sten Glückseligkeiten bey solcher Verbindung, die Austauschung von Ideen und Meinungen, die Mittheilung verschwisterter Gefühle, die Berichtigung dunkler Ahndungen und Zurecht¬ weisung in wichtigen Fällen alsdann weg, wenn unser Freund sich durchaus nicht in unsre Lage hineindenken kann, wenn ihm unsre Empfin¬ dungen gänzlich fremd sind? Es giebt Leute, die man nur bewundern darf, an welche man immer hinaufschauen muß, und diese Men¬ schen verehrt man, aber -- man liebt sie nicht, oder man verzweifelt wenigstens daran, von ihnen wieder geliebt zu werden. In der Freund¬ schaft müssen beyde Theile gleichviel geben und empfangen können. Jedes zu große Ueberge¬ wicht von Einer Seite, alles was die Glei¬ chung hebt, stöhrt die Freundschaft.
3.
Warum haben sehr vornehme und sehr reiche Leute so wenig wahren Sinn für Freund¬ schaft? Sie fühlen weniger Seelen-Bedürfniß. Ihre Leidenschaften zu befriedigen; rauschen¬ den, betäubenden Freuden nachzurennen; im¬ mer zu geniessen; geschmeichelt, gelobt, geehrt
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ſten Gluͤckſeligkeiten bey ſolcher Verbindung, die Austauſchung von Ideen und Meinungen, die Mittheilung verſchwiſterter Gefuͤhle, die Berichtigung dunkler Ahndungen und Zurecht¬ weiſung in wichtigen Faͤllen alsdann weg, wenn unſer Freund ſich durchaus nicht in unſre Lage hineindenken kann, wenn ihm unſre Empfin¬ dungen gaͤnzlich fremd ſind? Es giebt Leute, die man nur bewundern darf, an welche man immer hinaufſchauen muß, und dieſe Men¬ ſchen verehrt man, aber — man liebt ſie nicht, oder man verzweifelt wenigſtens daran, von ihnen wieder geliebt zu werden. In der Freund¬ ſchaft muͤſſen beyde Theile gleichviel geben und empfangen koͤnnen. Jedes zu große Ueberge¬ wicht von Einer Seite, alles was die Glei¬ chung hebt, ſtoͤhrt die Freundſchaft.
3.
Warum haben ſehr vornehme und ſehr reiche Leute ſo wenig wahren Sinn fuͤr Freund¬ ſchaft? Sie fuͤhlen weniger Seelen-Beduͤrfniß. Ihre Leidenſchaften zu befriedigen; rauſchen¬ den, betaͤubenden Freuden nachzurennen; im¬ mer zu genieſſen; geſchmeichelt, gelobt, geehrt
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ſten Gluͤckſeligkeiten bey ſolcher Verbindung,
die Austauſchung von Ideen und Meinungen,
die Mittheilung verſchwiſterter Gefuͤhle, die
Berichtigung dunkler Ahndungen und Zurecht¬
weiſung in wichtigen Faͤllen alsdann weg, wenn
unſer Freund ſich durchaus nicht in unſre Lage
hineindenken kann, wenn ihm unſre Empfin¬
dungen gaͤnzlich fremd ſind? Es giebt Leute,
die man nur bewundern darf, an welche man
immer hinaufſchauen muß, und dieſe Men¬
ſchen verehrt man, aber — man liebt ſie nicht,
oder man verzweifelt wenigſtens daran, von
ihnen wieder geliebt zu werden. In der Freund¬
ſchaft muͤſſen beyde Theile gleichviel geben und
empfangen koͤnnen. Jedes zu große Ueberge¬
wicht von Einer Seite, alles was die Glei¬
chung hebt, ſtoͤhrt die Freundſchaft.
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Warum haben ſehr vornehme und ſehr
reiche Leute ſo wenig wahren Sinn fuͤr Freund¬
ſchaft? Sie fuͤhlen weniger Seelen-Beduͤrfniß.
Ihre Leidenſchaften zu befriedigen; rauſchen¬
den, betaͤubenden Freuden nachzurennen; im¬
mer zu genieſſen; geſchmeichelt, gelobt, geehrt
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/263>, abgerufen am 22.02.2025.
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