Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

lernen. Diesem weicht man nun freylich aus,
wenn man das befolgt, was ich im achten Ab¬
schnitte des ersten Capittels gesagt habe, nem¬
lich, daß man so wenig als möglich Wohlthaten
annehmen solle. Allein nicht immer lässt sich
das ändern, und wenn wir denn würklich in
die Verlegenheit kommen, einem schlechten Men¬
schen auf diese Art verpflichtet zu werden; so
rathe ich an, ihn wenigstens mit so viel Scho¬
nung zu behandeln, als mit Redlichkeit und
weiser Wahrheitsliebe bestehn kann, und zu
schweigen über ihn, doch nur in so fern Schwei¬
gen nicht Verbrechen ist, denn in diesem letz¬
tern Falle muß alle Rücksicht aufhören.

4.

Die Art, wie man Wohlthaten erzeigt,
ist oft mehr wehrt, als die Handlung selbst.
Man kann durch dieselbe den Preis jeder Gabe
erhöhn, so wie von der andern Seite ihr al¬
les Verdienst rauben. Wenig Menschen ver¬
stehen diese Kunst; Es ist aber wichtig, sie zu
studieren; auf edle Weise Gutes zu thun; die
Delicatesse Dessen zu schonen, dem wir es er¬
zeigen; keine schwere Last von Verbindlichkeit

auf¬
R 5

lernen. Dieſem weicht man nun freylich aus,
wenn man das befolgt, was ich im achten Ab¬
ſchnitte des erſten Capittels geſagt habe, nem¬
lich, daß man ſo wenig als moͤglich Wohlthaten
annehmen ſolle. Allein nicht immer laͤſſt ſich
das aͤndern, und wenn wir denn wuͤrklich in
die Verlegenheit kommen, einem ſchlechten Men¬
ſchen auf dieſe Art verpflichtet zu werden; ſo
rathe ich an, ihn wenigſtens mit ſo viel Scho¬
nung zu behandeln, als mit Redlichkeit und
weiſer Wahrheitsliebe beſtehn kann, und zu
ſchweigen uͤber ihn, doch nur in ſo fern Schwei¬
gen nicht Verbrechen iſt, denn in dieſem letz¬
tern Falle muß alle Ruͤckſicht aufhoͤren.

4.

Die Art, wie man Wohlthaten erzeigt,
iſt oft mehr wehrt, als die Handlung ſelbſt.
Man kann durch dieſelbe den Preis jeder Gabe
erhoͤhn, ſo wie von der andern Seite ihr al¬
les Verdienſt rauben. Wenig Menſchen ver¬
ſtehen dieſe Kunſt; Es iſt aber wichtig, ſie zu
ſtudieren; auf edle Weiſe Gutes zu thun; die
Delicateſſe Deſſen zu ſchonen, dem wir es er¬
zeigen; keine ſchwere Laſt von Verbindlichkeit

auf¬
R 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0295" n="265"/>
lernen. Die&#x017F;em weicht man nun freylich aus,<lb/>
wenn man das befolgt, was ich im achten Ab¬<lb/>
&#x017F;chnitte des er&#x017F;ten Capittels ge&#x017F;agt habe, nem¬<lb/>
lich, daß man &#x017F;o wenig als mo&#x0364;glich Wohlthaten<lb/>
annehmen &#x017F;olle. Allein nicht immer la&#x0364;&#x017F;&#x017F;t &#x017F;ich<lb/>
das a&#x0364;ndern, und wenn wir denn wu&#x0364;rklich in<lb/>
die Verlegenheit kommen, einem &#x017F;chlechten Men¬<lb/>
&#x017F;chen auf die&#x017F;e Art verpflichtet zu werden; &#x017F;o<lb/>
rathe ich an, ihn wenig&#x017F;tens mit &#x017F;o viel Scho¬<lb/>
nung zu behandeln, als mit Redlichkeit und<lb/>
wei&#x017F;er Wahrheitsliebe be&#x017F;tehn kann, und zu<lb/>
&#x017F;chweigen u&#x0364;ber ihn, doch nur in &#x017F;o fern Schwei¬<lb/>
gen nicht Verbrechen i&#x017F;t, denn in die&#x017F;em letz¬<lb/>
tern Falle muß alle Ru&#x0364;ck&#x017F;icht aufho&#x0364;ren.</p><lb/>
          </div>
          <div n="3">
            <head>4.<lb/></head>
            <p>Die Art, wie man Wohlthaten erzeigt,<lb/>
i&#x017F;t oft mehr wehrt, als die Handlung &#x017F;elb&#x017F;t.<lb/>
Man kann durch die&#x017F;elbe den Preis jeder Gabe<lb/>
erho&#x0364;hn, &#x017F;o wie von der andern Seite ihr al¬<lb/>
les Verdien&#x017F;t rauben. Wenig Men&#x017F;chen ver¬<lb/>
&#x017F;tehen die&#x017F;e Kun&#x017F;t; Es i&#x017F;t aber wichtig, &#x017F;ie zu<lb/>
&#x017F;tudieren; auf edle Wei&#x017F;e Gutes zu thun; die<lb/>
Delicate&#x017F;&#x017F;e De&#x017F;&#x017F;en zu &#x017F;chonen, dem wir es er¬<lb/>
zeigen; keine &#x017F;chwere La&#x017F;t von Verbindlichkeit<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">auf¬<lb/></fw> <fw place="bottom" type="sig">R 5<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[265/0295] lernen. Dieſem weicht man nun freylich aus, wenn man das befolgt, was ich im achten Ab¬ ſchnitte des erſten Capittels geſagt habe, nem¬ lich, daß man ſo wenig als moͤglich Wohlthaten annehmen ſolle. Allein nicht immer laͤſſt ſich das aͤndern, und wenn wir denn wuͤrklich in die Verlegenheit kommen, einem ſchlechten Men¬ ſchen auf dieſe Art verpflichtet zu werden; ſo rathe ich an, ihn wenigſtens mit ſo viel Scho¬ nung zu behandeln, als mit Redlichkeit und weiſer Wahrheitsliebe beſtehn kann, und zu ſchweigen uͤber ihn, doch nur in ſo fern Schwei¬ gen nicht Verbrechen iſt, denn in dieſem letz¬ tern Falle muß alle Ruͤckſicht aufhoͤren. 4. Die Art, wie man Wohlthaten erzeigt, iſt oft mehr wehrt, als die Handlung ſelbſt. Man kann durch dieſelbe den Preis jeder Gabe erhoͤhn, ſo wie von der andern Seite ihr al¬ les Verdienſt rauben. Wenig Menſchen ver¬ ſtehen dieſe Kunſt; Es iſt aber wichtig, ſie zu ſtudieren; auf edle Weiſe Gutes zu thun; die Delicateſſe Deſſen zu ſchonen, dem wir es er¬ zeigen; keine ſchwere Laſt von Verbindlichkeit auf¬ R 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/295
Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/295>, abgerufen am 20.12.2024.