des Genusses, aus bloßer Empfindung, sondern der Re- flexion seyn müsse und so ist ästhetische Kunst, als schöne Kunst, eine solche, die die reflectirende Urtheilskraft und nicht die Sinnenempfindung zum Richtmaaße hat.
§. 45. Schöne Kunst ist eine Kunst so fern sie zugleich Natur zu seyn scheint.
An einem Producte der schönen Kunst muß man sich bewußt werden, daß es Kunst sey und nicht Natur, aber doch muß die Zweckmäßigkeit in der Form desselben von allem Zwange willkührlicher Regeln so frey scheinen, als ob es ein Product der bloßen Natur sey. Auf diesem Gefühle der Freyheit im Spiele unserer Erkenntnisver- mögen, welches doch zugleich zweckmäßig seyn muß, be- ruht diejenige Lust, welche allein allgemein mittheilbar ist, ohne sich doch auf Begriffe zu gründen. Die Na- tur war schön, wenn sie zugleich als Kunst aussahe und die Kunst kann nur schön genannt werden, wenn wir uns bewußt sind, sie sey Kunst und sie uns doch als Na- tur aussieht.
Denn wir können allgemein sagen, es mag die Na- tur- oder die Kunstschönheit betreffen, schön ist das, was in der bloßen Beurtheilung (nicht in der Sinnenempfindung noch durch einen Begrif) gefällt. Nun hat Kunst jederzeit eine bestimmte Absicht etwas hervorzubringen. Wenn dieses aber bloße Empfindung
Kants Crit. d. Urtheilskr. M
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
des Genuſſes, aus bloßer Empfindung, ſondern der Re- flexion ſeyn muͤſſe und ſo iſt aͤſthetiſche Kunſt, als ſchoͤne Kunſt, eine ſolche, die die reflectirende Urtheilskraft und nicht die Sinnenempfindung zum Richtmaaße hat.
§. 45. Schoͤne Kunſt iſt eine Kunſt ſo fern ſie zugleich Natur zu ſeyn ſcheint.
An einem Producte der ſchoͤnen Kunſt muß man ſich bewußt werden, daß es Kunſt ſey und nicht Natur, aber doch muß die Zweckmaͤßigkeit in der Form deſſelben von allem Zwange willkuͤhrlicher Regeln ſo frey ſcheinen, als ob es ein Product der bloßen Natur ſey. Auf dieſem Gefuͤhle der Freyheit im Spiele unſerer Erkenntnisver- moͤgen, welches doch zugleich zweckmaͤßig ſeyn muß, be- ruht diejenige Luſt, welche allein allgemein mittheilbar iſt, ohne ſich doch auf Begriffe zu gruͤnden. Die Na- tur war ſchoͤn, wenn ſie zugleich als Kunſt ausſahe und die Kunſt kann nur ſchoͤn genannt werden, wenn wir uns bewußt ſind, ſie ſey Kunſt und ſie uns doch als Na- tur ausſieht.
