Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
Schöne sich unternimmt oder darauf Anspruch macht.
Es ist ein Urtheil in Beziehung auf die Geselligkeit, so-
fern sie auf empirischen Regeln beruht. Jn Ansehung des
Guten machen die Urtheile zwar auch mit Recht auf Gül-
tigkeit für jedermann Anspruch, allein das Gute wird
nur durch einen Begrif als Object eines allgemeinen
Wohlgefallens vorgestellt, welches weder beym Ange-
nehmen noch Schönen der Fall ist.

§. 8.
Die Allgemeinheit des Wohlgefallens wird in
einem Geschmacksurtheile nur als sub-
jectiv vorgestellt.

Diese besondere Bestimmung der Allgemeinheit eines
ästhetischen Urtheils, die sich in einem Geschmacksurtheile
antreffen läßt, ist eine Merkwürdigkeit, zwar nicht für
den Logiker, aber wohl für den Transscendental-Philo-
sophen, welche ihre nicht geringe Bemühung auffordert,
um den Ursprung derselben zu entdecken, dafür aber auch
eine Eigenschaft unseres Erkenntnisvermögens aufdeckt,
welche, ohne diese Zergliederung, unbekannt geblie-
ben wäre.

Zuerst muß man sich davon völlig überzeugen: daß
man durchs Geschmacksurtheil (über das Schöne) das
Wohlgefallen an einem Gegenstande jedermann an-
sinne, ohne sich doch auf einem Begriffe zu gründen
(denn da wäre es das Gute), und daß dieser An-

B 3

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Schoͤne ſich unternimmt oder darauf Anſpruch macht.
Es iſt ein Urtheil in Beziehung auf die Geſelligkeit, ſo-
fern ſie auf empiriſchen Regeln beruht. Jn Anſehung des
Guten machen die Urtheile zwar auch mit Recht auf Guͤl-
tigkeit fuͤr jedermann Anſpruch, allein das Gute wird
nur durch einen Begrif als Object eines allgemeinen
Wohlgefallens vorgeſtellt, welches weder beym Ange-
nehmen noch Schoͤnen der Fall iſt.

§. 8.
Die Allgemeinheit des Wohlgefallens wird in
einem Geſchmacksurtheile nur als ſub-
jectiv vorgeſtellt.

Dieſe beſondere Beſtimmung der Allgemeinheit eines
aͤſthetiſchen Urtheils, die ſich in einem Geſchmacksurtheile
antreffen laͤßt, iſt eine Merkwuͤrdigkeit, zwar nicht fuͤr
den Logiker, aber wohl fuͤr den Transſcendental-Philo-
ſophen, welche ihre nicht geringe Bemuͤhung auffordert,
um den Urſprung derſelben zu entdecken, dafuͤr aber auch
eine Eigenſchaft unſeres Erkenntnisvermoͤgens aufdeckt,
welche, ohne dieſe Zergliederung, unbekannt geblie-
ben waͤre.

Zuerſt muß man ſich davon voͤllig uͤberzeugen: daß
man durchs Geſchmacksurtheil (uͤber das Schoͤne) das
Wohlgefallen an einem Gegenſtande jedermann an-
ſinne, ohne ſich doch auf einem Begriffe zu gruͤnden
(denn da waͤre es das Gute), und daß dieſer An-

