten
Glanz ſucht, und wenn im Grunde des Herzens un¬
ſer eigener Beyfall uns nicht mehr werth iſt, als die
Bewunderung, womit leere Koͤpfe uns beehren.
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/79>, abgerufen am 03.12.2024.
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