des Seelen-Bedürfnisses, wo man sich nach der theilnehmenden Gefärthinn sehnt, wenn schwere Bürden das Herz drücken, die kein Fremder so uns tragen hilft, oder wenn Freu¬ den jedes Gefäß in uns erweitern, Freuden, die kein Fremder so mit uns theilt, oder Ver¬ legenheiten uns aufstoßen, die man keinem Fremden so aufrichtig, so sicher entdecken darf, als der Person, die einerley Interesse mit uns hat; Und dann ein Blick auf wohlerzogene, durch gemeinschaftliche Sorgfalt erzogene Kin¬ der, auf die Früchte der ersten jugendlichen Liebe! -- und das Herz kehrt ohngezwungen zu den süßesten Pflichten zurück.
8.
Uebrigens aber kann nichts abgeschmack¬ ter, läppischer, lästiger, von verkehrterer Wür¬ kung seyn, noch was mehr das Leben verbittert, als wenn Eheleute durch die priesterliche Ein¬ segnung ein so ausschliessendes Recht auf jede Empfindung des Herzens von einander erzwun¬ gen zu haben glauben, daß sie wähnen, nun dürfe in diesem Herzen auch nicht ein Plätzgen mehr für irgend einen andern guten Menschen übrig bleiben, der Gatte müsse tod seyn für seine
Freun¬
des Seelen-Beduͤrfniſſes, wo man ſich nach der theilnehmenden Gefaͤrthinn ſehnt, wenn ſchwere Buͤrden das Herz druͤcken, die kein Fremder ſo uns tragen hilft, oder wenn Freu¬ den jedes Gefaͤß in uns erweitern, Freuden, die kein Fremder ſo mit uns theilt, oder Ver¬ legenheiten uns aufſtoßen, die man keinem Fremden ſo aufrichtig, ſo ſicher entdecken darf, als der Perſon, die einerley Intereſſe mit uns hat; Und dann ein Blick auf wohlerzogene, durch gemeinſchaftliche Sorgfalt erzogene Kin¬ der, auf die Fruͤchte der erſten jugendlichen Liebe! — und das Herz kehrt ohngezwungen zu den ſuͤßeſten Pflichten zuruͤck.
8.
Uebrigens aber kann nichts abgeſchmack¬ ter, laͤppiſcher, laͤſtiger, von verkehrterer Wuͤr¬ kung ſeyn, noch was mehr das Leben verbittert, als wenn Eheleute durch die prieſterliche Ein¬ ſegnung ein ſo ausſchlieſſendes Recht auf jede Empfindung des Herzens von einander erzwun¬ gen zu haben glauben, daß ſie waͤhnen, nun duͤrfe in dieſem Herzen auch nicht ein Plaͤtzgen mehr fuͤr irgend einen andern guten Menſchen uͤbrig bleiben, der Gatte muͤſſe tod ſeyn fuͤr ſeine
Freun¬
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des Seelen-Beduͤrfniſſes, wo man ſich nach
der theilnehmenden Gefaͤrthinn ſehnt, wenn
ſchwere Buͤrden das Herz druͤcken, die kein
Fremder ſo uns tragen hilft, oder wenn Freu¬
den jedes Gefaͤß in uns erweitern, Freuden,
die kein Fremder ſo mit uns theilt, oder Ver¬
legenheiten uns aufſtoßen, die man keinem
Fremden ſo aufrichtig, ſo ſicher entdecken darf,
als der Perſon, die einerley Intereſſe mit uns
hat; Und dann ein Blick auf wohlerzogene,
durch gemeinſchaftliche Sorgfalt erzogene Kin¬
der, auf die Fruͤchte der erſten jugendlichen Liebe!
— und das Herz kehrt ohngezwungen zu den
ſuͤßeſten Pflichten zuruͤck.
8.
Uebrigens aber kann nichts abgeſchmack¬
ter, laͤppiſcher, laͤſtiger, von verkehrterer Wuͤr¬
kung ſeyn, noch was mehr das Leben verbittert,
als wenn Eheleute durch die prieſterliche Ein¬
ſegnung ein ſo ausſchlieſſendes Recht auf jede
Empfindung des Herzens von einander erzwun¬
gen zu haben glauben, daß ſie waͤhnen, nun duͤrfe
in dieſem Herzen auch nicht ein Plaͤtzgen mehr
fuͤr irgend einen andern guten Menſchen uͤbrig
bleiben, der Gatte muͤſſe tod ſeyn fuͤr ſeine
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/160>, abgerufen am 22.02.2025.
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