B 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0085" n="21"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
Scho&#x0364;ne &#x017F;ich unternimmt oder darauf An&#x017F;pruch macht.<lb/>
Es i&#x017F;t ein Urtheil in Beziehung auf die Ge&#x017F;elligkeit, &#x017F;o-<lb/>
fern &#x017F;ie auf empiri&#x017F;chen Regeln beruht. Jn An&#x017F;ehung des<lb/>
Guten machen die Urtheile zwar auch mit Recht auf Gu&#x0364;l-<lb/>
tigkeit fu&#x0364;r jedermann An&#x017F;pruch, allein das Gute wird<lb/>
nur <hi rendition="#fr">durch einen Begrif</hi> als Object eines allgemeinen<lb/>
Wohlgefallens vorge&#x017F;tellt, welches weder beym Ange-<lb/>
nehmen noch Scho&#x0364;nen der Fall i&#x017F;t.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#b">§. 8.<lb/>
Die Allgemeinheit des Wohlgefallens wird in<lb/>
einem Ge&#x017F;chmacksurtheile nur als &#x017F;ub-<lb/>
jectiv vorge&#x017F;tellt.</hi> </head><lb/>
                <p>Die&#x017F;e be&#x017F;ondere Be&#x017F;timmung der Allgemeinheit eines<lb/>
a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheils, die &#x017F;ich in einem Ge&#x017F;chmacksurtheile<lb/>
antreffen la&#x0364;ßt, i&#x017F;t eine Merkwu&#x0364;rdigkeit, zwar nicht fu&#x0364;r<lb/>
den Logiker, aber wohl fu&#x0364;r den Trans&#x017F;cendental-Philo-<lb/>
&#x017F;ophen, welche ihre nicht geringe Bemu&#x0364;hung auffordert,<lb/>
um den Ur&#x017F;prung der&#x017F;elben zu entdecken, dafu&#x0364;r aber auch<lb/>
eine Eigen&#x017F;chaft un&#x017F;eres Erkenntnisvermo&#x0364;gens aufdeckt,<lb/>
welche, ohne die&#x017F;e Zergliederung, unbekannt geblie-<lb/>
ben wa&#x0364;re.</p><lb/>
                <p>Zuer&#x017F;t muß man &#x017F;ich davon vo&#x0364;llig u&#x0364;berzeugen: daß<lb/>
man durchs Ge&#x017F;chmacksurtheil (u&#x0364;ber das Scho&#x0364;ne) das<lb/>
Wohlgefallen an einem Gegen&#x017F;tande <hi rendition="#fr">jedermann</hi> an-<lb/>
&#x017F;inne, ohne &#x017F;ich doch auf einem Begriffe zu gru&#x0364;nden<lb/>
(denn da wa&#x0364;re es das Gute), und daß die&#x017F;er An-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 3</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0085] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. Schoͤne ſich unternimmt oder darauf Anſpruch macht. Es iſt ein Urtheil in Beziehung auf die Geſelligkeit, ſo- fern ſie auf empiriſchen Regeln beruht. Jn Anſehung des Guten machen die Urtheile zwar auch mit Recht auf Guͤl- tigkeit fuͤr jedermann Anſpruch, allein das Gute wird nur durch einen Begrif als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorgeſtellt, welches weder beym Ange- nehmen noch Schoͤnen der Fall iſt. §. 8. Die Allgemeinheit des Wohlgefallens wird in einem Geſchmacksurtheile nur als ſub- jectiv vorgeſtellt. Dieſe beſondere Beſtimmung der Allgemeinheit eines aͤſthetiſchen Urtheils, die ſich in einem Geſchmacksurtheile antreffen laͤßt, iſt eine Merkwuͤrdigkeit, zwar nicht fuͤr den Logiker, aber wohl fuͤr den Transſcendental-Philo- ſophen, welche ihre nicht geringe Bemuͤhung auffordert, um den Urſprung derſelben zu entdecken, dafuͤr aber auch eine Eigenſchaft unſeres Erkenntnisvermoͤgens aufdeckt, welche, ohne dieſe Zergliederung, unbekannt geblie- ben waͤre. Zuerſt muß man ſich davon voͤllig uͤberzeugen: daß man durchs Geſchmacksurtheil (uͤber das Schoͤne) das Wohlgefallen an einem Gegenſtande jedermann an- ſinne, ohne ſich doch auf einem Begriffe zu gruͤnden (denn da waͤre es das Gute), und daß dieſer An- B 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/85
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/85>, abgerufen am 20.11.2024.