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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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Frauenzimmer, welche noch mit der Puppe spielten,
als Du verreiset bist! Kennst Du uns noch?"

"Alle Himmel!" rief Heinrich, "wie die Zeit
vergeht! Wer hätte das gedacht? Eure Ge¬
sichtchen sind aber lieblichere Zeitsonnenuhren, als
die da drüben! Welche Zeit ist es, Du kleine
Schlanke?"

"Es ist Heirathenszeit," lachte hold die An¬
geredete, und Heinrich rief hocherfreut und
lachend, indem er ihr das zarte Kinn streichelte:
"Warte Du einen Augenblick, ich will nur erst
meine Mutter aufsuchen und mit ihr Absprache
nehmen!"

Er flog eilig vom Thurm hernieder und die
bergige Stadt hinanreitend suchte er endlich
die Straße und das Haus seiner Mutter auf.
Das schwere Pferd konnte aber nur mühsam
vorwärts und es dünkte Heinrich eine qualvolle
Ewigkeit, bis er endlich vor dem ersehnten Hause
anlangte. Da fiel das Thier vor der Hausthür
zusammen und verwandelte sich zum Theil wieder
in das Gold, aus welchem es entstanden, zum
Theil in die schönsten und reichsten Effecten und

Frauenzimmer, welche noch mit der Puppe ſpielten,
als Du verreiſet biſt! Kennſt Du uns noch?«

»Alle Himmel!« rief Heinrich, »wie die Zeit
vergeht! Wer haͤtte das gedacht? Eure Ge¬
ſichtchen ſind aber lieblichere Zeitſonnenuhren, als
die da druͤben! Welche Zeit iſt es, Du kleine
Schlanke?«

»Es iſt Heirathenszeit,« lachte hold die An¬
geredete, und Heinrich rief hocherfreut und
lachend, indem er ihr das zarte Kinn ſtreichelte:
»Warte Du einen Augenblick, ich will nur erſt
meine Mutter aufſuchen und mit ihr Abſprache
nehmen!«

Er flog eilig vom Thurm hernieder und die
bergige Stadt hinanreitend ſuchte er endlich
die Straße und das Haus ſeiner Mutter auf.
Das ſchwere Pferd konnte aber nur muͤhſam
vorwaͤrts und es duͤnkte Heinrich eine qualvolle
Ewigkeit, bis er endlich vor dem erſehnten Hauſe
anlangte. Da fiel das Thier vor der Hausthuͤr
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[256/0266] Frauenzimmer, welche noch mit der Puppe ſpielten, als Du verreiſet biſt! Kennſt Du uns noch?« »Alle Himmel!« rief Heinrich, »wie die Zeit vergeht! Wer haͤtte das gedacht? Eure Ge¬ ſichtchen ſind aber lieblichere Zeitſonnenuhren, als die da druͤben! Welche Zeit iſt es, Du kleine Schlanke?« »Es iſt Heirathenszeit,« lachte hold die An¬ geredete, und Heinrich rief hocherfreut und lachend, indem er ihr das zarte Kinn ſtreichelte: »Warte Du einen Augenblick, ich will nur erſt meine Mutter aufſuchen und mit ihr Abſprache nehmen!« Er flog eilig vom Thurm hernieder und die bergige Stadt hinanreitend ſuchte er endlich die Straße und das Haus ſeiner Mutter auf. Das ſchwere Pferd konnte aber nur muͤhſam vorwaͤrts und es duͤnkte Heinrich eine qualvolle Ewigkeit, bis er endlich vor dem erſehnten Hauſe anlangte. Da fiel das Thier vor der Hausthuͤr zuſammen und verwandelte ſich zum Theil wieder in das Gold, aus welchem es entſtanden, zum Theil in die ſchoͤnſten und reichſten Effecten und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/266>, abgerufen am 26.04.2024.