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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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weist die fürchterliche Dummheit, mit welcher er
tiefer zu sein glaubt, als die Kluft zwischen
Wahrheit und Lüge, die gräuliche Naivetät, mit
welcher er allen Ernstes glaubt, etwas Erkleckli¬
ches hervorzubringen durch die krasse Weltklug¬
heit, die er in tausend verbohrte Schädel pflanzt,
geschwollen von Herrsch- und Imponirsucht, und
der Köhlerglaube, daß eine Armee solcher metho¬
disirten Hans Narren eine höhere positive Welt
bauen und sichern werden, die einen eigenen Leib
und Geist habe.

Welch' eine kindische Unbefangenheit für Leute,
welche etwas Großes wollen: fortwährend mit
der einen Hand eine sogenannte Casuistik anzu¬
wenden und mit der anderen abzuläugnen, als ob
der Weltgang Muße und Unschuld genug hätte,
auf dergleichen Thorheiten einzugehen, und als
ob ein großer Zweck mit kleinlichen Mitteln er¬
reichbar wäre! Deswegen ist auch der Jesuiten¬
spruch: der Zweck heiligt die Mittel! ein charak¬
teristischer Hauptunsinn; denn nicht nur heiligt
kein Zweck ihm entgegengesetzte Mittel, sondern

weiſt die fuͤrchterliche Dummheit, mit welcher er
tiefer zu ſein glaubt, als die Kluft zwiſchen
Wahrheit und Luͤge, die graͤuliche Naivetaͤt, mit
welcher er allen Ernſtes glaubt, etwas Erkleckli¬
ches hervorzubringen durch die kraſſe Weltklug¬
heit, die er in tauſend verbohrte Schaͤdel pflanzt,
geſchwollen von Herrſch- und Imponirſucht, und
der Koͤhlerglaube, daß eine Armee ſolcher metho¬
diſirten Hans Narren eine hoͤhere poſitive Welt
bauen und ſichern werden, die einen eigenen Leib
und Geiſt habe.

Welch' eine kindiſche Unbefangenheit fuͤr Leute,
welche etwas Großes wollen: fortwaͤhrend mit
der einen Hand eine ſogenannte Caſuiſtik anzu¬
wenden und mit der anderen abzulaͤugnen, als ob
der Weltgang Muße und Unſchuld genug haͤtte,
auf dergleichen Thorheiten einzugehen, und als
ob ein großer Zweck mit kleinlichen Mitteln er¬
reichbar waͤre! Deswegen iſt auch der Jeſuiten¬
ſpruch: der Zweck heiligt die Mittel! ein charak¬
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[92/0102] weiſt die fuͤrchterliche Dummheit, mit welcher er tiefer zu ſein glaubt, als die Kluft zwiſchen Wahrheit und Luͤge, die graͤuliche Naivetaͤt, mit welcher er allen Ernſtes glaubt, etwas Erkleckli¬ ches hervorzubringen durch die kraſſe Weltklug¬ heit, die er in tauſend verbohrte Schaͤdel pflanzt, geſchwollen von Herrſch- und Imponirſucht, und der Koͤhlerglaube, daß eine Armee ſolcher metho¬ diſirten Hans Narren eine hoͤhere poſitive Welt bauen und ſichern werden, die einen eigenen Leib und Geiſt habe. Welch' eine kindiſche Unbefangenheit fuͤr Leute, welche etwas Großes wollen: fortwaͤhrend mit der einen Hand eine ſogenannte Caſuiſtik anzu¬ wenden und mit der anderen abzulaͤugnen, als ob der Weltgang Muße und Unſchuld genug haͤtte, auf dergleichen Thorheiten einzugehen, und als ob ein großer Zweck mit kleinlichen Mitteln er¬ reichbar waͤre! Deswegen iſt auch der Jeſuiten¬ ſpruch: der Zweck heiligt die Mittel! ein charak¬ teriſtiſcher Hauptunſinn; denn nicht nur heiligt kein Zweck ihm entgegengeſetzte Mittel, ſondern

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/102>, abgerufen am 26.04.2024.