Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
deren Vorstellung der Beyfall, den das Geschmacksur-
theil jedermann ansinnt, erzwungen werden könnte.

Die Auflösung dieser logischen Eigenthümlichkeiten
darin sich ein Geschmacksurtheil von allen Erkenntnis-
urtheilen unterscheidet, wenn wir hier anfänglich von
allem Jnhalte desselben, nämlich dem Gefühle der Lust
abstrahiren und blos die ästhetische Form mit der Form
der objectiven Urtheile, wie sie die Logik vorschreibt, ver-
gleichen, wird allein zur Deduction dieses sonderbaren Ver-
mögens hinreichend seyn. Wir wollen also diese characte-
ristische Eigenschaften des Geschmacks zuvor, durch Bey-
spiele erläutert, vorstellig machen.

§. 32.
Erste Eigenthümlichkeit des Geschmacks-
urtheils
.

Das Geschmacksurtheil bestimmt seinen Gegen-
stand in Ansehung des Wohlgefallens (als Schönheit)
mit einem Anspruche auf jedermanns Beystimmung,
als ob es objectiv wäre.

Sagen: diese Blume ist schön, heißt eben so viel
als ihren eigenen Anspruch auf jedermanns Wohlge-
fallen ihr nur nachsagen. Durch die Annehmlichkeit ih-
res Geruchs hat sie gar keine Ansprüche; den einen er-
götzt dieser Geruch, dem andern benimmt er den Kopf.
Was sollte man nun anders daraus vermuthen, als daß
die Schönheit für eine Eigenschaft der Blume selbst ge-

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
deren Vorſtellung der Beyfall, den das Geſchmacksur-
theil jedermann anſinnt, erzwungen werden koͤnnte.

Die Aufloͤſung dieſer logiſchen Eigenthuͤmlichkeiten
darin ſich ein Geſchmacksurtheil von allen Erkenntnis-
urtheilen unterſcheidet, wenn wir hier anfaͤnglich von
allem Jnhalte deſſelben, naͤmlich dem Gefuͤhle der Luſt
abſtrahiren und blos die aͤſthetiſche Form mit der Form
der objectiven Urtheile, wie ſie die Logik vorſchreibt, ver-
gleichen, wird allein zur Deduction dieſes ſonderbaren Ver-
moͤgens hinreichend ſeyn. Wir wollen alſo dieſe characte-
riſtiſche Eigenſchaften des Geſchmacks zuvor, durch Bey-
ſpiele erlaͤutert, vorſtellig machen.

§. 32.
Erſte Eigenthuͤmlichkeit des Geſchmacks-
urtheils
.

Das Geſchmacksurtheil beſtimmt ſeinen Gegen-
ſtand in Anſehung des Wohlgefallens (als Schoͤnheit)
mit einem Anſpruche auf jedermanns Beyſtimmung,
als ob es objectiv waͤre.

