§. 66. Vom Princip der Beurtheilung der innern Zweckmäßigkeit in organisirten Wesen.
Dieses Princip, zugleich die Definition derselben, heißt: Ein organisirtes Product der Natur ist das, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist. Nichts in ihm ist umsonst, zwecklos, oder einem blinden Naturmechanism zuzuschreiben.
Dieses Princip ist zwar seiner Veranlassung nach, von Erfahrung abzuleiten, nämlich derjenigen, welche methodisch angestellt wird und Beobachtung heißt; der Allgemeinheit und Nothwendigkeit wegen aber, die es von einer solchen Zweckmäßigkeit anssagt, kann es nicht blos auf Erfahrungsgründen beruhen, sondern muß irgend ein Princip a priori, wenn es gleich blos regula- tiv wäre und jene Zwecke allein in der Jdee des Beur- theilenden und nirgend in einer wirkenden Ursache lägen, zum Grunde haben. Man kann daher obgenanntes Princip eine Maxime der Beurtheilung der inneren Zweckmäßigkeit organisirter Wesen nennen.
Daß die Zergliederer der Gewächse und Thiere, um ihre Structur zu erforschen und die Gründe einsehen zu können, warum und zu welchem Ende solche Theile, wa- rum eine solche Lage und Verbindung der Theile und ge- rade diese innere Form ihnen gegeben worden, jene Maxime: daß nichts in einem solchen Geschöpf umsonst
II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
§. 66. Vom Princip der Beurtheilung der innern Zweckmaͤßigkeit in organiſirten Weſen.
Dieſes Princip, zugleich die Definition derſelben, heißt: Ein organiſirtes Product der Natur iſt das, in welchem alles Zweck und wechſelſeitig auch Mittel iſt. Nichts in ihm iſt umſonſt, zwecklos, oder einem blinden Naturmechanism zuzuſchreiben.
Dieſes Princip iſt zwar ſeiner Veranlaſſung nach, von Erfahrung abzuleiten, naͤmlich derjenigen, welche methodiſch angeſtellt wird und Beobachtung heißt; der Allgemeinheit und Nothwendigkeit wegen aber, die es von einer ſolchen Zweckmaͤßigkeit ansſagt, kann es nicht blos auf Erfahrungsgruͤnden beruhen, ſondern muß irgend ein Princip a priori, wenn es gleich blos regula- tiv waͤre und jene Zwecke allein in der Jdee des Beur- theilenden und nirgend in einer wirkenden Urſache laͤgen, zum Grunde haben. Man kann daher obgenanntes Princip eine Maxime der Beurtheilung der inneren Zweckmaͤßigkeit organiſirter Weſen nennen.
Daß die Zergliederer der Gewaͤchſe und Thiere, um ihre Structur zu erforſchen und die Gruͤnde einſehen zu koͤnnen, warum und zu welchem Ende ſolche Theile, wa- rum eine ſolche Lage und Verbindung der Theile und ge- rade dieſe innere Form ihnen gegeben worden, jene Maxime: daß nichts in einem ſolchen Geſchoͤpf umſonſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0356"n="292"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">II.</hi> Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.</fw><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">§. 66.<lb/>
Vom Princip der Beurtheilung der innern<lb/>
Zweckmaͤßigkeit in organiſirten Weſen.</hi></head><lb/><p>Dieſes Princip, zugleich die Definition derſelben,<lb/>
heißt: <hirendition="#fr">Ein organiſirtes Product der Natur iſt<lb/>
das, in welchem alles Zweck und wechſelſeitig<lb/>
auch Mittel iſt.</hi> Nichts in ihm iſt umſonſt, zwecklos,<lb/>
oder einem blinden Naturmechanism zuzuſchreiben.</p><lb/><p>Dieſes Princip iſt zwar ſeiner Veranlaſſung nach,<lb/>
von Erfahrung abzuleiten, naͤmlich derjenigen, welche<lb/>
methodiſch angeſtellt wird und Beobachtung heißt; der<lb/>
Allgemeinheit und Nothwendigkeit wegen aber, die es<lb/>
von einer ſolchen Zweckmaͤßigkeit ansſagt, kann es nicht<lb/>
blos auf Erfahrungsgruͤnden beruhen, ſondern muß<lb/>
irgend ein Princip <hirendition="#aq">a priori</hi>, wenn es gleich blos regula-<lb/>
tiv waͤre und jene Zwecke allein in der Jdee des Beur-<lb/>
theilenden und nirgend in einer wirkenden Urſache laͤgen,<lb/>
zum Grunde haben. Man kann daher obgenanntes<lb/>
Princip eine <hirendition="#fr">Maxime</hi> der Beurtheilung der inneren<lb/>
Zweckmaͤßigkeit organiſirter Weſen nennen.</p><lb/><p>Daß die Zergliederer der Gewaͤchſe und Thiere, um<lb/>
ihre Structur zu erforſchen und die Gruͤnde einſehen zu<lb/>
koͤnnen, warum und zu welchem Ende ſolche Theile, wa-<lb/>
rum eine ſolche Lage und Verbindung der Theile und ge-<lb/>
rade dieſe innere Form ihnen gegeben worden, jene<lb/>
Maxime: daß nichts in einem ſolchen Geſchoͤpf <hirendition="#fr">umſonſt</hi><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[292/0356]
II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
§. 66.
Vom Princip der Beurtheilung der innern
Zweckmaͤßigkeit in organiſirten Weſen.
Dieſes Princip, zugleich die Definition derſelben,
heißt: Ein organiſirtes Product der Natur iſt
das, in welchem alles Zweck und wechſelſeitig
auch Mittel iſt. Nichts in ihm iſt umſonſt, zwecklos,
oder einem blinden Naturmechanism zuzuſchreiben.
Dieſes Princip iſt zwar ſeiner Veranlaſſung nach,
von Erfahrung abzuleiten, naͤmlich derjenigen, welche
methodiſch angeſtellt wird und Beobachtung heißt; der
Allgemeinheit und Nothwendigkeit wegen aber, die es
von einer ſolchen Zweckmaͤßigkeit ansſagt, kann es nicht
blos auf Erfahrungsgruͤnden beruhen, ſondern muß
irgend ein Princip a priori, wenn es gleich blos regula-
tiv waͤre und jene Zwecke allein in der Jdee des Beur-
theilenden und nirgend in einer wirkenden Urſache laͤgen,
zum Grunde haben. Man kann daher obgenanntes
Princip eine Maxime der Beurtheilung der inneren
Zweckmaͤßigkeit organiſirter Weſen nennen.
Daß die Zergliederer der Gewaͤchſe und Thiere, um
ihre Structur zu erforſchen und die Gruͤnde einſehen zu
koͤnnen, warum und zu welchem Ende ſolche Theile, wa-
rum eine ſolche Lage und Verbindung der Theile und ge-
rade dieſe innere Form ihnen gegeben worden, jene
Maxime: daß nichts in einem ſolchen Geſchoͤpf umſonſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/356>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.