Denn wir koͤnnen allgemein ſagen, es mag die Na- tur- oder die Kunſtſchoͤnheit betreffen, ſchoͤn iſt das, was in der bloßen Beurtheilung (nicht in der Sinnenempfindung noch durch einen Begrif) gefaͤllt. Nun hat Kunſt jederzeit eine beſtimmte Abſicht etwas hervorzubringen. Wenn dieſes aber bloße Empfindung
Kants Crit. d. Urtheilskr. M
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0241"n="177"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.</fw><lb/>
des Genuſſes, aus bloßer Empfindung, ſondern der Re-<lb/>
flexion ſeyn muͤſſe und ſo iſt aͤſthetiſche Kunſt, als ſchoͤne<lb/>
Kunſt, eine ſolche, die die reflectirende Urtheilskraft und<lb/>
nicht die Sinnenempfindung zum Richtmaaße hat.</p></div><lb/><divn="4"><head><hirendition="#b">§. 45.<lb/>
Schoͤne Kunſt iſt eine Kunſt ſo fern ſie zugleich<lb/>
Natur zu ſeyn ſcheint.</hi></head><lb/><p>An einem Producte der ſchoͤnen Kunſt muß man ſich<lb/>
bewußt werden, daß es Kunſt ſey und nicht Natur, aber<lb/>
doch muß die Zweckmaͤßigkeit in der Form deſſelben von<lb/>
allem Zwange willkuͤhrlicher Regeln ſo frey ſcheinen, als<lb/>
ob es ein Product der bloßen Natur ſey. Auf dieſem<lb/>
Gefuͤhle der Freyheit im Spiele unſerer Erkenntnisver-<lb/>
moͤgen, welches doch zugleich zweckmaͤßig ſeyn muß, be-<lb/>
ruht diejenige Luſt, welche allein allgemein mittheilbar<lb/>
iſt, ohne ſich doch auf Begriffe zu gruͤnden. Die Na-<lb/>
tur war ſchoͤn, wenn ſie zugleich als Kunſt ausſahe und<lb/>
die Kunſt kann nur ſchoͤn genannt werden, wenn wir<lb/>
uns bewußt ſind, ſie ſey Kunſt und ſie uns doch als Na-<lb/>
tur ausſieht.</p><lb/><p>Denn wir koͤnnen allgemein ſagen, es mag die Na-<lb/>
tur- oder die Kunſtſchoͤnheit betreffen, <hirendition="#fr">ſchoͤn iſt das,<lb/>
was in der bloßen Beurtheilung</hi> (nicht in der<lb/>
Sinnenempfindung noch durch einen Begrif) <hirendition="#fr">gefaͤllt</hi>.<lb/>
Nun hat Kunſt jederzeit eine beſtimmte Abſicht etwas<lb/>
hervorzubringen. Wenn dieſes aber bloße Empfindung<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Kants Crit. d. Urtheilskr</hi>. M</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[177/0241]
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
des Genuſſes, aus bloßer Empfindung, ſondern der Re-
flexion ſeyn muͤſſe und ſo iſt aͤſthetiſche Kunſt, als ſchoͤne
Kunſt, eine ſolche, die die reflectirende Urtheilskraft und
nicht die Sinnenempfindung zum Richtmaaße hat.
§. 45.
Schoͤne Kunſt iſt eine Kunſt ſo fern ſie zugleich
Natur zu ſeyn ſcheint.
An einem Producte der ſchoͤnen Kunſt muß man ſich
bewußt werden, daß es Kunſt ſey und nicht Natur, aber
doch muß die Zweckmaͤßigkeit in der Form deſſelben von
allem Zwange willkuͤhrlicher Regeln ſo frey ſcheinen, als
ob es ein Product der bloßen Natur ſey. Auf dieſem
Gefuͤhle der Freyheit im Spiele unſerer Erkenntnisver-
moͤgen, welches doch zugleich zweckmaͤßig ſeyn muß, be-
ruht diejenige Luſt, welche allein allgemein mittheilbar
iſt, ohne ſich doch auf Begriffe zu gruͤnden. Die Na-
tur war ſchoͤn, wenn ſie zugleich als Kunſt ausſahe und
die Kunſt kann nur ſchoͤn genannt werden, wenn wir
uns bewußt ſind, ſie ſey Kunſt und ſie uns doch als Na-
tur ausſieht.
Denn wir koͤnnen allgemein ſagen, es mag die Na-
tur- oder die Kunſtſchoͤnheit betreffen, ſchoͤn iſt das,
was in der bloßen Beurtheilung (nicht in der
Sinnenempfindung noch durch einen Begrif) gefaͤllt.
Nun hat Kunſt jederzeit eine beſtimmte Abſicht etwas
hervorzubringen. Wenn dieſes aber bloße Empfindung
Kants Crit. d. Urtheilskr. M
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/241>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.