Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Abtheilung.
erfunden werden konnte. Denn, hat man eine Spra-
che durch Handzeichen für das Aug erfinden können,
so läßt sich kein Grund finden, warum man nicht
auch eine Sprache durch Töne für das Ohr hätte er-
finden, und eine so wie die andere nach und nach
ausbilden können.

§. 10.

Jm Jahre 1783 kam ich zu dem Abbe de L'epee
in Paris. Da traf es sich, daß ich unter einer Men-
ge tauber Schüler und fremder Zuhörer eben zu ei-
nem wohlgebildeten Mädchen von ungefähr 20 Jah-
ren in einem Fenster zu stehen kam. Jch hielt sie
lange für eine Person, die, so wie mich, die Neu-
gierde dahin gezogen hat. Endlich zeigte sie auf ei-
nen Stuhl hin, daß ich mich setzen sollte. Jch dankte
ihr, setzte mich zu ihr hin, und bat sie ein gleiches
zu thun. Nachdem ich nun einige Worte weiter
sprach, gab sie mir zu verstehen, sie hörte nicht. Nun
wußt ich erst mit wem ich zu thun hatte. Jch erwie-
derte Zeichen mit Zeichen, und als sie sah, daß ich
sie leicht verstünde, ward sie auf ihre Art so geschwä-

tzig,

I. Abtheilung.
erfunden werden konnte. Denn, hat man eine Spra-
che durch Handzeichen fuͤr das Aug erfinden koͤnnen,
ſo laͤßt ſich kein Grund finden, warum man nicht
auch eine Sprache durch Toͤne fuͤr das Ohr haͤtte er-
finden, und eine ſo wie die andere nach und nach
ausbilden koͤnnen.

§. 10.

Jm Jahre 1783 kam ich zu dem Abbé de L'épée
in Paris. Da traf es ſich, daß ich unter einer Men-
ge tauber Schuͤler und fremder Zuhoͤrer eben zu ei-
nem wohlgebildeten Maͤdchen von ungefaͤhr 20 Jah-
ren in einem Fenſter zu ſtehen kam. Jch hielt ſie
lange fuͤr eine Perſon, die, ſo wie mich, die Neu-
gierde dahin gezogen hat. Endlich zeigte ſie auf ei-
nen Stuhl hin, daß ich mich ſetzen ſollte. Jch dankte
ihr, ſetzte mich zu ihr hin, und bat ſie ein gleiches
zu thun. Nachdem ich nun einige Worte weiter
ſprach, gab ſie mir zu verſtehen, ſie hoͤrte nicht. Nun
wußt ich erſt mit wem ich zu thun hatte. Jch erwie-
derte Zeichen mit Zeichen, und als ſie ſah, daß ich
ſie leicht verſtuͤnde, ward ſie auf ihre Art ſo geſchwaͤ-

tzig,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0046" n="18"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi>. Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
erfunden werden konnte. Denn, hat man eine Spra-<lb/>
che durch Handzeichen fu&#x0364;r das Aug erfinden ko&#x0364;nnen,<lb/>
&#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich kein Grund finden, warum man nicht<lb/>
auch eine Sprache durch To&#x0364;ne fu&#x0364;r das Ohr ha&#x0364;tte er-<lb/>
finden, und eine &#x017F;o wie die andere nach und nach<lb/>
ausbilden ko&#x0364;nnen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 10.</head><lb/>
          <p>Jm Jahre 1783 kam ich zu dem <hi rendition="#aq">Abbé de L'épée</hi><lb/>
in Paris. Da traf es &#x017F;ich, daß ich unter einer Men-<lb/>
ge tauber Schu&#x0364;ler und fremder Zuho&#x0364;rer eben zu ei-<lb/>
nem wohlgebildeten Ma&#x0364;dchen von ungefa&#x0364;hr 20 Jah-<lb/>
ren in einem Fen&#x017F;ter zu &#x017F;tehen kam. Jch hielt &#x017F;ie<lb/>
lange fu&#x0364;r eine Per&#x017F;on, die, &#x017F;o wie mich, die Neu-<lb/>
gierde dahin gezogen hat. Endlich zeigte &#x017F;ie auf ei-<lb/>
nen Stuhl hin, daß ich mich &#x017F;etzen &#x017F;ollte. Jch dankte<lb/>
ihr, &#x017F;etzte mich zu ihr hin, und bat &#x017F;ie ein gleiches<lb/>
zu thun. Nachdem ich nun einige Worte weiter<lb/>
&#x017F;prach, gab &#x017F;ie mir zu ver&#x017F;tehen, &#x017F;ie ho&#x0364;rte nicht. Nun<lb/>
wußt ich er&#x017F;t mit wem ich zu thun hatte. Jch erwie-<lb/>
derte Zeichen mit Zeichen, und als &#x017F;ie &#x017F;ah, daß ich<lb/>
&#x017F;ie leicht ver&#x017F;tu&#x0364;nde, ward &#x017F;ie auf ihre Art &#x017F;o ge&#x017F;chwa&#x0364;-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">tzig,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0046] I. Abtheilung. erfunden werden konnte. Denn, hat man eine Spra- che durch Handzeichen fuͤr das Aug erfinden koͤnnen, ſo laͤßt ſich kein Grund finden, warum man nicht auch eine Sprache durch Toͤne fuͤr das Ohr haͤtte er- finden, und eine ſo wie die andere nach und nach ausbilden koͤnnen. §. 10. Jm Jahre 1783 kam ich zu dem Abbé de L'épée in Paris. Da traf es ſich, daß ich unter einer Men- ge tauber Schuͤler und fremder Zuhoͤrer eben zu ei- nem wohlgebildeten Maͤdchen von ungefaͤhr 20 Jah- ren in einem Fenſter zu ſtehen kam. Jch hielt ſie lange fuͤr eine Perſon, die, ſo wie mich, die Neu- gierde dahin gezogen hat. Endlich zeigte ſie auf ei- nen Stuhl hin, daß ich mich ſetzen ſollte. Jch dankte ihr, ſetzte mich zu ihr hin, und bat ſie ein gleiches zu thun. Nachdem ich nun einige Worte weiter ſprach, gab ſie mir zu verſtehen, ſie hoͤrte nicht. Nun wußt ich erſt mit wem ich zu thun hatte. Jch erwie- derte Zeichen mit Zeichen, und als ſie ſah, daß ich ſie leicht verſtuͤnde, ward ſie auf ihre Art ſo geſchwaͤ- tzig,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791/46
Zitationshilfe: Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791/46>, abgerufen am 21.11.2024.