einige Zimmer gemiethet, in denen er nicht ermangelte, von Zeit zu Zeit seine Bekannten in der Weise der Junggesellen zu bewirthen; sonst aber verbrachte er die Abende gern im fröhlichen Umgange mit gereifteren jungen Leuten verschiedener Nationalität, wie sie mit Bürgerssöhnen aus gutem Hause vermischt in solchen Orten sich zusammen zu thun pflegen und von der Mützen tragenden Jugend leicht zu unterscheiden sind, wiewol sie nicht verschmähen, bei derselben zuweilen vorzusprechen.
In jenem Hause, das noch mit weitläufigen Treppen und Gängen versehen war, fiel ihm seit einiger Zeit bei Ausgang und Rückkehr eine Dienstmagd auf von so herrlichem Wuchs und Gang, daß das ärmliche, obgleich saubere Kleid das Gewand eines Königskindes aus alter Fabelzeit zu sein schien. Ob sie das Wassergefäß auf dem Haupte oder den gefüllten Holzkorb vor sich her trug, immer waren Glieder und Bewegung von der gleichen geschmeidigen Kraft und gelassenen Schönheit; alles aber war beherrscht und harmonisch zusammengehalten durch ein Gesicht, dessen ruhige Regelmäßigkeit von einem Zug leiser unbewußter Schwermuth veredelt wurde, einem Zug so leicht und rein, wie der Schatten eines durch¬ sichtigen Kristalles. Erwin begegnete der schönen Person nicht oft; jedesmal aber, wenn sie mit bescheiden gesenktem Blick still vorüber ging, blieb die Erscheinung ihm stunden¬ lang im Sinne haften, ohne daß er jedoch besonders darauf achtete. Eines Tages indessen, als sie auf den
einige Zimmer gemiethet, in denen er nicht ermangelte, von Zeit zu Zeit ſeine Bekannten in der Weiſe der Junggeſellen zu bewirthen; ſonſt aber verbrachte er die Abende gern im fröhlichen Umgange mit gereifteren jungen Leuten verſchiedener Nationalität, wie ſie mit Bürgersſöhnen aus gutem Hauſe vermiſcht in ſolchen Orten ſich zuſammen zu thun pflegen und von der Mützen tragenden Jugend leicht zu unterſcheiden ſind, wiewol ſie nicht verſchmähen, bei derſelben zuweilen vorzuſprechen.
In jenem Hauſe, das noch mit weitläufigen Treppen und Gängen verſehen war, fiel ihm ſeit einiger Zeit bei Ausgang und Rückkehr eine Dienſtmagd auf von ſo herrlichem Wuchs und Gang, daß das ärmliche, obgleich ſaubere Kleid das Gewand eines Königskindes aus alter Fabelzeit zu ſein ſchien. Ob ſie das Waſſergefäß auf dem Haupte oder den gefüllten Holzkorb vor ſich her trug, immer waren Glieder und Bewegung von der gleichen geſchmeidigen Kraft und gelaſſenen Schönheit; alles aber war beherrſcht und harmoniſch zuſammengehalten durch ein Geſicht, deſſen ruhige Regelmäßigkeit von einem Zug leiſer unbewußter Schwermuth veredelt wurde, einem Zug ſo leicht und rein, wie der Schatten eines durch¬ ſichtigen Kriſtalles. Erwin begegnete der ſchönen Perſon nicht oft; jedesmal aber, wenn ſie mit beſcheiden geſenktem Blick ſtill vorüber ging, blieb die Erſcheinung ihm ſtunden¬ lang im Sinne haften, ohne daß er jedoch beſonders darauf achtete. Eines Tages indeſſen, als ſie auf den
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0084"n="74"/>
einige Zimmer gemiethet, in denen er nicht ermangelte,<lb/>
von Zeit zu Zeit ſeine Bekannten in der Weiſe der<lb/>
