Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.Geist Reist Denken Lenken Macht Racht Jugend Halberstadt, den 20. Febr. 1762. Das Thier hat bloß Instinkt; der Mensch hat einen Geist, Der mit Gedanken schnell die ganze Welt durchreist. Ein Hund erinnert sich; ein Biber scheint zu denken; Doch keiner kann den Blick bis an den Himmel lenken. Nicht zur Unsterblichkeit gemacht Sind Adler groß und stolz; ihr Tod ist tiefe Nacht. Des Menschen Seele nur fühlt ewig ihre Jugend, Erkennet Gott und sich, die Welt, die schöne Tugend; Ist voll Empfindungen und für Vernunft und Wiz Ein von des Schöpfers Hand fein ausgebauter Siz. Sie liebet oder haßt, verwirft und weiß zu wählen; Ein Zufall macht sie froh; ein Zufall kann sie quälen. Sie denkt und ihr Begrif macht sich durch unsern Mund, Durch unsers Auges Blick und in Geberden kund. Sie freut des Lebens sich und fürchtet nicht zu sterben; Der Heiden Tugend selbst hofft ein zukünftigs Erben. Geiſt Reiſt Denken Lenken Macht Racht Jugend Halberſtadt, den 20. Febr. 1762. Das Thier hat bloß Inſtinkt; der Menſch hat einen Geiſt, Der mit Gedanken ſchnell die ganze Welt durchreiſt. Ein Hund erinnert ſich; ein Biber ſcheint zu denken; Doch keiner kann den Blick bis an den Himmel lenken. Nicht zur Unſterblichkeit gemacht Sind Adler groß und ſtolz; ihr Tod iſt tiefe Nacht. Des Menſchen Seele nur fuͤhlt ewig ihre Jugend, Erkennet Gott und ſich, die Welt, die ſchoͤne Tugend; Iſt voll Empfindungen und fuͤr Vernunft und Wiz Ein von des Schoͤpfers Hand fein ausgebauter Siz. Sie liebet oder haßt, verwirft und weiß zu waͤhlen; Ein Zufall macht ſie froh; ein Zufall kann ſie quaͤlen. Sie denkt und ihr Begrif macht ſich durch unſern Mund, Durch unſers Auges Blick und in Geberden kund. Sie freut des Lebens ſich und fuͤrchtet nicht zu ſterben; Der Heiden Tugend ſelbſt hofft ein zukuͤnftigs Erben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0478" n="318"/> <div n="3"> <p>Geiſt Reiſt Denken Lenken Macht Racht Jugend<lb/> Tugend Wiz Siz Waͤhlen Quaͤlen Mund Kund<lb/> Sterben Erben Licht Bricht Wollen Sollen Bald<lb/> Kalt Thraͤnen Sehnen Herz Schmerz Loben Toben<lb/> Schuld Geduld Garten Warten Strebt Lebt<lb/> Umarmen Erbarmen Gewebt Gelebt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="4"> <head> <date> <hi rendition="#c">Halberſtadt, den 20. Febr. 1762.</hi> </date> </head><lb/> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">D</hi>as Thier hat bloß Inſtinkt; der Menſch hat</l><lb/> <l>einen Geiſt,</l><lb/> <l>Der mit Gedanken ſchnell die ganze Welt durchreiſt.</l><lb/> <l>Ein Hund erinnert ſich; ein Biber ſcheint zu denken;</l><lb/> <l>Doch keiner kann den Blick bis an den Himmel lenken.</l><lb/> <l>Nicht zur Unſterblichkeit gemacht</l><lb/> <l>Sind Adler groß und ſtolz; ihr Tod iſt tiefe Nacht.</l><lb/> <l>Des Menſchen Seele nur fuͤhlt ewig ihre Jugend,</l><lb/> <l>Erkennet Gott und ſich, die Welt, die ſchoͤne Tugend;</l><lb/> <l>Iſt voll Empfindungen und fuͤr Vernunft und Wiz</l><lb/> <l>Ein von des Schoͤpfers Hand fein ausgebauter Siz.</l><lb/> <l>Sie liebet oder haßt, verwirft und weiß zu waͤhlen;</l><lb/> <l>Ein Zufall macht ſie froh; ein Zufall kann ſie quaͤlen.</l><lb/> <l>Sie denkt und ihr Begrif macht ſich durch unſern</l><lb/> <l>Mund,</l><lb/> <l>Durch unſers Auges Blick und in Geberden kund.</l><lb/> <l>Sie freut des Lebens ſich und fuͤrchtet nicht zu ſterben;</l><lb/> <l>Der Heiden Tugend ſelbſt hofft ein zukuͤnftigs Erben.</l><lb/> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [318/0478]
Geiſt Reiſt Denken Lenken Macht Racht Jugend
Tugend Wiz Siz Waͤhlen Quaͤlen Mund Kund
Sterben Erben Licht Bricht Wollen Sollen Bald
Kalt Thraͤnen Sehnen Herz Schmerz Loben Toben
Schuld Geduld Garten Warten Strebt Lebt
Umarmen Erbarmen Gewebt Gelebt.
Halberſtadt, den 20. Febr. 1762.
Das Thier hat bloß Inſtinkt; der Menſch hat
einen Geiſt,
Der mit Gedanken ſchnell die ganze Welt durchreiſt.
Ein Hund erinnert ſich; ein Biber ſcheint zu denken;
Doch keiner kann den Blick bis an den Himmel lenken.
Nicht zur Unſterblichkeit gemacht
Sind Adler groß und ſtolz; ihr Tod iſt tiefe Nacht.
Des Menſchen Seele nur fuͤhlt ewig ihre Jugend,
Erkennet Gott und ſich, die Welt, die ſchoͤne Tugend;
Iſt voll Empfindungen und fuͤr Vernunft und Wiz
Ein von des Schoͤpfers Hand fein ausgebauter Siz.
Sie liebet oder haßt, verwirft und weiß zu waͤhlen;
Ein Zufall macht ſie froh; ein Zufall kann ſie quaͤlen.
Sie denkt und ihr Begrif macht ſich durch unſern
Mund,
Durch unſers Auges Blick und in Geberden kund.
Sie freut des Lebens ſich und fuͤrchtet nicht zu ſterben;
Der Heiden Tugend ſelbſt hofft ein zukuͤnftigs Erben.
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