Die Pflichten gegen uns selbst sind die wichtig¬ sten und ersten, und also der Umgang mit unsrer eigenen Person gewiß weder der unnützeste, noch uninteressanteste. Es ist daher nicht zu verzeyhn, wenn man sich immer unter andern Menschen umhertreibt, über den Umgang mit Menschen seine eigene Gesellschaft vernachlässigt, gleichsam vor sich selber zu fliehn scheint, sein eigenes Ich nicht cultiviert, und sich doch stets um fremde Handel bekümmert. Wer täglich her¬ umrennt, wird fremd in seinem eigenen Hause; Wer immer in Zerstreuungen lebt, wird fremd mit seinem eigenen Herzen, muß im Gedränge müßiger Leute seine innere Langeweile zu tödten trachten, büßt das Zutrauen zu sich selber ein, und ist verlegen, wenn er sich einmal vis a vis de foi-meme befindet. Wer nur solche Cirkel sucht, in welchen er geschmeichelt wird, verliehrt so sehr den Geschmack an der Stimme der Wahr¬ heit, daß er diese Stimme zuletzt nicht einmal
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Dreyzehntes Capittel.
Ueber den Umgang mit ſich ſelbſt.
1.
Die Pflichten gegen uns ſelbſt ſind die wichtig¬ ſten und erſten, und alſo der Umgang mit unſrer eigenen Perſon gewiß weder der unnuͤtzeſte, noch unintereſſanteſte. Es iſt daher nicht zu verzeyhn, wenn man ſich immer unter andern Menſchen umhertreibt, uͤber den Umgang mit Menſchen ſeine eigene Geſellſchaft vernachlaͤſſigt, gleichſam vor ſich ſelber zu fliehn ſcheint, ſein eigenes Ich nicht cultiviert, und ſich doch ſtets um fremde Handel bekuͤmmert. Wer taͤglich her¬ umrennt, wird fremd in ſeinem eigenen Hauſe; Wer immer in Zerſtreuungen lebt, wird fremd mit ſeinem eigenen Herzen, muß im Gedraͤnge muͤßiger Leute ſeine innere Langeweile zu toͤdten trachten, buͤßt das Zutrauen zu ſich ſelber ein, und iſt verlegen, wenn er ſich einmal vis à vis de foi-même befindet. Wer nur ſolche Cirkel ſucht, in welchen er geſchmeichelt wird, verliehrt ſo ſehr den Geſchmack an der Stimme der Wahr¬ heit, daß er dieſe Stimme zuletzt nicht einmal
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Dreyzehntes Capittel.
Ueber den Umgang mit ſich ſelbſt.
1.
Die Pflichten gegen uns ſelbſt ſind die wichtig¬
ſten und erſten, und alſo der Umgang mit unſrer
eigenen Perſon gewiß weder der unnuͤtzeſte,
noch unintereſſanteſte. Es iſt daher nicht zu
verzeyhn, wenn man ſich immer unter andern
Menſchen umhertreibt, uͤber den Umgang mit
Menſchen ſeine eigene Geſellſchaft vernachlaͤſſigt,
gleichſam vor ſich ſelber zu fliehn ſcheint, ſein
eigenes Ich nicht cultiviert, und ſich doch ſtets
um fremde Handel bekuͤmmert. Wer taͤglich her¬
umrennt, wird fremd in ſeinem eigenen Hauſe;
Wer immer in Zerſtreuungen lebt, wird fremd
mit ſeinem eigenen Herzen, muß im Gedraͤnge
muͤßiger Leute ſeine innere Langeweile zu toͤdten
trachten, buͤßt das Zutrauen zu ſich ſelber ein,
und iſt verlegen, wenn er ſich einmal vis à vis
de foi-même befindet. Wer nur ſolche Cirkel
ſucht, in welchen er geſchmeichelt wird, verliehrt
ſo ſehr den Geſchmack an der Stimme der Wahr¬
heit, daß er dieſe Stimme zuletzt nicht einmal
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/322>, abgerufen am 21.11.2024.
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