Junggeſellen zu bewirthen; ſonſt aber verbrachte er die<lb/>
Abende gern im fröhlichen Umgange mit gereifteren<lb/>
jungen Leuten verſchiedener Nationalität, wie ſie mit<lb/>
Bürgersſöhnen aus gutem Hauſe vermiſcht in ſolchen<lb/>
Orten ſich zuſammen zu thun pflegen und von der Mützen<lb/>
tragenden Jugend leicht zu unterſcheiden ſind, wiewol ſie<lb/>
nicht verſchmähen, bei derſelben zuweilen vorzuſprechen.</p><lb/><p>In jenem Hauſe, das noch mit weitläufigen Treppen<lb/>
und Gängen verſehen war, fiel ihm ſeit einiger Zeit bei<lb/>
Ausgang und Rückkehr eine Dienſtmagd auf von ſo<lb/>
herrlichem Wuchs und Gang, daß das ärmliche, obgleich<lb/>ſaubere Kleid das Gewand eines Königskindes aus alter<lb/>
Fabelzeit zu ſein ſchien. Ob ſie das Waſſergefäß auf<lb/>
dem Haupte oder den gefüllten Holzkorb vor ſich her<lb/>
trug, immer waren Glieder und Bewegung von der<lb/>
gleichen geſchmeidigen Kraft und gelaſſenen Schönheit;<lb/>
alles aber war beherrſcht und harmoniſch zuſammengehalten<lb/>
durch ein Geſicht, deſſen ruhige Regelmäßigkeit von einem<lb/>
Zug leiſer unbewußter Schwermuth veredelt wurde, einem<lb/>
Zug ſo leicht und rein, wie der Schatten eines durch¬<lb/>ſichtigen Kriſtalles. Erwin begegnete der ſchönen Perſon<lb/>
nicht oft; jedesmal aber, wenn ſie mit beſcheiden geſenktem<lb/>
Blick ſtill vorüber ging, blieb die Erſcheinung ihm ſtunden¬<lb/>
lang im Sinne haften, ohne daß er jedoch beſonders<lb/>
darauf achtete. Eines Tages indeſſen, als ſie auf den<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[74/0084]
einige Zimmer gemiethet, in denen er nicht ermangelte,
von Zeit zu Zeit ſeine Bekannten in der Weiſe der
Junggeſellen zu bewirthen; ſonſt aber verbrachte er die
Abende gern im fröhlichen Umgange mit gereifteren
jungen Leuten verſchiedener Nationalität, wie ſie mit
Bürgersſöhnen aus gutem Hauſe vermiſcht in ſolchen
Orten ſich zuſammen zu thun pflegen und von der Mützen
tragenden Jugend leicht zu unterſcheiden ſind, wiewol ſie
nicht verſchmähen, bei derſelben zuweilen vorzuſprechen.
In jenem Hauſe, das noch mit weitläufigen Treppen
und Gängen verſehen war, fiel ihm ſeit einiger Zeit bei
Ausgang und Rückkehr eine Dienſtmagd auf von ſo
herrlichem Wuchs und Gang, daß das ärmliche, obgleich
ſaubere Kleid das Gewand eines Königskindes aus alter
Fabelzeit zu ſein ſchien. Ob ſie das Waſſergefäß auf
dem Haupte oder den gefüllten Holzkorb vor ſich her
trug, immer waren Glieder und Bewegung von der
gleichen geſchmeidigen Kraft und gelaſſenen Schönheit;
alles aber war beherrſcht und harmoniſch zuſammengehalten
durch ein Geſicht, deſſen ruhige Regelmäßigkeit von einem
Zug leiſer unbewußter Schwermuth veredelt wurde, einem
Zug ſo leicht und rein, wie der Schatten eines durch¬
ſichtigen Kriſtalles. Erwin begegnete der ſchönen Perſon
nicht oft; jedesmal aber, wenn ſie mit beſcheiden geſenktem
Blick ſtill vorüber ging, blieb die Erſcheinung ihm ſtunden¬
lang im Sinne haften, ohne daß er jedoch beſonders
darauf achtete. Eines Tages indeſſen, als ſie auf den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/84>, abgerufen am 27.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.