Das Gefühl der Schutzbedürftigkeit und die Ueberzeugung, daß der Mann ein Wesen seyn müsse, das fähig sey, diesen Schutz zu verleyhn, ist von der Natur auch denen Frauen eingepflanzt, die Stärke und Entschlossenheit genug haben, sich selbst zu schützen. Desfalls fühlen auch weichgeschaffene Damen eine Art von Widerwillen gegen äusserst schwächliche, gebrechliche Männer. Sie können herzliches Mitleid empfinden gegen Leidende, zum Bey¬ spiel gegen Verwundete, Kranke, und derglei¬ chen; aber eigentliche, bleibende Infirmitäten, die den freyen Gebrauch der Kräfte hemmen, werden die Zuneigung, selbst des sittsamsten Weibes, von Dir abwendig machen.
5.
Man hat oft den Damen vorgeworfen, daß sie sich vorzüglich vor ausschweifende Leute interessirten. Wenn das wahr ist; so kann ich doch nicht etwas durchaus Anstößiges dar¬ inn finden. Sind sie, bey dem Bewusstseyn eigener Schwäche, toleranter als wir; so macht das ihrem Herzen Ehre; Allein wir Männer
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4.
Das Gefuͤhl der Schutzbeduͤrftigkeit und die Ueberzeugung, daß der Mann ein Weſen ſeyn muͤſſe, das faͤhig ſey, dieſen Schutz zu verleyhn, iſt von der Natur auch denen Frauen eingepflanzt, die Staͤrke und Entſchloſſenheit genug haben, ſich ſelbſt zu ſchuͤtzen. Desfalls fuͤhlen auch weichgeſchaffene Damen eine Art von Widerwillen gegen aͤuſſerſt ſchwaͤchliche, gebrechliche Maͤnner. Sie koͤnnen herzliches Mitleid empfinden gegen Leidende, zum Bey¬ ſpiel gegen Verwundete, Kranke, und derglei¬ chen; aber eigentliche, bleibende Infirmitaͤten, die den freyen Gebrauch der Kraͤfte hemmen, werden die Zuneigung, ſelbſt des ſittſamſten Weibes, von Dir abwendig machen.
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Man hat oft den Damen vorgeworfen, daß ſie ſich vorzuͤglich vor ausſchweifende Leute intereſſirten. Wenn das wahr iſt; ſo kann ich doch nicht etwas durchaus Anſtoͤßiges dar¬ inn finden. Sind ſie, bey dem Bewuſſtſeyn eigener Schwaͤche, toleranter als wir; ſo macht das ihrem Herzen Ehre; Allein wir Maͤnner
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4.
Das Gefuͤhl der Schutzbeduͤrftigkeit und
die Ueberzeugung, daß der Mann ein Weſen
ſeyn muͤſſe, das faͤhig ſey, dieſen Schutz zu
verleyhn, iſt von der Natur auch denen Frauen
eingepflanzt, die Staͤrke und Entſchloſſenheit
genug haben, ſich ſelbſt zu ſchuͤtzen. Desfalls
fuͤhlen auch weichgeſchaffene Damen eine Art
von Widerwillen gegen aͤuſſerſt ſchwaͤchliche,
gebrechliche Maͤnner. Sie koͤnnen herzliches
Mitleid empfinden gegen Leidende, zum Bey¬
ſpiel gegen Verwundete, Kranke, und derglei¬
chen; aber eigentliche, bleibende Infirmitaͤten,
die den freyen Gebrauch der Kraͤfte hemmen,
werden die Zuneigung, ſelbſt des ſittſamſten
Weibes, von Dir abwendig machen.
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Man hat oft den Damen vorgeworfen,
daß ſie ſich vorzuͤglich vor ausſchweifende Leute
intereſſirten. Wenn das wahr iſt; ſo kann
ich doch nicht etwas durchaus Anſtoͤßiges dar¬
inn finden. Sind ſie, bey dem Bewuſſtſeyn
eigener Schwaͤche, toleranter als wir; ſo macht
das ihrem Herzen Ehre; Allein wir Maͤnner
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/208>, abgerufen am 22.02.2025.
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