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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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solche Pünktlichkeit nicht um Tagelohn und um eine
Portion Kartoffelsuppe zu üben schienen, sondern
damit nur thaten, was sie nicht lassen konnten,
wie zu ihrem Vergnügen und dabei wohl bestan¬
den. Da ich nun durch das allmälige Auswendig¬
lernen unsres Geographiebuches, so einfach dieses
war, auch auf dem Erdboden Bescheid wußte, so
verstand ich meine Richtung wohl zu nehmen und
beschloß in diesem Augenblick, nordwärts durch
ganz Deutschland zu laufen, bis ich das Meer
erreichte. Also lief ich die Nacht hindurch wieder
acht gute Stunden und kam mit der Morgen¬
sonne an eine wilde und entlegene Stelle am
Rhein, wo eben vor meinen Augen ein mit Korn¬
säcken beladenes Schiff an einer Untiefe aufstieß,
indessen doch das Wasser über einen Theil der
Ladung wegströmte. Da sich nur drei Männer
bei dem Schiffe befanden und weit und breit in
dieser Frühe und in dieser Wildniß Niemand zu
ersehen war, so kam ich sehr willkommen, als ich
sogleich Hand anlegte und den Schiffern die schwere
Ladung an's Ufer bringen und das Fahrzeug wie¬
der flott machen half. Was von dem Korne naß
geworden, schütteten wir auf Bretter, die wir an

ſolche Pünktlichkeit nicht um Tagelohn und um eine
Portion Kartoffelſuppe zu üben ſchienen, ſondern
damit nur thaten, was ſie nicht laſſen konnten,
wie zu ihrem Vergnügen und dabei wohl beſtan¬
den. Da ich nun durch das allmälige Auswendig¬
lernen unſres Geographiebuches, ſo einfach dieſes
war, auch auf dem Erdboden Beſcheid wußte, ſo
verſtand ich meine Richtung wohl zu nehmen und
beſchloß in dieſem Augenblick, nordwärts durch
ganz Deutſchland zu laufen, bis ich das Meer
erreichte. Alſo lief ich die Nacht hindurch wieder
acht gute Stunden und kam mit der Morgen¬
ſonne an eine wilde und entlegene Stelle am
Rhein, wo eben vor meinen Augen ein mit Korn¬
ſäcken beladenes Schiff an einer Untiefe aufſtieß,
indeſſen doch das Waſſer über einen Theil der
Ladung wegſtrömte. Da ſich nur drei Männer
bei dem Schiffe befanden und weit und breit in
dieſer Frühe und in dieſer Wildniß Niemand zu
erſehen war, ſo kam ich ſehr willkommen, als ich
ſogleich Hand anlegte und den Schiffern die ſchwere
Ladung an's Ufer bringen und das Fahrzeug wie¬
der flott machen half. Was von dem Korne naß
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[37/0049] ſolche Pünktlichkeit nicht um Tagelohn und um eine Portion Kartoffelſuppe zu üben ſchienen, ſondern damit nur thaten, was ſie nicht laſſen konnten, wie zu ihrem Vergnügen und dabei wohl beſtan¬ den. Da ich nun durch das allmälige Auswendig¬ lernen unſres Geographiebuches, ſo einfach dieſes war, auch auf dem Erdboden Beſcheid wußte, ſo verſtand ich meine Richtung wohl zu nehmen und beſchloß in dieſem Augenblick, nordwärts durch ganz Deutſchland zu laufen, bis ich das Meer erreichte. Alſo lief ich die Nacht hindurch wieder acht gute Stunden und kam mit der Morgen¬ ſonne an eine wilde und entlegene Stelle am Rhein, wo eben vor meinen Augen ein mit Korn¬ ſäcken beladenes Schiff an einer Untiefe aufſtieß, indeſſen doch das Waſſer über einen Theil der Ladung wegſtrömte. Da ſich nur drei Männer bei dem Schiffe befanden und weit und breit in dieſer Frühe und in dieſer Wildniß Niemand zu erſehen war, ſo kam ich ſehr willkommen, als ich ſogleich Hand anlegte und den Schiffern die ſchwere Ladung an's Ufer bringen und das Fahrzeug wie¬ der flott machen half. Was von dem Korne naß geworden, ſchütteten wir auf Bretter, die wir an

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/49>, abgerufen am 26.04.2024.