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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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dieser Stoß gewesen, daß er sich wie geschändet
fühlte und ihn unwillkürlich verschwieg.

Er ging dessenungeachtet mit dem wenigen
Gelde um, als ob er ohne alle Sorgen wäre,
und das betrachten wir eher als eine Tugend,
denn als einen Fehler. Die einen Menschen ver¬
halten sich unablässig im Kleinen höchst zweck¬
mäßig, ausdauernd und ängstlich, ohne je einen
festen Grund unter den Füßen und ein klares
Ziel vor Augen zu haben, indessen Anderen es
unmöglich ist, ohne diesen Grund und dieses Ziel
sich zweckmäßig und absichtlich zu verhalten, aus
dem einfachen Grunde, weil sie gerade aus Zweck¬
mäßigkeit nicht aus Nichts etwas machen können
und wollen. Diese halten es dann für die größte
Zweckmäßigkeit, sich nicht am Nichtssagenden auf¬
zureiben, sondern Wind und Wellen mit der tie¬
feren, der wahren menschlichen Geduld über sich
ergehen zu lassen, aber jeden Augenblick bereit,
das rettende Tau zu ergreifen, wenn sie nur erst
sehen, daß es irgendwo befestigt ist. Sind sie
am Lande, so wissen sie, daß sie alsdann wieder
die Meister sind, während jene noch auf ihren

dieſer Stoß geweſen, daß er ſich wie geſchaͤndet
fuͤhlte und ihn unwillkuͤrlich verſchwieg.

Er ging deſſenungeachtet mit dem wenigen
Gelde um, als ob er ohne alle Sorgen waͤre,
und das betrachten wir eher als eine Tugend,
denn als einen Fehler. Die einen Menſchen ver¬
halten ſich unablaͤſſig im Kleinen hoͤchſt zweck¬
maͤßig, ausdauernd und aͤngſtlich, ohne je einen
feſten Grund unter den Fuͤßen und ein klares
Ziel vor Augen zu haben, indeſſen Anderen es
unmoͤglich iſt, ohne dieſen Grund und dieſes Ziel
ſich zweckmaͤßig und abſichtlich zu verhalten, aus
dem einfachen Grunde, weil ſie gerade aus Zweck¬
maͤßigkeit nicht aus Nichts etwas machen koͤnnen
und wollen. Dieſe halten es dann fuͤr die groͤßte
Zweckmaͤßigkeit, ſich nicht am Nichtsſagenden auf¬
zureiben, ſondern Wind und Wellen mit der tie¬
feren, der wahren menſchlichen Geduld uͤber ſich
ergehen zu laſſen, aber jeden Augenblick bereit,
das rettende Tau zu ergreifen, wenn ſie nur erſt
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[166/0176] dieſer Stoß geweſen, daß er ſich wie geſchaͤndet fuͤhlte und ihn unwillkuͤrlich verſchwieg. Er ging deſſenungeachtet mit dem wenigen Gelde um, als ob er ohne alle Sorgen waͤre, und das betrachten wir eher als eine Tugend, denn als einen Fehler. Die einen Menſchen ver¬ halten ſich unablaͤſſig im Kleinen hoͤchſt zweck¬ maͤßig, ausdauernd und aͤngſtlich, ohne je einen feſten Grund unter den Fuͤßen und ein klares Ziel vor Augen zu haben, indeſſen Anderen es unmoͤglich iſt, ohne dieſen Grund und dieſes Ziel ſich zweckmaͤßig und abſichtlich zu verhalten, aus dem einfachen Grunde, weil ſie gerade aus Zweck¬ maͤßigkeit nicht aus Nichts etwas machen koͤnnen und wollen. Dieſe halten es dann fuͤr die groͤßte Zweckmaͤßigkeit, ſich nicht am Nichtsſagenden auf¬ zureiben, ſondern Wind und Wellen mit der tie¬ feren, der wahren menſchlichen Geduld uͤber ſich ergehen zu laſſen, aber jeden Augenblick bereit, das rettende Tau zu ergreifen, wenn ſie nur erſt ſehen, daß es irgendwo befeſtigt iſt. Sind ſie am Lande, ſo wiſſen ſie, daß ſie alsdann wieder die Meiſter ſind, waͤhrend jene noch auf ihren

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/176>, abgerufen am 26.04.2024.