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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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Verfall eingetreten und die Schweizerschützen im¬
mer noch die seien, deren Vorfahren vor Jahr¬
hunderten die Straßburger besucht, wenn diese
schossen. Auch jetzt rollten ganze Bahnzüge voll
Schweizer nach Straßburg hinunter; aber es
gab dort keine freien reichsstädtischen Straßbur¬
ger mehr, sondern nur französische Elsässer und
französisches Militair.

Heinrich versöhnte sich also mit dem Zech¬
getöse, und zwar ließ er dem Gewalthaufen der
Trinker sein Recht der Majorität, ohne das Recht
seiner Person aufzugeben und sich diesmal ganz
ruhig und nüchtern zu erhalten, da ihm die
neueste Vergangenheit mit Dortchen und die nächste
Zukunft mit seiner Mutter alle Lust fern hielten,
sich irgendwie hervorthun und jubiliren zu wol¬
len. Dagegen kaufte er sich in der Stadt ein
gutes Geschoß und mischte sich unter die Schie¬
ßenden, nicht um irgend sein Glück zu versuchen,
sondern um zu sehen, ob er für seinen Hand¬
gebrauch und für den Nothfall etwa im Ernste
mitzugehen im Stande wäre. Er hatte frü¬
her, ehe er in die Fremde gegangen, nur wenig

Verfall eingetreten und die Schweizerſchuͤtzen im¬
mer noch die ſeien, deren Vorfahren vor Jahr¬
hunderten die Straßburger beſucht, wenn dieſe
ſchoſſen. Auch jetzt rollten ganze Bahnzuͤge voll
Schweizer nach Straßburg hinunter; aber es
gab dort keine freien reichsſtaͤdtiſchen Straßbur¬
ger mehr, ſondern nur franzoͤſiſche Elſaͤſſer und
franzoͤſiſches Militair.

Heinrich verſoͤhnte ſich alſo mit dem Zech¬
getoͤſe, und zwar ließ er dem Gewalthaufen der
Trinker ſein Recht der Majoritaͤt, ohne das Recht
ſeiner Perſon aufzugeben und ſich diesmal ganz
ruhig und nuͤchtern zu erhalten, da ihm die
neueſte Vergangenheit mit Dortchen und die naͤchſte
Zukunft mit ſeiner Mutter alle Luſt fern hielten,
ſich irgendwie hervorthun und jubiliren zu wol¬
len. Dagegen kaufte er ſich in der Stadt ein
gutes Geſchoß und miſchte ſich unter die Schie¬
ßenden, nicht um irgend ſein Gluͤck zu verſuchen,
ſondern um zu ſehen, ob er fuͤr ſeinen Hand¬
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[462/0472] Verfall eingetreten und die Schweizerſchuͤtzen im¬ mer noch die ſeien, deren Vorfahren vor Jahr¬ hunderten die Straßburger beſucht, wenn dieſe ſchoſſen. Auch jetzt rollten ganze Bahnzuͤge voll Schweizer nach Straßburg hinunter; aber es gab dort keine freien reichsſtaͤdtiſchen Straßbur¬ ger mehr, ſondern nur franzoͤſiſche Elſaͤſſer und franzoͤſiſches Militair. Heinrich verſoͤhnte ſich alſo mit dem Zech¬ getoͤſe, und zwar ließ er dem Gewalthaufen der Trinker ſein Recht der Majoritaͤt, ohne das Recht ſeiner Perſon aufzugeben und ſich diesmal ganz ruhig und nuͤchtern zu erhalten, da ihm die neueſte Vergangenheit mit Dortchen und die naͤchſte Zukunft mit ſeiner Mutter alle Luſt fern hielten, ſich irgendwie hervorthun und jubiliren zu wol¬ len. Dagegen kaufte er ſich in der Stadt ein gutes Geſchoß und miſchte ſich unter die Schie¬ ßenden, nicht um irgend ſein Gluͤck zu verſuchen, ſondern um zu ſehen, ob er fuͤr ſeinen Hand¬ gebrauch und fuͤr den Nothfall etwa im Ernſte mitzugehen im Stande waͤre. Er hatte fruͤ¬ her, ehe er in die Fremde gegangen, nur wenig

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/472>, abgerufen am 26.04.2024.