fühls vorschreiben,' unsre unangenehme Lage vor dem mitempfindenden, zärtlich theilnehmen¬ den Freunde so viel möglich zu verbergen. Ich sage: so viel möglich, denn es können Fälle kommen, wo die Bedürfnisse des gepressten Herzens, sich zu entladen, zu groß, oder die liebreichen Anforderungen des Freundes, der den Kummer auf unsrer Stirne liest, zu drin¬ gend werden, wo länger zu schweigen Folter für uns, oder Beleidigung gegen den Vertraue¬ ten werden würde. In allen übrigen Fällen lasset uns der Ruhe unsers Freundes wie un¬ srer eigenen schonen! Das aber versteht sich, daß hier nicht von Gelegenheiten die Rede ist, wo sein Rath oder seine Hülfe uns retten kann -- Was wäre Freundschaft, wenn man da schwiege?
9.
Klagt Dir ein Freund seine Noth, seine Schmerzen; so höre ihn mit Theilnehmung an! Halte Dich nicht mit moralischen Gemeinsprü¬ chen auf, mit Bemerkungen über das, was anders hätte seyn, und was er hätte ver¬ meiden können, da es doch einmal nicht an¬
ders
fuͤhls vorſchreiben,' unſre unangenehme Lage vor dem mitempfindenden, zaͤrtlich theilnehmen¬ den Freunde ſo viel moͤglich zu verbergen. Ich ſage: ſo viel moͤglich, denn es koͤnnen Faͤlle kommen, wo die Beduͤrfniſſe des gepreſſten Herzens, ſich zu entladen, zu groß, oder die liebreichen Anforderungen des Freundes, der den Kummer auf unſrer Stirne lieſt, zu drin¬ gend werden, wo laͤnger zu ſchweigen Folter fuͤr uns, oder Beleidigung gegen den Vertraue¬ ten werden wuͤrde. In allen uͤbrigen Faͤllen laſſet uns der Ruhe unſers Freundes wie un¬ ſrer eigenen ſchonen! Das aber verſteht ſich, daß hier nicht von Gelegenheiten die Rede iſt, wo ſein Rath oder ſeine Huͤlfe uns retten kann — Was waͤre Freundſchaft, wenn man da ſchwiege?
9.
Klagt Dir ein Freund ſeine Noth, ſeine Schmerzen; ſo hoͤre ihn mit Theilnehmung an! Halte Dich nicht mit moraliſchen Gemeinſpruͤ¬ chen auf, mit Bemerkungen uͤber das, was anders haͤtte ſeyn, und was er haͤtte ver¬ meiden koͤnnen, da es doch einmal nicht an¬
ders
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fuͤhls vorſchreiben,' unſre unangenehme Lage
vor dem mitempfindenden, zaͤrtlich theilnehmen¬
den Freunde ſo viel moͤglich zu verbergen. Ich
ſage: ſo viel moͤglich, denn es koͤnnen Faͤlle
kommen, wo die Beduͤrfniſſe des gepreſſten
Herzens, ſich zu entladen, zu groß, oder die
liebreichen Anforderungen des Freundes, der
den Kummer auf unſrer Stirne lieſt, zu drin¬
gend werden, wo laͤnger zu ſchweigen Folter
fuͤr uns, oder Beleidigung gegen den Vertraue¬
ten werden wuͤrde. In allen uͤbrigen Faͤllen
laſſet uns der Ruhe unſers Freundes wie un¬
ſrer eigenen ſchonen! Das aber verſteht ſich,
daß hier nicht von Gelegenheiten die Rede iſt,
wo ſein Rath oder ſeine Huͤlfe uns retten kann
— Was waͤre Freundſchaft, wenn man da
ſchwiege?
9.
Klagt Dir ein Freund ſeine Noth, ſeine
Schmerzen; ſo hoͤre ihn mit Theilnehmung an!
Halte Dich nicht mit moraliſchen Gemeinſpruͤ¬
chen auf, mit Bemerkungen uͤber das, was
anders haͤtte ſeyn, und was er haͤtte ver¬
meiden koͤnnen, da es doch einmal nicht an¬
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/274>, abgerufen am 22.02.2025.
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