jecte, jedem anderen ansinnen und sein Gefühl als allge- mein mittheilbar, und zwar ohne Vermittelung der Be- griffe, annehmen.
§. 40. Vom Geschmacke als einer Art von sensus communis.
Man giebt oft der Urtheilskraft, wenn nicht sowohl ihre Reflexion als vielmehr blos das Resultat derselben bemerklich ist, den Nahmen eines Sinnes und redet von einem Wahrheitssinne, von einem Sinne für Anstän- digkeit, Gerechtigkeit u. s. w.; ob man zwar weiß, we- nigstens billig wissen sollte, daß es nicht ein Sinn ist, in dem diese Begriffe ihren Sitz haben können, noch we- niger, daß dieser zu einem Ausspruche allgemeiner Re- geln die mindeste Fähigkeit habe, sondern daß uns von Wahrheit, Schicklichkeit, Schönheit, oder Gerechtig- keit nie eine Vorstellung dieser Art in Gedanken kommen könnte, wenn wir uns nicht über die Sinne zu höhern Erkenntnisvermögen erheben könnten. Der gemeine Menschenverstand, den man, als blos gesunden (noch nicht cultivirten) Verstand, für das geringste an- sieht, dessen man nur immer sich von dem, der auf den Nahmen eines Menschen Anspruch macht, gewärtigen kann, hat daher auch die kränkende Ehre mit dem Nah- men des Gemeinsinnes (sensus communis) belegt zu wer- den, und so, daß man unter dem Worte gemein (nicht
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
jecte, jedem anderen anſinnen und ſein Gefuͤhl als allge- mein mittheilbar, und zwar ohne Vermittelung der Be- griffe, annehmen.
§. 40. Vom Geſchmacke als einer Art von ſenſus communis.
Man giebt oft der Urtheilskraft, wenn nicht ſowohl ihre Reflexion als vielmehr blos das Reſultat derſelben bemerklich iſt, den Nahmen eines Sinnes und redet von einem Wahrheitsſinne, von einem Sinne fuͤr Anſtaͤn- digkeit, Gerechtigkeit u. ſ. w.; ob man zwar weiß, we- nigſtens billig wiſſen ſollte, daß es nicht ein Sinn iſt, in dem dieſe Begriffe ihren Sitz haben koͤnnen, noch we- niger, daß dieſer zu einem Ausſpruche allgemeiner Re- geln die mindeſte Faͤhigkeit habe, ſondern daß uns von Wahrheit, Schicklichkeit, Schoͤnheit, oder Gerechtig- keit nie eine Vorſtellung dieſer Art in Gedanken kommen koͤnnte, wenn wir uns nicht uͤber die Sinne zu hoͤhern Erkenntnisvermoͤgen erheben koͤnnten. Der gemeine Menſchenverſtand, den man, als blos geſunden (noch nicht cultivirten) Verſtand, fuͤr das geringſte an- ſieht, deſſen man nur immer ſich von dem, der auf den Nahmen eines Menſchen Anſpruch macht, gewaͤrtigen kann, hat daher auch die kraͤnkende Ehre mit dem Nah- men des Gemeinſinnes (ſenſus communis) belegt zu wer- den, und ſo, daß man unter dem Worte gemein (nicht
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
jecte, jedem anderen anſinnen und ſein Gefuͤhl als allge-
mein mittheilbar, und zwar ohne Vermittelung der Be-
griffe, annehmen.
§. 40.
Vom Geſchmacke als einer Art von ſenſus
communis.
Man giebt oft der Urtheilskraft, wenn nicht ſowohl
ihre Reflexion als vielmehr blos das Reſultat derſelben
bemerklich iſt, den Nahmen eines Sinnes und redet von
einem Wahrheitsſinne, von einem Sinne fuͤr Anſtaͤn-
digkeit, Gerechtigkeit u. ſ. w.; ob man zwar weiß, we-
nigſtens billig wiſſen ſollte, daß es nicht ein Sinn iſt,
in dem dieſe Begriffe ihren Sitz haben koͤnnen, noch we-
niger, daß dieſer zu einem Ausſpruche allgemeiner Re-
geln die mindeſte Faͤhigkeit habe, ſondern daß uns von
Wahrheit, Schicklichkeit, Schoͤnheit, oder Gerechtig-
keit nie eine Vorſtellung dieſer Art in Gedanken kommen
koͤnnte, wenn wir uns nicht uͤber die Sinne zu hoͤhern
Erkenntnisvermoͤgen erheben koͤnnten. Der gemeine
Menſchenverſtand, den man, als blos geſunden
(noch nicht cultivirten) Verſtand, fuͤr das geringſte an-
ſieht, deſſen man nur immer ſich von dem, der auf den
Nahmen eines Menſchen Anſpruch macht, gewaͤrtigen
kann, hat daher auch die kraͤnkende Ehre mit dem Nah-
men des Gemeinſinnes (ſenſus communis) belegt zu wer-
den, und ſo, daß man unter dem Worte gemein (nicht
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/218>, abgerufen am 21.12.2024.
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