deren Vorstellung der Beyfall, den das Geschmacksur- theil jedermann ansinnt, erzwungen werden könnte.
Die Auflösung dieser logischen Eigenthümlichkeiten darin sich ein Geschmacksurtheil von allen Erkenntnis- urtheilen unterscheidet, wenn wir hier anfänglich von allem Jnhalte desselben, nämlich dem Gefühle der Lust abstrahiren und blos die ästhetische Form mit der Form der objectiven Urtheile, wie sie die Logik vorschreibt, ver- gleichen, wird allein zur Deduction dieses sonderbaren Ver- mögens hinreichend seyn. Wir wollen also diese characte- ristische Eigenschaften des Geschmacks zuvor, durch Bey- spiele erläutert, vorstellig machen.
§. 32. Erste Eigenthümlichkeit des Geschmacks- urtheils.
Das Geschmacksurtheil bestimmt seinen Gegen- stand in Ansehung des Wohlgefallens (als Schönheit) mit einem Anspruche auf jedermanns Beystimmung, als ob es objectiv wäre.
Sagen: diese Blume ist schön, heißt eben so viel als ihren eigenen Anspruch auf jedermanns Wohlge- fallen ihr nur nachsagen. Durch die Annehmlichkeit ih- res Geruchs hat sie gar keine Ansprüche; den einen er- götzt dieser Geruch, dem andern benimmt er den Kopf. Was sollte man nun anders daraus vermuthen, als daß die Schönheit für eine Eigenschaft der Blume selbst ge-
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
deren Vorſtellung der Beyfall, den das Geſchmacksur- theil jedermann anſinnt, erzwungen werden koͤnnte.
Die Aufloͤſung dieſer logiſchen Eigenthuͤmlichkeiten darin ſich ein Geſchmacksurtheil von allen Erkenntnis- urtheilen unterſcheidet, wenn wir hier anfaͤnglich von allem Jnhalte deſſelben, naͤmlich dem Gefuͤhle der Luſt abſtrahiren und blos die aͤſthetiſche Form mit der Form der objectiven Urtheile, wie ſie die Logik vorſchreibt, ver- gleichen, wird allein zur Deduction dieſes ſonderbaren Ver- moͤgens hinreichend ſeyn. Wir wollen alſo dieſe characte- riſtiſche Eigenſchaften des Geſchmacks zuvor, durch Bey- ſpiele erlaͤutert, vorſtellig machen.
§. 32. Erſte Eigenthuͤmlichkeit des Geſchmacks- urtheils.
Das Geſchmacksurtheil beſtimmt ſeinen Gegen- ſtand in Anſehung des Wohlgefallens (als Schoͤnheit) mit einem Anſpruche auf jedermanns Beyſtimmung, als ob es objectiv waͤre.
Sagen: dieſe Blume iſt ſchoͤn, heißt eben ſo viel als ihren eigenen Anſpruch auf jedermanns Wohlge- fallen ihr nur nachſagen. Durch die Annehmlichkeit ih- res Geruchs hat ſie gar keine Anſpruͤche; den einen er- goͤtzt dieſer Geruch, dem andern benimmt er den Kopf. Was ſollte man nun anders daraus vermuthen, als daß die Schoͤnheit fuͤr eine Eigenſchaft der Blume ſelbſt ge-
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
deren Vorſtellung der Beyfall, den das Geſchmacksur-
theil jedermann anſinnt, erzwungen werden koͤnnte.
Die Aufloͤſung dieſer logiſchen Eigenthuͤmlichkeiten
darin ſich ein Geſchmacksurtheil von allen Erkenntnis-
urtheilen unterſcheidet, wenn wir hier anfaͤnglich von
allem Jnhalte deſſelben, naͤmlich dem Gefuͤhle der Luſt
abſtrahiren und blos die aͤſthetiſche Form mit der Form
der objectiven Urtheile, wie ſie die Logik vorſchreibt, ver-
gleichen, wird allein zur Deduction dieſes ſonderbaren Ver-
moͤgens hinreichend ſeyn. Wir wollen alſo dieſe characte-
riſtiſche Eigenſchaften des Geſchmacks zuvor, durch Bey-
ſpiele erlaͤutert, vorſtellig machen.
§. 32.
Erſte Eigenthuͤmlichkeit des Geſchmacks-
urtheils.
Das Geſchmacksurtheil beſtimmt ſeinen Gegen-
ſtand in Anſehung des Wohlgefallens (als Schoͤnheit)
mit einem Anſpruche auf jedermanns Beyſtimmung,
als ob es objectiv waͤre.
Sagen: dieſe Blume iſt ſchoͤn, heißt eben ſo viel
als ihren eigenen Anſpruch auf jedermanns Wohlge-
fallen ihr nur nachſagen. Durch die Annehmlichkeit ih-
res Geruchs hat ſie gar keine Anſpruͤche; den einen er-
goͤtzt dieſer Geruch, dem andern benimmt er den Kopf.
Was ſollte man nun anders daraus vermuthen, als daß
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/198>, abgerufen am 20.11.2024.
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