Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

und alle absolute Nothwendigkeit, gänzlich wegfällt. In-
dessen ist die Schlußart in beiden, selbst der gemeinen
Menschenvernunft ganz angemessen, welche mehrmalen in
den Fall geräth, sich mit sich selbst zu entzweien, nach-
dem sie ihren Gegenstand aus zwey verschiedenen Stand-
puncten erwägt. Herr von Mairan hielt den Streit
zweier berühmter Astronomen, der aus einer ähnlichen
Schwierigkeit über die Wahl des Standpuncts entsprang,
vor ein gnugsam merkwürdiges Phänomen, um darüber
eine besondere Abhandlung abzufassen. Der eine schloß
nemlich so: der Mond drehet sich um seine Achse, dar-
um, weil er der Erde beständig dieselbe Seite zukehrt, der
andere: der Mond drehet sich nicht um seine Achse,
eben darum, weil er der Erde beständig dieselbe Seite zu-
kehrt. Beide Schlüsse waren richtig, nachdem man den
Standpunct nahm, aus dem man die Mondsbewegung
beobachten wollte.


Dei

und alle abſolute Nothwendigkeit, gaͤnzlich wegfaͤllt. In-
deſſen iſt die Schlußart in beiden, ſelbſt der gemeinen
Menſchenvernunft ganz angemeſſen, welche mehrmalen in
den Fall geraͤth, ſich mit ſich ſelbſt zu entzweien, nach-
dem ſie ihren Gegenſtand aus zwey verſchiedenen Stand-
puncten erwaͤgt. Herr von Mairan hielt den Streit
zweier beruͤhmter Aſtronomen, der aus einer aͤhnlichen
Schwierigkeit uͤber die Wahl des Standpuncts entſprang,
vor ein gnugſam merkwuͤrdiges Phaͤnomen, um daruͤber
eine beſondere Abhandlung abzufaſſen. Der eine ſchloß
nemlich ſo: der Mond drehet ſich um ſeine Achſe, dar-
um, weil er der Erde beſtaͤndig dieſelbe Seite zukehrt, der
andere: der Mond drehet ſich nicht um ſeine Achſe,
eben darum, weil er der Erde beſtaͤndig dieſelbe Seite zu-
kehrt. Beide Schluͤſſe waren richtig, nachdem man den
Standpunct nahm, aus dem man die Mondsbewegung
beobachten wollte.


Dei
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <pb facs="#f0491" n="[461]"/>
                    <div xml:id="f0491" prev="#f0489" n="8">
                      <div n="9">
                        <div n="10">
                          <p prev="#f0489p">und alle ab&#x017F;olute Nothwendigkeit, ga&#x0364;nzlich wegfa&#x0364;llt. In-<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t die Schlußart in beiden, &#x017F;elb&#x017F;t der gemeinen<lb/>
Men&#x017F;chenvernunft ganz angeme&#x017F;&#x017F;en, welche mehrmalen in<lb/>
den Fall gera&#x0364;th, &#x017F;ich mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu entzweien, nach-<lb/>
dem &#x017F;ie ihren Gegen&#x017F;tand aus zwey ver&#x017F;chiedenen Stand-<lb/>
puncten erwa&#x0364;gt. Herr <hi rendition="#fr">von Mairan</hi> hielt den Streit<lb/>
zweier beru&#x0364;hmter A&#x017F;tronomen, der aus einer a&#x0364;hnlichen<lb/>
Schwierigkeit u&#x0364;ber die Wahl des Standpuncts ent&#x017F;prang,<lb/>
vor ein gnug&#x017F;am merkwu&#x0364;rdiges Pha&#x0364;nomen, um daru&#x0364;ber<lb/>
eine be&#x017F;ondere Abhandlung abzufa&#x017F;&#x017F;en. Der eine &#x017F;chloß<lb/>
nemlich &#x017F;o: der Mond drehet &#x017F;ich um &#x017F;eine Ach&#x017F;e, dar-<lb/>
um, weil er der Erde be&#x017F;ta&#x0364;ndig die&#x017F;elbe Seite zukehrt, der<lb/>
andere: der Mond drehet &#x017F;ich nicht um &#x017F;eine Ach&#x017F;e,<lb/>
eben darum, weil er der Erde be&#x017F;ta&#x0364;ndig die&#x017F;elbe Seite zu-<lb/>
kehrt. Beide Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e waren richtig, nachdem man den<lb/>
Standpunct nahm, aus dem man die Mondsbewegung<lb/>
beobachten wollte.</p>
                        </div>
                      </div>
                    </div><lb/>
                    <fw place="bottom" type="catch">Dei</fw><lb/>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[461]/0491] und alle abſolute Nothwendigkeit, gaͤnzlich wegfaͤllt. In- deſſen iſt die Schlußart in beiden, ſelbſt der gemeinen Menſchenvernunft ganz angemeſſen, welche mehrmalen in den Fall geraͤth, ſich mit ſich ſelbſt zu entzweien, nach- dem ſie ihren Gegenſtand aus zwey verſchiedenen Stand- puncten erwaͤgt. Herr von Mairan hielt den Streit zweier beruͤhmter Aſtronomen, der aus einer aͤhnlichen Schwierigkeit uͤber die Wahl des Standpuncts entſprang, vor ein gnugſam merkwuͤrdiges Phaͤnomen, um daruͤber eine beſondere Abhandlung abzufaſſen. Der eine ſchloß nemlich ſo: der Mond drehet ſich um ſeine Achſe, dar- um, weil er der Erde beſtaͤndig dieſelbe Seite zukehrt, der andere: der Mond drehet ſich nicht um ſeine Achſe, eben darum, weil er der Erde beſtaͤndig dieſelbe Seite zu- kehrt. Beide Schluͤſſe waren richtig, nachdem man den Standpunct nahm, aus dem man die Mondsbewegung beobachten wollte. Dei

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/491
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. [461]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/491>, abgerufen am 21.11.2024.