Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Vater aller lebendigen Wesen ist; daß ein
Thier eben so schmerzhaft, Mishandlung, bar¬
barischen Misbrauch größerer Stärke und Wehe
fühlt, als wir, und vielleicht noch lebhafter,
da seine ganze Existenz auf sinnliche Empfindun¬
gen beruht; daß diese Existenz vielleicht seine
erste Stufe ist, um, auf der Leiter der Schöpfung
dahinauf zu steigen, wo wir itzt stehen; daß
Grausamkeit gegen unvernünftige Wesen ohn¬
merklich zur Härte und Grausamkeit gegen unsre
vernünftigen Nebengeschöpfe führt -- Wenn
sie doch das alles fühlen, und ihr Herz dem sanf¬
ten Mitleiden gegen alle Creaturen eröfnen
wollten!

3.

Doch wünsche ich, man möge diese Ex¬
clamationen nicht auf die Rechnung einer abge¬
schmackten Empfindeley schreiben. Es giebt so
zarte Männlein und Weiblein, die gar kein
Blut sehn können, die zwar mit großem Apetit
ihr Rebhühnchen verzehren; aber ohnmächtig
werden würden, wenn sie eine Taube abschlach¬
ten sehn müssten; Leute, deren Federn und Zun¬
gen mit moralischem Gifte und Dolche den Freund

und

dem Vater aller lebendigen Weſen iſt; daß ein
Thier eben ſo ſchmerzhaft, Mishandlung, bar¬
bariſchen Misbrauch groͤßerer Staͤrke und Wehe
fuͤhlt, als wir, und vielleicht noch lebhafter,
da ſeine ganze Exiſtenz auf ſinnliche Empfindun¬
gen beruht; daß dieſe Exiſtenz vielleicht ſeine
erſte Stufe iſt, um, auf der Leiter der Schoͤpfung
dahinauf zu ſteigen, wo wir itzt ſtehen; daß
Grauſamkeit gegen unvernuͤnftige Weſen ohn¬
merklich zur Haͤrte und Grauſamkeit gegen unſre
vernuͤnftigen Nebengeſchoͤpfe fuͤhrt — Wenn
ſie doch das alles fuͤhlen, und ihr Herz dem ſanf¬
ten Mitleiden gegen alle Creaturen eroͤfnen
wollten!

3.

Doch wuͤnſche ich, man moͤge dieſe Ex¬
clamationen nicht auf die Rechnung einer abge¬
ſchmackten Empfindeley ſchreiben. Es giebt ſo
zarte Maͤnnlein und Weiblein, die gar kein
Blut ſehn koͤnnen, die zwar mit großem Apetit
ihr Rebhuͤhnchen verzehren; aber ohnmaͤchtig
werden wuͤrden, wenn ſie eine Taube abſchlach¬
ten ſehn muͤſſten; Leute, deren Federn und Zun¬
gen mit moraliſchem Gifte und Dolche den Freund

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0318" n="296"/>
dem Vater aller lebendigen We&#x017F;en i&#x017F;t; daß ein<lb/>
Thier eben &#x017F;o &#x017F;chmerzhaft, Mishandlung, bar¬<lb/>
bari&#x017F;chen Misbrauch gro&#x0364;ßerer Sta&#x0364;rke und Wehe<lb/>
fu&#x0364;hlt, als wir, und vielleicht noch lebhafter,<lb/>
da &#x017F;eine ganze Exi&#x017F;tenz auf &#x017F;innliche Empfindun¬<lb/>
gen beruht; daß die&#x017F;e Exi&#x017F;tenz vielleicht &#x017F;eine<lb/>
er&#x017F;te Stufe i&#x017F;t, um, auf der Leiter der Scho&#x0364;pfung<lb/>
dahinauf zu &#x017F;teigen, wo <hi rendition="#fr">wir</hi> itzt &#x017F;tehen; daß<lb/>
Grau&#x017F;amkeit gegen unvernu&#x0364;nftige We&#x017F;en ohn¬<lb/>
merklich zur Ha&#x0364;rte und Grau&#x017F;amkeit gegen un&#x017F;re<lb/>
vernu&#x0364;nftigen Nebenge&#x017F;cho&#x0364;pfe fu&#x0364;hrt &#x2014; Wenn<lb/>
&#x017F;ie doch das alles fu&#x0364;hlen, und ihr Herz dem &#x017F;anf¬<lb/>
ten Mitleiden gegen alle Creaturen ero&#x0364;fnen<lb/>
wollten!</p><lb/>
          </div>
          <div n="3">
            <head>3.<lb/></head>
            <p>Doch wu&#x0364;n&#x017F;che ich, man mo&#x0364;ge die&#x017F;e Ex¬<lb/>
clamationen nicht auf die Rechnung einer abge¬<lb/>
&#x017F;chmackten Empfindeley &#x017F;chreiben. Es giebt &#x017F;o<lb/>
zarte Ma&#x0364;nnlein und Weiblein, die gar kein<lb/>
Blut &#x017F;ehn ko&#x0364;nnen, die zwar mit großem Apetit<lb/>
ihr Rebhu&#x0364;hnchen verzehren; aber ohnma&#x0364;chtig<lb/>
werden wu&#x0364;rden, wenn &#x017F;ie eine Taube ab&#x017F;chlach¬<lb/>
ten &#x017F;ehn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;ten; Leute, deren Federn und Zun¬<lb/>
gen mit morali&#x017F;chem Gifte und Dolche den Freund<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[296/0318] dem Vater aller lebendigen Weſen iſt; daß ein Thier eben ſo ſchmerzhaft, Mishandlung, bar¬ bariſchen Misbrauch groͤßerer Staͤrke und Wehe fuͤhlt, als wir, und vielleicht noch lebhafter, da ſeine ganze Exiſtenz auf ſinnliche Empfindun¬ gen beruht; daß dieſe Exiſtenz vielleicht ſeine erſte Stufe iſt, um, auf der Leiter der Schoͤpfung dahinauf zu ſteigen, wo wir itzt ſtehen; daß Grauſamkeit gegen unvernuͤnftige Weſen ohn¬ merklich zur Haͤrte und Grauſamkeit gegen unſre vernuͤnftigen Nebengeſchoͤpfe fuͤhrt — Wenn ſie doch das alles fuͤhlen, und ihr Herz dem ſanf¬ ten Mitleiden gegen alle Creaturen eroͤfnen wollten! 3. Doch wuͤnſche ich, man moͤge dieſe Ex¬ clamationen nicht auf die Rechnung einer abge¬ ſchmackten Empfindeley ſchreiben. Es giebt ſo zarte Maͤnnlein und Weiblein, die gar kein Blut ſehn koͤnnen, die zwar mit großem Apetit ihr Rebhuͤhnchen verzehren; aber ohnmaͤchtig werden wuͤrden, wenn ſie eine Taube abſchlach¬ ten ſehn muͤſſten; Leute, deren Federn und Zun¬ gen mit moraliſchem Gifte und Dolche den Freund und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/318
Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/318>, abgerufen am 21.11.2024.