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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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ten, Jeder mit anderer Empfänglichkeit, anderen
Absichten und anderen Erfahrungen, so daß ei¬
gentlich Jeder im wahren Sinne des Wortes hier
ein Autodidakt war, das heißt, ein Solcher, der
sich am Ende selbst zu dem macht, was er ist
und wird. Dies wurde in der That augenschein¬
lich, als der berühmte Mann endlich in die Thür
trat, sich das Haar zurecht strich, rasch und an¬
ständig nach seinem Känzelchen eilte und dort
mit achtungsvoller Anrede seinen Vortrag be¬
gann, nicht wie Einer, der streng und trocken
lehren will, sondern wie ein Künstler, welcher
durch Artigkeit, Wahl der Worte, Verbindung
der Gedanken, durch Geist und Witz sich hervor¬
thun möchte und sichtlich bestrebt ist, sich den
Beifall auch der geringsten seiner Zuhörer zu er¬
werben. Aus der leichten Anordnung und dem
rednerischen fließenden Vortrage des Gegenstandes,
ohne alle geschriebene Vorlage, machten sich nicht
im mindesten die mühseligen Studien und die
gewissenhaft sorgfältigen Arbeiten fühlbar, welche
sie gekostet hatten; die schnell vorübergehende an¬
schauliche Rede schien mehr eine Anregung und

ten, Jeder mit anderer Empfaͤnglichkeit, anderen
Abſichten und anderen Erfahrungen, ſo daß ei¬
gentlich Jeder im wahren Sinne des Wortes hier
ein Autodidakt war, das heißt, ein Solcher, der
ſich am Ende ſelbſt zu dem macht, was er iſt
und wird. Dies wurde in der That augenſchein¬
lich, als der beruͤhmte Mann endlich in die Thuͤr
trat, ſich das Haar zurecht ſtrich, raſch und an¬
ſtaͤndig nach ſeinem Kaͤnzelchen eilte und dort
mit achtungsvoller Anrede ſeinen Vortrag be¬
gann, nicht wie Einer, der ſtreng und trocken
lehren will, ſondern wie ein Kuͤnſtler, welcher
durch Artigkeit, Wahl der Worte, Verbindung
der Gedanken, durch Geiſt und Witz ſich hervor¬
thun moͤchte und ſichtlich beſtrebt iſt, ſich den
Beifall auch der geringſten ſeiner Zuhoͤrer zu er¬
werben. Aus der leichten Anordnung und dem
redneriſchen fließenden Vortrage des Gegenſtandes,
ohne alle geſchriebene Vorlage, machten ſich nicht
im mindeſten die muͤhſeligen Studien und die
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[45/0055] ten, Jeder mit anderer Empfaͤnglichkeit, anderen Abſichten und anderen Erfahrungen, ſo daß ei¬ gentlich Jeder im wahren Sinne des Wortes hier ein Autodidakt war, das heißt, ein Solcher, der ſich am Ende ſelbſt zu dem macht, was er iſt und wird. Dies wurde in der That augenſchein¬ lich, als der beruͤhmte Mann endlich in die Thuͤr trat, ſich das Haar zurecht ſtrich, raſch und an¬ ſtaͤndig nach ſeinem Kaͤnzelchen eilte und dort mit achtungsvoller Anrede ſeinen Vortrag be¬ gann, nicht wie Einer, der ſtreng und trocken lehren will, ſondern wie ein Kuͤnſtler, welcher durch Artigkeit, Wahl der Worte, Verbindung der Gedanken, durch Geiſt und Witz ſich hervor¬ thun moͤchte und ſichtlich beſtrebt iſt, ſich den Beifall auch der geringſten ſeiner Zuhoͤrer zu er¬ werben. Aus der leichten Anordnung und dem redneriſchen fließenden Vortrage des Gegenſtandes, ohne alle geſchriebene Vorlage, machten ſich nicht im mindeſten die muͤhſeligen Studien und die gewiſſenhaft ſorgfaͤltigen Arbeiten fuͤhlbar, welche ſie gekoſtet hatten; die ſchnell voruͤbergehende an¬ ſchauliche Rede ſchien mehr eine Anregung und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/55>, abgerufen am 26.04.2024.