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Klüber, Johann Ludwig: Europäisches Völkerrecht. Bd. 1. Stuttgart, 1821.

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II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn.
temporärer Unterthan zu behandeln, den in-
ländischen Staatsgesetzen unterworfen, auch ge-
gen seinen Nachlass daselbst das Heimfalls- oder
Fremdlingsrecht auszuüben sey. Wenn in ein-
zelnen Staaten Politik, StaatsInteresse, oder Hu-
manität, in der Ausübung dieser Befugnisse
Nachsicht oder Ungleichheit gegen manche Aus-
wärtige veranlassen, so kann solches als Recht
von diesen, und eine gleiche Behandlung von
Andern, ohne Vertrag nicht in Anspruch ge-
nommen werden d), selbst nicht aus dem Grunde
der Nachbarschaft e). Gewaltsam angemasster
Gebrauch, wäre Verletzung des Territoriums,
und könnte als Rechtsverletzung geahndet wer-
den f).

a) Bei Seegefahr machen alle europäischen Staaten, billig,
eine Ausnahme. Nicht so bei der Flucht vor dem Feind,
und bei einbrechenden Seuchen. -- Ob eingeschlossene Staa-
ten den Durchgang durch andere Staatsgebiete, zu Land oder
zu Wasser, als natürliche Zwangpflicht fordern können? z. B.
Portugal durch Spanien, Neapel durch das mittlere und obere
Italien, der grösste Theil der herzoglich-anhaltischen Be-
sitzungen und das Fürstenthum SchwarzbürgSondershausen
durch die preussischen Staaten, die Staaten an der Ostsee
durch den Sund, die teutschen Staaten an der Donau auf
diesem Fluss durch die östreichischen und türkischen Staa-
ten? Einige nehmen hier eine natürliche Staatsdienstbarkeit
an Wolff jur. gent. c. 3. §. 323. Günther, II. 233. J.
N. Hertius diss. de servitute naturaliter constituta, cum in-
ter diversos populos, tum inter ejusdem reip. cives. Giess.
1699, u. in s. Opusc. Vol. II. T. III. p. 103--154. Durch
Verträge wird ein solcher Durchzug oft bedungen, z. B.
von Russland aus dem schwarzen Meer. Fr. v. Kainardschy
1774, Art. 11. Bestimmungen des wiener Congresses für
die Schiffahrt auf Strömen, welche verschiedene Staaten

II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn.
temporärer Unterthan zu behandeln, den in-
ländischen Staatsgesetzen unterworfen, auch ge-
gen seinen Nachlaſs daselbst das Heimfalls- oder
Fremdlingsrecht auszuüben sey. Wenn in ein-
zelnen Staaten Politik, StaatsInteresse, oder Hu-
manität, in der Ausübung dieser Befugnisse
Nachsicht oder Ungleichheit gegen manche Aus-
wärtige veranlassen, so kann solches als Recht
von diesen, und eine gleiche Behandlung von
Andern, ohne Vertrag nicht in Anspruch ge-
nommen werden d), selbst nicht aus dem Grunde
der Nachbarschaft e). Gewaltsam angemaſster
Gebrauch, wäre Verletzung des Territoriums,
und könnte als Rechtsverletzung geahndet wer-
den f).

a) Bei Seegefahr machen alle europäischen Staaten, billig,
eine Ausnahme. Nicht so bei der Flucht vor dem Feind,
und bei einbrechenden Seuchen. — Ob eingeschlossene Staa-
ten den Durchgang durch andere Staatsgebiete, zu Land oder
zu Wasser, als natürliche Zwangpflicht fordern können? z. B.
Portugal durch Spanien, Neapel durch das mittlere und obere
Italien, der gröſste Theil der herzoglich-anhaltischen Be-
sitzungen und das Fürstenthum SchwarzbürgSondershausen
durch die preussischen Staaten, die Staaten an der Ostsee
durch den Sund, die teutschen Staaten an der Donau auf
diesem Fluſs durch die östreichischen und türkischen Staa-
ten? Einige nehmen hier eine natürliche Staatsdienstbarkeit
an Wolff jur. gent. c. 3. §. 323. Günther, II. 233. J.
N. Hertius diss. de servitute naturaliter constituta, cum in-
ter diversos populos, tum inter ejusdem reip. cives. Giess.
1699, u. in s. Opusc. Vol. II. T. III. p. 103—154. Durch
Vertŕäge wird ein solcher Durchzug oft bedungen, z. B.
von Ruſsland aus dem schwarzen Meer. Fr. v. Kainardschy
1774, Art. 11. Bestimmungen des wiener Congresses für
die Schiffahrt auf Strömen, welche verschiedene Staaten
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[216/0222] II. Th. II. Tit. Bedingte Rechte; in friedl. Verhältn. temporärer Unterthan zu behandeln, den in- ländischen Staatsgesetzen unterworfen, auch ge- gen seinen Nachlaſs daselbst das Heimfalls- oder Fremdlingsrecht auszuüben sey. Wenn in ein- zelnen Staaten Politik, StaatsInteresse, oder Hu- manität, in der Ausübung dieser Befugnisse Nachsicht oder Ungleichheit gegen manche Aus- wärtige veranlassen, so kann solches als Recht von diesen, und eine gleiche Behandlung von Andern, ohne Vertrag nicht in Anspruch ge- nommen werden d), selbst nicht aus dem Grunde der Nachbarschaft e). Gewaltsam angemaſster Gebrauch, wäre Verletzung des Territoriums, und könnte als Rechtsverletzung geahndet wer- den f). a⁾ Bei Seegefahr machen alle europäischen Staaten, billig, eine Ausnahme. Nicht so bei der Flucht vor dem Feind, und bei einbrechenden Seuchen. — Ob eingeschlossene Staa- ten den Durchgang durch andere Staatsgebiete, zu Land oder zu Wasser, als natürliche Zwangpflicht fordern können? z. B. Portugal durch Spanien, Neapel durch das mittlere und obere Italien, der gröſste Theil der herzoglich-anhaltischen Be- sitzungen und das Fürstenthum SchwarzbürgSondershausen durch die preussischen Staaten, die Staaten an der Ostsee durch den Sund, die teutschen Staaten an der Donau auf diesem Fluſs durch die östreichischen und türkischen Staa- ten? Einige nehmen hier eine natürliche Staatsdienstbarkeit an Wolff jur. gent. c. 3. §. 323. Günther, II. 233. J. N. Hertius diss. de servitute naturaliter constituta, cum in- ter diversos populos, tum inter ejusdem reip. cives. Giess. 1699, u. in s. Opusc. Vol. II. T. III. p. 103—154. Durch Vertŕäge wird ein solcher Durchzug oft bedungen, z. B. von Ruſsland aus dem schwarzen Meer. Fr. v. Kainardschy 1774, Art. 11. Bestimmungen des wiener Congresses für die Schiffahrt auf Strömen, welche verschiedene Staaten

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Zitationshilfe: Klüber, Johann Ludwig: Europäisches Völkerrecht. Bd. 1. Stuttgart, 1821, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klueber_voelkerrecht01_1821/222>, abgerufen am 26.04.2024.