Regula Amrain war die Frau eines abwesenden Seldwylers; dieser hatte einen großen Stein¬ bruch hinter dem Städtchen besessen und seine Zeitlang ausgebeutet und zwar auf Seldwyler Art. Das ganze Nest war beinahe aus dem guten Sandstein gebaut, aus welchem der Berg bestand, aber das Schuldenwesen, das auf den Häusern ruhte, hatte von jeher recht eigentlich schon mit den Steinen begonnen, aus denen sie gebaut waren; denn nichts schien den Seldwy¬ lern so wohl geeignet als Stoff und Gegenstand eines muntern Verkehrs, als ein solcher Stein¬ bruch, und derselbe glich einer in Felsen gehauenen römischen Schaubühne, über welche die Besitzer emsig hinwegliefen, einer den andern jagend.
Herr Amrain, ein ansehnlicher Mann, der eine ansehnliche Menge Fleisch, Fische und Wein
Keller, die Leute von Seldwyla. I. 8
Frau Regel Amrain und ihr Jüngſter.
Regula Amrain war die Frau eines abweſenden Seldwylers; dieſer hatte einen großen Stein¬ bruch hinter dem Städtchen beſeſſen und ſeine Zeitlang ausgebeutet und zwar auf Seldwyler Art. Das ganze Neſt war beinahe aus dem guten Sandſtein gebaut, aus welchem der Berg beſtand, aber das Schuldenweſen, das auf den Häuſern ruhte, hatte von jeher recht eigentlich ſchon mit den Steinen begonnen, aus denen ſie gebaut waren; denn nichts ſchien den Seldwy¬ lern ſo wohl geeignet als Stoff und Gegenſtand eines muntern Verkehrs, als ein ſolcher Stein¬ bruch, und derſelbe glich einer in Felſen gehauenen römiſchen Schaubühne, über welche die Beſitzer emſig hinwegliefen, einer den andern jagend.
Herr Amrain, ein anſehnlicher Mann, der eine anſehnliche Menge Fleiſch, Fiſche und Wein
Keller, die Leute von Seldwyla. I. 8
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0125"n="113"/></div><divn="1"><head><hirendition="#fr">Frau Regel Amrain und ihr Jüngſter.</hi><lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#in">R</hi>egula Amrain war die Frau eines abweſenden<lb/>
Seldwylers; dieſer hatte einen großen Stein¬<lb/>
bruch hinter dem Städtchen beſeſſen und ſeine<lb/>
Zeitlang ausgebeutet und zwar auf Seldwyler<lb/>
Art. Das ganze Neſt war beinahe aus dem<lb/>
guten Sandſtein gebaut, aus welchem der Berg<lb/>
beſtand, aber das Schuldenweſen, das auf den<lb/>
Häuſern ruhte, hatte von jeher recht eigentlich<lb/>ſchon mit den Steinen begonnen, aus denen ſie<lb/>
gebaut waren; denn nichts ſchien den Seldwy¬<lb/>
lern ſo wohl geeignet als Stoff und Gegenſtand<lb/>
eines muntern Verkehrs, als ein ſolcher Stein¬<lb/>
bruch, und derſelbe glich einer in Felſen gehauenen<lb/>
römiſchen Schaubühne, über welche die Beſitzer<lb/>
emſig hinwegliefen, einer den andern jagend.</p><lb/><p>Herr Amrain, ein anſehnlicher Mann, der<lb/>
eine anſehnliche Menge Fleiſch, Fiſche und Wein<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Keller, die Leute von Seldwyla. <hirendition="#aq">I</hi>. 8<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[113/0125]
Frau Regel Amrain und ihr Jüngſter.
Regula Amrain war die Frau eines abweſenden
Seldwylers; dieſer hatte einen großen Stein¬
bruch hinter dem Städtchen beſeſſen und ſeine
Zeitlang ausgebeutet und zwar auf Seldwyler
Art. Das ganze Neſt war beinahe aus dem
guten Sandſtein gebaut, aus welchem der Berg
beſtand, aber das Schuldenweſen, das auf den
Häuſern ruhte, hatte von jeher recht eigentlich
ſchon mit den Steinen begonnen, aus denen ſie
gebaut waren; denn nichts ſchien den Seldwy¬
lern ſo wohl geeignet als Stoff und Gegenſtand
eines muntern Verkehrs, als ein ſolcher Stein¬
bruch, und derſelbe glich einer in Felſen gehauenen
römiſchen Schaubühne, über welche die Beſitzer
emſig hinwegliefen, einer den andern jagend.
Herr Amrain, ein anſehnlicher Mann, der
eine anſehnliche Menge Fleiſch, Fiſche und Wein
Keller, die Leute von Seldwyla. I. 8
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/125>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.