Von der Unmöglichkeit einer sceptischen Befriedigung der mit sich selbst veruneinigten reinen Vernunft.
Das Bewußtseyn meiner Unwissenheit, (wenn diese nicht zugleich als nothwendig erkant wird) statt, daß sie meine Untersuchungen endigen solte, ist vielmehr die ei- gentliche Ursache, sie zu erwecken. Alle Unwissenheit ist entweder die der Sachen, oder der Bestimmung und Grän- zen meiner Erkentniß. Wenn die Unwissenheit nun zufäl- lig ist, so muß sie mich antreiben, im ersteren Falle den Sachen (Gegenständen) dogmatisch, im zweiten den Gränzen meiner möglichen Erkentniß critisch nachzuforschen. Daß aber meine Unwissenheit schlechthin nothwendig sey, und mich daher von aller weiteren Nachforschung frei- spreche, läßt sich nicht empirisch, aus Beobachtung, son- dern allein critisch, durch Ergründung der ersten Quellen unserer Erkentniß ausmachen. Also kan die Gränzbestim- mung unserer Vernunft nur nach Gründen a priori ge- schehen, die Einschränkung derselben aber, welche eine, obgleich nur unbestimte Erkentniß einer nie völlig zu heben- den Unwissenheit ist, kan auch a posteriori, durch das, was uns bey allem Wissen immer noch zu wissen übrig bleibt, erkant werden. Jene, durch Critik der Vernunft selbst allein mögliche Erkentniß seiner Unwissenheit ist also Wis- senschaft, diese ist nichts als Wahrnehmung, von der
man
Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch.
Von der Unmoͤglichkeit einer ſceptiſchen Befriedigung der mit ſich ſelbſt veruneinigten reinen Vernunft.
Das Bewußtſeyn meiner Unwiſſenheit, (wenn dieſe nicht zugleich als nothwendig erkant wird) ſtatt, daß ſie meine Unterſuchungen endigen ſolte, iſt vielmehr die ei- gentliche Urſache, ſie zu erwecken. Alle Unwiſſenheit iſt entweder die der Sachen, oder der Beſtimmung und Graͤn- zen meiner Erkentniß. Wenn die Unwiſſenheit nun zufaͤl- lig iſt, ſo muß ſie mich antreiben, im erſteren Falle den Sachen (Gegenſtaͤnden) dogmatiſch, im zweiten den Graͤnzen meiner moͤglichen Erkentniß critiſch nachzuforſchen. Daß aber meine Unwiſſenheit ſchlechthin nothwendig ſey, und mich daher von aller weiteren Nachforſchung frei- ſpreche, laͤßt ſich nicht empiriſch, aus Beobachtung, ſon- dern allein critiſch, durch Ergruͤndung der erſten Quellen unſerer Erkentniß ausmachen. Alſo kan die Graͤnzbeſtim- mung unſerer Vernunft nur nach Gruͤnden a priori ge- ſchehen, die Einſchraͤnkung derſelben aber, welche eine, obgleich nur unbeſtimte Erkentniß einer nie voͤllig zu heben- den Unwiſſenheit iſt, kan auch a poſteriori, durch das, was uns bey allem Wiſſen immer noch zu wiſſen uͤbrig bleibt, erkant werden. Jene, durch Critik der Vernunft ſelbſt allein moͤgliche Erkentniß ſeiner Unwiſſenheit iſt alſo Wiſ- ſenſchaft, dieſe iſt nichts als Wahrnehmung, von der
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Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch.
Von der
Unmoͤglichkeit einer ſceptiſchen Befriedigung
der mit ſich ſelbſt veruneinigten reinen
Vernunft.
Das Bewußtſeyn meiner Unwiſſenheit, (wenn dieſe
nicht zugleich als nothwendig erkant wird) ſtatt, daß ſie
meine Unterſuchungen endigen ſolte, iſt vielmehr die ei-
gentliche Urſache, ſie zu erwecken. Alle Unwiſſenheit iſt
entweder die der Sachen, oder der Beſtimmung und Graͤn-
zen meiner Erkentniß. Wenn die Unwiſſenheit nun zufaͤl-
lig iſt, ſo muß ſie mich antreiben, im erſteren Falle den
Sachen (Gegenſtaͤnden) dogmatiſch, im zweiten den
Graͤnzen meiner moͤglichen Erkentniß critiſch nachzuforſchen.
Daß aber meine Unwiſſenheit ſchlechthin nothwendig ſey,
und mich daher von aller weiteren Nachforſchung frei-
ſpreche, laͤßt ſich nicht empiriſch, aus Beobachtung, ſon-
dern allein critiſch, durch Ergruͤndung der erſten Quellen
unſerer Erkentniß ausmachen. Alſo kan die Graͤnzbeſtim-
mung unſerer Vernunft nur nach Gruͤnden a priori ge-
ſchehen, die Einſchraͤnkung derſelben aber, welche eine,
obgleich nur unbeſtimte Erkentniß einer nie voͤllig zu heben-
den Unwiſſenheit iſt, kan auch a poſteriori, durch das,
was uns bey allem Wiſſen immer noch zu wiſſen uͤbrig
bleibt, erkant werden. Jene, durch Critik der Vernunft ſelbſt
allein moͤgliche Erkentniß ſeiner Unwiſſenheit iſt alſo Wiſ-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 758. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/788>, abgerufen am 30.12.2024.
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