Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite
Frau Regel Amrain und ihr Jüngster.

Regula Amrain war die Frau eines abwesenden
Seldwylers; dieser hatte einen großen Stein¬
bruch hinter dem Städtchen besessen und seine
Zeitlang ausgebeutet und zwar auf Seldwyler
Art. Das ganze Nest war beinahe aus dem
guten Sandstein gebaut, aus welchem der Berg
bestand, aber das Schuldenwesen, das auf den
Häusern ruhte, hatte von jeher recht eigentlich
schon mit den Steinen begonnen, aus denen sie
gebaut waren; denn nichts schien den Seldwy¬
lern so wohl geeignet als Stoff und Gegenstand
eines muntern Verkehrs, als ein solcher Stein¬
bruch, und derselbe glich einer in Felsen gehauenen
römischen Schaubühne, über welche die Besitzer
emsig hinwegliefen, einer den andern jagend.

Herr Amrain, ein ansehnlicher Mann, der
eine ansehnliche Menge Fleisch, Fische und Wein

Keller, die Leute von Seldwyla. I. 8
Frau Regel Amrain und ihr Jüngſter.

Regula Amrain war die Frau eines abweſenden
Seldwylers; dieſer hatte einen großen Stein¬
bruch hinter dem Städtchen beſeſſen und ſeine
Zeitlang ausgebeutet und zwar auf Seldwyler
Art. Das ganze Neſt war beinahe aus dem
guten Sandſtein gebaut, aus welchem der Berg
beſtand, aber das Schuldenweſen, das auf den
Häuſern ruhte, hatte von jeher recht eigentlich
ſchon mit den Steinen begonnen, aus denen ſie
gebaut waren; denn nichts ſchien den Seldwy¬
lern ſo wohl geeignet als Stoff und Gegenſtand
eines muntern Verkehrs, als ein ſolcher Stein¬
bruch, und derſelbe glich einer in Felſen gehauenen
römiſchen Schaubühne, über welche die Beſitzer
emſig hinwegliefen, einer den andern jagend.

Herr Amrain, ein anſehnlicher Mann, der
eine anſehnliche Menge Fleiſch, Fiſche und Wein

Keller, die Leute von Seldwyla. I. 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0125" n="113"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#fr">Frau Regel Amrain und ihr Jüng&#x017F;ter.</hi><lb/>
        </head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p><hi rendition="#in">R</hi>egula Amrain war die Frau eines abwe&#x017F;enden<lb/>
Seldwylers; die&#x017F;er hatte einen großen Stein¬<lb/>
bruch hinter dem Städtchen be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;eine<lb/>
Zeitlang ausgebeutet und zwar auf Seldwyler<lb/>
Art. Das ganze Ne&#x017F;t war beinahe aus dem<lb/>
guten Sand&#x017F;tein gebaut, aus welchem der Berg<lb/>
be&#x017F;tand, aber das Schuldenwe&#x017F;en, das auf den<lb/>
Häu&#x017F;ern ruhte, hatte von jeher recht eigentlich<lb/>
&#x017F;chon mit den Steinen begonnen, aus denen &#x017F;ie<lb/>
gebaut waren; denn nichts &#x017F;chien den Seldwy¬<lb/>
lern &#x017F;o wohl geeignet als Stoff und Gegen&#x017F;tand<lb/>
eines muntern Verkehrs, als ein &#x017F;olcher Stein¬<lb/>
bruch, und der&#x017F;elbe glich einer in Fel&#x017F;en gehauenen<lb/>
römi&#x017F;chen Schaubühne, über welche die Be&#x017F;itzer<lb/>
em&#x017F;ig hinwegliefen, einer den andern jagend.</p><lb/>
        <p>Herr Amrain, ein an&#x017F;ehnlicher Mann, der<lb/>
eine an&#x017F;ehnliche Menge Flei&#x017F;ch, Fi&#x017F;che und Wein<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Keller, die Leute von Seldwyla. <hi rendition="#aq">I</hi>. 8<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0125] Frau Regel Amrain und ihr Jüngſter. Regula Amrain war die Frau eines abweſenden Seldwylers; dieſer hatte einen großen Stein¬ bruch hinter dem Städtchen beſeſſen und ſeine Zeitlang ausgebeutet und zwar auf Seldwyler Art. Das ganze Neſt war beinahe aus dem guten Sandſtein gebaut, aus welchem der Berg beſtand, aber das Schuldenweſen, das auf den Häuſern ruhte, hatte von jeher recht eigentlich ſchon mit den Steinen begonnen, aus denen ſie gebaut waren; denn nichts ſchien den Seldwy¬ lern ſo wohl geeignet als Stoff und Gegenſtand eines muntern Verkehrs, als ein ſolcher Stein¬ bruch, und derſelbe glich einer in Felſen gehauenen römiſchen Schaubühne, über welche die Beſitzer emſig hinwegliefen, einer den andern jagend. Herr Amrain, ein anſehnlicher Mann, der eine anſehnliche Menge Fleiſch, Fiſche und Wein Keller, die Leute von Seldwyla. I. 8

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/125
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/125>, abgerufen am 21.12.2024.