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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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Geschichte einer Besessenen
vom Jahr 1766. *)


Vergangenen Domin. XVIII. Trinit. (1766) hat sich in
dem benachbarten Flecken Gärtringen ein sehr seltener
Casus zugetragen, dessen Erzählung Ew. Hochwürden nicht
unangenehm seyn dürfte. Dienstags zuvor kam ein siebenzig-
jähriges Bettelweib, kathol. Religion, aus Lothringen gebür-
tig, welche einige Zeit in Rastadt gewohnt, auf der Bettelfuhr
nach Gärtringen, und wurde dorten in dem Armenhaus ab-
geladen, woselbst sie auch übernachtete. Sowol sie als andere,
die sie seit langer Zeit kannten (dann sie wurde schon seit
etlichen Jahren vielfältig durch Gärtringen hin und her
geführt) sagten öffentlich, sie wäre von einem bösen Geiste
besessen, der sie in Gegenwart vieler Zuschauer an zerschie-
denen Orten, wo sie durchgeführt wurde, entsetzlich quälte
und schlug, so daß sie gar selten ruhen konnte oder im
Stand war, etwas von Speise und Trank zu genießen, wenn
er es nicht gestattete. Der Pfarrer in Gärtringen, M. E ...,
vernahm ohngefähr von dem Bettelvogt, der ein Almosen
vor sie abholte, daß eine dergleichen besessene Weibsperson
da wäre, worauf er sich Anfangs aus Neugierde zu ihr
in das Bettelhaus begab, um sich ihrer wahren Umstände
zu erkundigen. Er fand sie aber damals in natürlichem
Zustand, wo sie ruhig war und kein böser Geist sich regte,
daher er sie weitläufig besprochen und auf solches wieder
heim gegangen.

Den folgenden Morgen kam der Bettelvogt wieder zu

*) S. Memmingers Jahrbücher.
Kerner, über Besessenseyn. 8
Geschichte einer Besessenen
vom Jahr 1766. *)


Vergangenen Domin. XVIII. Trinit. (1766) hat ſich in
dem benachbarten Flecken Gärtringen ein ſehr ſeltener
Casus zugetragen, deſſen Erzählung Ew. Hochwürden nicht
unangenehm ſeyn dürfte. Dienſtags zuvor kam ein ſiebenzig-
jähriges Bettelweib, kathol. Religion, aus Lothringen gebür-
tig, welche einige Zeit in Raſtadt gewohnt, auf der Bettelfuhr
nach Gärtringen, und wurde dorten in dem Armenhaus ab-
geladen, woſelbſt ſie auch übernachtete. Sowol ſie als andere,
die ſie ſeit langer Zeit kannten (dann ſie wurde ſchon ſeit
etlichen Jahren vielfältig durch Gärtringen hin und her
geführt) ſagten öffentlich, ſie wäre von einem böſen Geiſte
beſeſſen, der ſie in Gegenwart vieler Zuſchauer an zerſchie-
denen Orten, wo ſie durchgeführt wurde, entſetzlich quälte
und ſchlug, ſo daß ſie gar ſelten ruhen konnte oder im
Stand war, etwas von Speiſe und Trank zu genießen, wenn
er es nicht geſtattete. Der Pfarrer in Gärtringen, M. E …,
vernahm ohngefähr von dem Bettelvogt, der ein Almoſen
vor ſie abholte, daß eine dergleichen beſeſſene Weibsperſon
da wäre, worauf er ſich Anfangs aus Neugierde zu ihr
in das Bettelhaus begab, um ſich ihrer wahren Umſtände
zu erkundigen. Er fand ſie aber damals in natürlichem
Zuſtand, wo ſie ruhig war und kein böſer Geiſt ſich regte,
daher er ſie weitläufig beſprochen und auf ſolches wieder
heim gegangen.

Den folgenden Morgen kam der Bettelvogt wieder zu

*) S. Memmingers Jahrbücher.
Kerner, über Beſeſſenſeyn. 8
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[113/0127] Geschichte einer Besessenen vom Jahr 1766. *) Vergangenen Domin. XVIII. Trinit. (1766) hat ſich in dem benachbarten Flecken Gärtringen ein ſehr ſeltener Casus zugetragen, deſſen Erzählung Ew. Hochwürden nicht unangenehm ſeyn dürfte. Dienſtags zuvor kam ein ſiebenzig- jähriges Bettelweib, kathol. Religion, aus Lothringen gebür- tig, welche einige Zeit in Raſtadt gewohnt, auf der Bettelfuhr nach Gärtringen, und wurde dorten in dem Armenhaus ab- geladen, woſelbſt ſie auch übernachtete. Sowol ſie als andere, die ſie ſeit langer Zeit kannten (dann ſie wurde ſchon ſeit etlichen Jahren vielfältig durch Gärtringen hin und her geführt) ſagten öffentlich, ſie wäre von einem böſen Geiſte beſeſſen, der ſie in Gegenwart vieler Zuſchauer an zerſchie- denen Orten, wo ſie durchgeführt wurde, entſetzlich quälte und ſchlug, ſo daß ſie gar ſelten ruhen konnte oder im Stand war, etwas von Speiſe und Trank zu genießen, wenn er es nicht geſtattete. Der Pfarrer in Gärtringen, M. E …, vernahm ohngefähr von dem Bettelvogt, der ein Almoſen vor ſie abholte, daß eine dergleichen beſeſſene Weibsperſon da wäre, worauf er ſich Anfangs aus Neugierde zu ihr in das Bettelhaus begab, um ſich ihrer wahren Umſtände zu erkundigen. Er fand ſie aber damals in natürlichem Zuſtand, wo ſie ruhig war und kein böſer Geiſt ſich regte, daher er ſie weitläufig beſprochen und auf ſolches wieder heim gegangen. Den folgenden Morgen kam der Bettelvogt wieder zu *) S. Memmingers Jahrbücher. Kerner, über Beſeſſenſeyn. 8

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/127>, abgerufen am 21.11.2024.