Sagen: dieſe Blume iſt ſchoͤn, heißt eben ſo viel
als ihren eigenen Anſpruch auf jedermanns Wohlge-
fallen ihr nur nachſagen. Durch die Annehmlichkeit ih-
res Geruchs hat ſie gar keine Anſpruͤche; den einen er-
goͤtzt dieſer Geruch, dem andern benimmt er den Kopf.
Was ſollte man nun anders daraus vermuthen, als daß
die Schoͤnheit fuͤr eine Eigenſchaft der Blume ſelbſt ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0198" n="134"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
deren Vor&#x017F;tellung der Beyfall, den das Ge&#x017F;chmacksur-<lb/>
theil jedermann an&#x017F;innt, erzwungen werden ko&#x0364;nnte.</p><lb/>
              <p>Die Auflo&#x0364;&#x017F;ung die&#x017F;er logi&#x017F;chen Eigenthu&#x0364;mlichkeiten<lb/>
darin &#x017F;ich ein Ge&#x017F;chmacksurtheil von allen Erkenntnis-<lb/>
urtheilen unter&#x017F;cheidet, wenn wir hier anfa&#x0364;nglich von<lb/>
allem Jnhalte de&#x017F;&#x017F;elben, na&#x0364;mlich dem Gefu&#x0364;hle der Lu&#x017F;t<lb/>
ab&#x017F;trahiren und blos die a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;che Form mit der Form<lb/>
der objectiven Urtheile, wie &#x017F;ie die Logik vor&#x017F;chreibt, ver-<lb/>
gleichen, wird allein zur Deduction die&#x017F;es &#x017F;onderbaren Ver-<lb/>
mo&#x0364;gens hinreichend &#x017F;eyn. Wir wollen al&#x017F;o die&#x017F;e characte-<lb/>
ri&#x017F;ti&#x017F;che Eigen&#x017F;chaften des Ge&#x017F;chmacks zuvor, durch Bey-<lb/>
&#x017F;piele erla&#x0364;utert, vor&#x017F;tellig machen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head><hi rendition="#b">§. 32.<lb/>
Er&#x017F;te Eigenthu&#x0364;mlichkeit des Ge&#x017F;chmacks-<lb/>
urtheils</hi>.</head><lb/>
              <p>Das Ge&#x017F;chmacksurtheil be&#x017F;timmt &#x017F;einen Gegen-<lb/>
&#x017F;tand in An&#x017F;ehung des Wohlgefallens (als Scho&#x0364;nheit)<lb/>
mit einem An&#x017F;pruche auf <hi rendition="#fr">jedermanns</hi> Bey&#x017F;timmung,<lb/>
als ob es objectiv wa&#x0364;re.</p><lb/>
              <p>Sagen: die&#x017F;e Blume i&#x017F;t &#x017F;cho&#x0364;n, heißt eben &#x017F;o viel<lb/>
als ihren eigenen An&#x017F;pruch auf jedermanns Wohlge-<lb/>
fallen ihr nur nach&#x017F;agen. Durch die Annehmlichkeit ih-<lb/>
res Geruchs hat &#x017F;ie gar keine An&#x017F;pru&#x0364;che; den einen er-<lb/>
go&#x0364;tzt die&#x017F;er Geruch, dem andern benimmt er den Kopf.<lb/>
Was &#x017F;ollte man nun anders daraus vermuthen, als daß<lb/>
die Scho&#x0364;nheit fu&#x0364;r eine Eigen&#x017F;chaft der Blume &#x017F;elb&#x017F;t ge-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0198] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. deren Vorſtellung der Beyfall, den das Geſchmacksur- theil jedermann anſinnt, erzwungen werden koͤnnte. Die Aufloͤſung dieſer logiſchen Eigenthuͤmlichkeiten darin ſich ein Geſchmacksurtheil von allen Erkenntnis- urtheilen unterſcheidet, wenn wir hier anfaͤnglich von allem Jnhalte deſſelben, naͤmlich dem Gefuͤhle der Luſt abſtrahiren und blos die aͤſthetiſche Form mit der Form der objectiven Urtheile, wie ſie die Logik vorſchreibt, ver- gleichen, wird allein zur Deduction dieſes ſonderbaren Ver- moͤgens hinreichend ſeyn. Wir wollen alſo dieſe characte- riſtiſche Eigenſchaften des Geſchmacks zuvor, durch Bey- ſpiele erlaͤutert, vorſtellig machen. §. 32. Erſte Eigenthuͤmlichkeit des Geſchmacks- urtheils. Das Geſchmacksurtheil beſtimmt ſeinen Gegen- ſtand in Anſehung des Wohlgefallens (als Schoͤnheit) mit einem Anſpruche auf jedermanns Beyſtimmung, als ob es objectiv waͤre. Sagen: dieſe Blume iſt ſchoͤn, heißt eben ſo viel als ihren eigenen Anſpruch auf jedermanns Wohlge- fallen ihr nur nachſagen. Durch die Annehmlichkeit ih- res Geruchs hat ſie gar keine Anſpruͤche; den einen er- goͤtzt dieſer Geruch, dem andern benimmt er den Kopf. Was ſollte man nun anders daraus vermuthen, als daß die Schoͤnheit fuͤr eine Eigenſchaft der Blume ſelbſt ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/198
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/198>, abgerufen am 21.12.2024.