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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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faßt, zeigt uns die Hölle als das negative Extrem dersel-
ben. Diese große Proportion hat die Philosophie noch nicht
studirt, und stümpert blos an den Verhältnissen des Lebens
herum. Hegel überhebt sich dieser Mühen auf eine ge-
schickte Weise. Er verlegt den Himmel des Jenseits in das
Diesseits, und dadurch entschlägt er sich auch der Hölle
mit einem Federzug. Denn wer keinen Himmel hat, braucht
auch keine Hölle. Consequent ist ein solcher Gedanke, aber
kaum des Nachdenkens werth.

Die Einwürfe, welche gewöhnlich gegen Besitzung und
Zauber sich erheben, sind verschieden nach den Gesichtspunk-
ten, von welchen Jeder ausgeht. Sie lauten:

Von Seiten des Juristen: "Die gerichtlich erhobenen
Thatsachen sind unsicher, theils wegen der Präsumtionen
der Richter, die meistens aus den Inquisitionsgerichten ge-
nommen waren, theils wegen der durch Gewaltmittel er-
preßten Geständnisse."

Von Seiten des Pathologen: "Die Zufälle der Be-
sitzung gehören größtentheils zu den Nervenanomalieen."

Von Seiten des Psychologen: "Die Erscheinungen
von Besitzung und Zauber sind bald Simulation, bald fixe
Idee."

Von Seiten des Philosophen: "Die Erscheinungen
widerstreiten dem Vernunft- und Naturzusammenhang."

Von Seiten des Theologen: "Die Zulassung einer
dämonischen Gewalt bey unschuldigen Menschen verträgt
sich nicht mit der Güte und Gerechtigkeit Gottes."



Unsicheres richterliches Verfahren.

Die Juristen haben ihren Thomasius, welcher in seiner
Inaugural-Dissertation "de Crimine Magiae" sich zuerst
an die Spitze derjenigen Partey stellte, welche das Zau-
berwerk für null und nichtig erklärte, obgleich seine Haupt-

faßt, zeigt uns die Hölle als das negative Extrem derſel-
ben. Dieſe große Proportion hat die Philoſophie noch nicht
ſtudirt, und ſtümpert blos an den Verhältniſſen des Lebens
herum. Hegel überhebt ſich dieſer Mühen auf eine ge-
ſchickte Weiſe. Er verlegt den Himmel des Jenſeits in das
Dieſſeits, und dadurch entſchlägt er ſich auch der Hölle
mit einem Federzug. Denn wer keinen Himmel hat, braucht
auch keine Hölle. Conſequent iſt ein ſolcher Gedanke, aber
kaum des Nachdenkens werth.

Die Einwürfe, welche gewöhnlich gegen Beſitzung und
Zauber ſich erheben, ſind verſchieden nach den Geſichtspunk-
ten, von welchen Jeder ausgeht. Sie lauten:

Von Seiten des Juriſten: „Die gerichtlich erhobenen
Thatſachen ſind unſicher, theils wegen der Präſumtionen
der Richter, die meiſtens aus den Inquiſitionsgerichten ge-
nommen waren, theils wegen der durch Gewaltmittel er-
preßten Geſtändniſſe.“

Von Seiten des Pathologen: „Die Zufälle der Be-
ſitzung gehören größtentheils zu den Nervenanomalieen.“

Von Seiten des Pſychologen: „Die Erſcheinungen
von Beſitzung und Zauber ſind bald Simulation, bald fixe
Idee.“

Von Seiten des Philoſophen: „Die Erſcheinungen
widerſtreiten dem Vernunft- und Naturzuſammenhang.“

Von Seiten des Theologen: „Die Zulaſſung einer
dämoniſchen Gewalt bey unſchuldigen Menſchen verträgt
ſich nicht mit der Güte und Gerechtigkeit Gottes.“



Unſicheres richterliches Verfahren.

Die Juriſten haben ihren Thomaſius, welcher in ſeiner
Inaugural-Diſſertation „de Crimine Magiæ“ ſich zuerſt
an die Spitze derjenigen Partey ſtellte, welche das Zau-
berwerk für null und nichtig erklärte, obgleich ſeine Haupt-

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[170/0184] faßt, zeigt uns die Hölle als das negative Extrem derſel- ben. Dieſe große Proportion hat die Philoſophie noch nicht ſtudirt, und ſtümpert blos an den Verhältniſſen des Lebens herum. Hegel überhebt ſich dieſer Mühen auf eine ge- ſchickte Weiſe. Er verlegt den Himmel des Jenſeits in das Dieſſeits, und dadurch entſchlägt er ſich auch der Hölle mit einem Federzug. Denn wer keinen Himmel hat, braucht auch keine Hölle. Conſequent iſt ein ſolcher Gedanke, aber kaum des Nachdenkens werth. Die Einwürfe, welche gewöhnlich gegen Beſitzung und Zauber ſich erheben, ſind verſchieden nach den Geſichtspunk- ten, von welchen Jeder ausgeht. Sie lauten: Von Seiten des Juriſten: „Die gerichtlich erhobenen Thatſachen ſind unſicher, theils wegen der Präſumtionen der Richter, die meiſtens aus den Inquiſitionsgerichten ge- nommen waren, theils wegen der durch Gewaltmittel er- preßten Geſtändniſſe.“ Von Seiten des Pathologen: „Die Zufälle der Be- ſitzung gehören größtentheils zu den Nervenanomalieen.“ Von Seiten des Pſychologen: „Die Erſcheinungen von Beſitzung und Zauber ſind bald Simulation, bald fixe Idee.“ Von Seiten des Philoſophen: „Die Erſcheinungen widerſtreiten dem Vernunft- und Naturzuſammenhang.“ Von Seiten des Theologen: „Die Zulaſſung einer dämoniſchen Gewalt bey unſchuldigen Menſchen verträgt ſich nicht mit der Güte und Gerechtigkeit Gottes.“ Unſicheres richterliches Verfahren. Die Juriſten haben ihren Thomaſius, welcher in ſeiner Inaugural-Diſſertation „de Crimine Magiæ“ ſich zuerſt an die Spitze derjenigen Partey ſtellte, welche das Zau- berwerk für null und nichtig erklärte, obgleich ſeine Haupt-

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/184>, abgerufen am 21.11.2024.