Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
Der Antinomie der reinen Vernunft Achter Abschnitt. Regulatives Princip der reinen Vernunft in Ansehung der cosmologischen Ideen.
Da durch den cosmologischen Grundsatz der Totalität kein Maximum der Reihe von Bedingungen in einer Sinnenwelt, als einem Dinge an sich selbst, gegeben wird, sondern blos im Regressus derselben aufgegeben werden kan, so behält der gedachte Grundsatz der reinen Vernunft, in seiner dergestalt berichtigten Bedeutung, annoch seine gute Gültigkeit, zwar nicht als Axiom, die Totalität im Obiect als wirklich zu denken, sondern als ein Problem vor den Verstand, also vor das Subiect, um, der Voll- ständigkeit in der Idee gemäß, den Regressus in der Rei- he der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten an- zustellen und fortzusetzen. Denn in der Sinnlichkeit, d. i. im Raume und der Zeit, ist iede Bedingung, zu der wir in der Exposition gegebener Erscheinungen gelangen kön- nen, wiederum bedingt; weil diese keine Gegenstände an sich selbst sind, an denen allenfalls das Schlechthinunbeding- te statt finden könte, sondern blos empirische Vorstellun- gen, die iederzeit in der Anschauung ihre Bedingung fin- den müssen, welche sie dem Raume oder der Zeit nach be- stimt. Der Grundsatz der Vernunft also ist eigentlich nur eine Regel, welche in der Reihe der Bedingungen gegebe-
ner
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
Der Antinomie der reinen Vernunft Achter Abſchnitt. Regulatives Princip der reinen Vernunft in Anſehung der cosmologiſchen Ideen.
Da durch den cosmologiſchen Grundſatz der Totalitaͤt kein Maximum der Reihe von Bedingungen in einer Sinnenwelt, als einem Dinge an ſich ſelbſt, gegeben wird, ſondern blos im Regreſſus derſelben aufgegeben werden kan, ſo behaͤlt der gedachte Grundſatz der reinen Vernunft, in ſeiner dergeſtalt berichtigten Bedeutung, annoch ſeine gute Guͤltigkeit, zwar nicht als Axiom, die Totalitaͤt im Obiect als wirklich zu denken, ſondern als ein Problem vor den Verſtand, alſo vor das Subiect, um, der Voll- ſtaͤndigkeit in der Idee gemaͤß, den Regreſſus in der Rei- he der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten an- zuſtellen und fortzuſetzen. Denn in der Sinnlichkeit, d. i. im Raume und der Zeit, iſt iede Bedingung, zu der wir in der Expoſition gegebener Erſcheinungen gelangen koͤn- nen, wiederum bedingt; weil dieſe keine Gegenſtaͤnde an ſich ſelbſt ſind, an denen allenfalls das Schlechthinunbeding- te ſtatt finden koͤnte, ſondern blos empiriſche Vorſtellun- gen, die iederzeit in der Anſchauung ihre Bedingung fin- den muͤſſen, welche ſie dem Raume oder der Zeit nach be- ſtimt. Der Grundſatz der Vernunft alſo iſt eigentlich nur eine Regel, welche in der Reihe der Bedingungen gegebe-
ner
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><pbfacs="#f0538"n="508"/><fwplace="top"type="header">Elementarl. <hirendition="#aq">II.</hi> Th. <hirendition="#aq">II.</hi> Abth. <hirendition="#aq">II.</hi> Buch. <hirendition="#aq">II.</hi> Hauptſt.</fw><lb/><divn="8"><head><hirendition="#g">Der</hi><lb/><hirendition="#b">Antinomie der reinen Vernunft<lb/>
Achter Abſchnitt.<lb/>
Regulatives Princip der reinen Vernunft</hi><lb/>
in Anſehung der cosmologiſchen Ideen.</head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>a durch den cosmologiſchen Grundſatz der Totalitaͤt<lb/>
kein Maximum der Reihe von Bedingungen in einer<lb/>
Sinnenwelt, als einem Dinge an ſich ſelbſt, gegeben wird,<lb/>ſondern blos im Regreſſus derſelben <hirendition="#fr">aufgegeben</hi> werden<lb/>
kan, ſo behaͤlt der gedachte Grundſatz der reinen Vernunft,<lb/>
in ſeiner dergeſtalt berichtigten Bedeutung, annoch ſeine<lb/>
gute Guͤltigkeit, zwar nicht als Axiom, die Totalitaͤt im<lb/>
Obiect als wirklich zu denken, ſondern als ein Problem<lb/>
vor den Verſtand, alſo vor das Subiect, um, der Voll-<lb/>ſtaͤndigkeit in der Idee gemaͤß, den Regreſſus in der Rei-<lb/>
he der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten an-<lb/>
zuſtellen und fortzuſetzen. Denn in der Sinnlichkeit, d. i.<lb/>
im Raume und der Zeit, iſt iede Bedingung, zu der wir<lb/>
in der Expoſition gegebener Erſcheinungen gelangen koͤn-<lb/>
nen, wiederum bedingt; weil dieſe keine Gegenſtaͤnde an<lb/>ſich ſelbſt ſind, an denen allenfalls das Schlechthinunbeding-<lb/>
te ſtatt finden koͤnte, ſondern blos empiriſche Vorſtellun-<lb/>
gen, die iederzeit in der Anſchauung ihre Bedingung fin-<lb/>
den muͤſſen, welche ſie dem Raume oder der Zeit nach be-<lb/>ſtimt. Der Grundſatz der Vernunft alſo iſt eigentlich nur<lb/>
eine <hirendition="#fr">Regel</hi>, welche in der Reihe der Bedingungen gegebe-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ner</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[508/0538]
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
Der
Antinomie der reinen Vernunft
Achter Abſchnitt.
Regulatives Princip der reinen Vernunft
in Anſehung der cosmologiſchen Ideen.
Da durch den cosmologiſchen Grundſatz der Totalitaͤt
kein Maximum der Reihe von Bedingungen in einer
Sinnenwelt, als einem Dinge an ſich ſelbſt, gegeben wird,
ſondern blos im Regreſſus derſelben aufgegeben werden
kan, ſo behaͤlt der gedachte Grundſatz der reinen Vernunft,
in ſeiner dergeſtalt berichtigten Bedeutung, annoch ſeine
gute Guͤltigkeit, zwar nicht als Axiom, die Totalitaͤt im
Obiect als wirklich zu denken, ſondern als ein Problem
vor den Verſtand, alſo vor das Subiect, um, der Voll-
ſtaͤndigkeit in der Idee gemaͤß, den Regreſſus in der Rei-
he der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten an-
zuſtellen und fortzuſetzen. Denn in der Sinnlichkeit, d. i.
im Raume und der Zeit, iſt iede Bedingung, zu der wir
in der Expoſition gegebener Erſcheinungen gelangen koͤn-
nen, wiederum bedingt; weil dieſe keine Gegenſtaͤnde an
ſich ſelbſt ſind, an denen allenfalls das Schlechthinunbeding-
te ſtatt finden koͤnte, ſondern blos empiriſche Vorſtellun-
gen, die iederzeit in der Anſchauung ihre Bedingung fin-
den muͤſſen, welche ſie dem Raume oder der Zeit nach be-
ſtimt. Der Grundſatz der Vernunft alſo iſt eigentlich nur
eine Regel, welche in der Reihe der Bedingungen gegebe-
ner
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/538>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.