und alle absolute Nothwendigkeit, gänzlich wegfällt. In- dessen ist die Schlußart in beiden, selbst der gemeinen Menschenvernunft ganz angemessen, welche mehrmalen in den Fall geräth, sich mit sich selbst zu entzweien, nach- dem sie ihren Gegenstand aus zwey verschiedenen Stand- puncten erwägt. Herr von Mairan hielt den Streit zweier berühmter Astronomen, der aus einer ähnlichen Schwierigkeit über die Wahl des Standpuncts entsprang, vor ein gnugsam merkwürdiges Phänomen, um darüber eine besondere Abhandlung abzufassen. Der eine schloß nemlich so: der Mond drehet sich um seine Achse, dar- um, weil er der Erde beständig dieselbe Seite zukehrt, der andere: der Mond drehet sich nicht um seine Achse, eben darum, weil er der Erde beständig dieselbe Seite zu- kehrt. Beide Schlüsse waren richtig, nachdem man den Standpunct nahm, aus dem man die Mondsbewegung beobachten wollte.
Dei
und alle abſolute Nothwendigkeit, gaͤnzlich wegfaͤllt. In- deſſen iſt die Schlußart in beiden, ſelbſt der gemeinen Menſchenvernunft ganz angemeſſen, welche mehrmalen in den Fall geraͤth, ſich mit ſich ſelbſt zu entzweien, nach- dem ſie ihren Gegenſtand aus zwey verſchiedenen Stand- puncten erwaͤgt. Herr von Mairan hielt den Streit zweier beruͤhmter Aſtronomen, der aus einer aͤhnlichen Schwierigkeit uͤber die Wahl des Standpuncts entſprang, vor ein gnugſam merkwuͤrdiges Phaͤnomen, um daruͤber eine beſondere Abhandlung abzufaſſen. Der eine ſchloß nemlich ſo: der Mond drehet ſich um ſeine Achſe, dar- um, weil er der Erde beſtaͤndig dieſelbe Seite zukehrt, der andere: der Mond drehet ſich nicht um ſeine Achſe, eben darum, weil er der Erde beſtaͤndig dieſelbe Seite zu- kehrt. Beide Schluͤſſe waren richtig, nachdem man den Standpunct nahm, aus dem man die Mondsbewegung beobachten wollte.
Dei
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><pbfacs="#f0491"n="[461]"/><divxml:id="f0491"prev="#f0489"n="8"><divn="9"><divn="10"><pprev="#f0489p">und alle abſolute Nothwendigkeit, gaͤnzlich wegfaͤllt. In-<lb/>
deſſen iſt die Schlußart in beiden, ſelbſt der gemeinen<lb/>
Menſchenvernunft ganz angemeſſen, welche mehrmalen in<lb/>
den Fall geraͤth, ſich mit ſich ſelbſt zu entzweien, nach-<lb/>
dem ſie ihren Gegenſtand aus zwey verſchiedenen Stand-<lb/>
puncten erwaͤgt. Herr <hirendition="#fr">von Mairan</hi> hielt den Streit<lb/>
zweier beruͤhmter Aſtronomen, der aus einer aͤhnlichen<lb/>
Schwierigkeit uͤber die Wahl des Standpuncts entſprang,<lb/>
vor ein gnugſam merkwuͤrdiges Phaͤnomen, um daruͤber<lb/>
eine beſondere Abhandlung abzufaſſen. Der eine ſchloß<lb/>
nemlich ſo: der Mond drehet ſich um ſeine Achſe, dar-<lb/>
um, weil er der Erde beſtaͤndig dieſelbe Seite zukehrt, der<lb/>
andere: der Mond drehet ſich nicht um ſeine Achſe,<lb/>
eben darum, weil er der Erde beſtaͤndig dieſelbe Seite zu-<lb/>
kehrt. Beide Schluͤſſe waren richtig, nachdem man den<lb/>
Standpunct nahm, aus dem man die Mondsbewegung<lb/>
beobachten wollte.</p></div></div></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Dei</fw><lb/></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[[461]/0491]
und alle abſolute Nothwendigkeit, gaͤnzlich wegfaͤllt. In-
deſſen iſt die Schlußart in beiden, ſelbſt der gemeinen
Menſchenvernunft ganz angemeſſen, welche mehrmalen in
den Fall geraͤth, ſich mit ſich ſelbſt zu entzweien, nach-
dem ſie ihren Gegenſtand aus zwey verſchiedenen Stand-
puncten erwaͤgt. Herr von Mairan hielt den Streit
zweier beruͤhmter Aſtronomen, der aus einer aͤhnlichen
Schwierigkeit uͤber die Wahl des Standpuncts entſprang,
vor ein gnugſam merkwuͤrdiges Phaͤnomen, um daruͤber
eine beſondere Abhandlung abzufaſſen. Der eine ſchloß
nemlich ſo: der Mond drehet ſich um ſeine Achſe, dar-
um, weil er der Erde beſtaͤndig dieſelbe Seite zukehrt, der
andere: der Mond drehet ſich nicht um ſeine Achſe,
eben darum, weil er der Erde beſtaͤndig dieſelbe Seite zu-
kehrt. Beide Schluͤſſe waren richtig, nachdem man den
Standpunct nahm, aus dem man die Mondsbewegung
beobachten wollte.
Dei
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. [461]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/491>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.