Es zeiget sich aber in dieser Antinomie ein seltsamer Contrast: daß nemlich aus eben demselben Beweisgrunde, woraus in der Thesis das Daseyn eines Urwesens geschlos- sen wurde, in der Antithesis das Nichtseyn desselben, und zwar mit derselben Schärfe, geschlossen wird. Erst hieß es: es ist ein nothwendiges Wesen, weil die ganze ver- gangene Zeit die Reihe aller Bedingungen und hiemit also auch das Unbedingte (Nothwendige) in sich faßt; Nun heißt es: es ist kein nothwendiges Wesen, eben darum, weil die ganze verflossene Zeit die Reihe aller Bedingungen (die mithin insgesamt wiederum bedingt seyn) in sich faßt. Die Ursache hievon ist diese. Das erste Argument siehet nur auf die absolute Totalität der Reihe der Bedingungen, deren eine die andere in der Zeit bestimt, und bekomt dadurch ein Unbedingtes und Nothwendiges. Das zweite zieht dagegen die Zufälligkeit alles dessen, was in der Zeitreihe bestimt ist, in Betrachtung, (weil vor iedem eine Zeit vorhergeht, darin die Bedingung selbst wiederum als be- dingt bestimt seyn muß) wodurch denn alles Unbedingte,
und
Es zeiget ſich aber in dieſer Antinomie ein ſeltſamer Contraſt: daß nemlich aus eben demſelben Beweisgrunde, woraus in der Theſis das Daſeyn eines Urweſens geſchloſ- ſen wurde, in der Antitheſis das Nichtſeyn deſſelben, und zwar mit derſelben Schaͤrfe, geſchloſſen wird. Erſt hieß es: es iſt ein nothwendiges Weſen, weil die ganze ver- gangene Zeit die Reihe aller Bedingungen und hiemit alſo auch das Unbedingte (Nothwendige) in ſich faßt; Nun heißt es: es iſt kein nothwendiges Weſen, eben darum, weil die ganze verfloſſene Zeit die Reihe aller Bedingungen (die mithin insgeſamt wiederum bedingt ſeyn) in ſich faßt. Die Urſache hievon iſt dieſe. Das erſte Argument ſiehet nur auf die abſolute Totalitaͤt der Reihe der Bedingungen, deren eine die andere in der Zeit beſtimt, und bekomt dadurch ein Unbedingtes und Nothwendiges. Das zweite zieht dagegen die Zufaͤlligkeit alles deſſen, was in der Zeitreihe beſtimt iſt, in Betrachtung, (weil vor iedem eine Zeit vorhergeht, darin die Bedingung ſelbſt wiederum als be- dingt beſtimt ſeyn muß) wodurch denn alles Unbedingte,
und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><pbfacs="#f0489"n="[459]"/><divnext="#f0491"xml:id="f0489"prev="#f0487"n="8"><divn="9"><divn="10"><pxml:id="f0489p"prev="#f0487p">Es zeiget ſich aber in dieſer Antinomie ein ſeltſamer<lb/>
Contraſt: daß nemlich aus eben demſelben Beweisgrunde,<lb/>
woraus in der Theſis das Daſeyn eines Urweſens geſchloſ-<lb/>ſen wurde, in der Antitheſis das Nichtſeyn deſſelben, und<lb/>
zwar mit derſelben Schaͤrfe, geſchloſſen wird. Erſt hieß<lb/>
es: es iſt ein nothwendiges Weſen, weil die ganze ver-<lb/>
gangene Zeit die Reihe aller Bedingungen und hiemit alſo<lb/>
auch das Unbedingte (Nothwendige) in ſich faßt; Nun heißt<lb/>
es: es iſt kein nothwendiges Weſen, eben darum, weil<lb/>
die ganze verfloſſene Zeit die Reihe aller Bedingungen (die<lb/>
mithin insgeſamt wiederum bedingt ſeyn) in ſich faßt. Die<lb/>
Urſache hievon iſt dieſe. Das erſte Argument ſiehet nur auf die<lb/>
abſolute Totalitaͤt der Reihe der Bedingungen, deren<lb/>
eine die andere in der Zeit beſtimt, und bekomt dadurch<lb/>
ein Unbedingtes und Nothwendiges. Das zweite zieht<lb/>
dagegen die Zufaͤlligkeit alles deſſen, was in der Zeitreihe<lb/>
beſtimt iſt, in Betrachtung, (weil vor iedem eine Zeit<lb/>
vorhergeht, darin die Bedingung ſelbſt wiederum als be-<lb/>
dingt beſtimt ſeyn muß) wodurch denn alles Unbedingte,<lb/></p></div></div></div><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[[459]/0489]
Es zeiget ſich aber in dieſer Antinomie ein ſeltſamer
Contraſt: daß nemlich aus eben demſelben Beweisgrunde,
woraus in der Theſis das Daſeyn eines Urweſens geſchloſ-
ſen wurde, in der Antitheſis das Nichtſeyn deſſelben, und
zwar mit derſelben Schaͤrfe, geſchloſſen wird. Erſt hieß
es: es iſt ein nothwendiges Weſen, weil die ganze ver-
gangene Zeit die Reihe aller Bedingungen und hiemit alſo
auch das Unbedingte (Nothwendige) in ſich faßt; Nun heißt
es: es iſt kein nothwendiges Weſen, eben darum, weil
die ganze verfloſſene Zeit die Reihe aller Bedingungen (die
mithin insgeſamt wiederum bedingt ſeyn) in ſich faßt. Die
Urſache hievon iſt dieſe. Das erſte Argument ſiehet nur auf die
abſolute Totalitaͤt der Reihe der Bedingungen, deren
eine die andere in der Zeit beſtimt, und bekomt dadurch
ein Unbedingtes und Nothwendiges. Das zweite zieht
dagegen die Zufaͤlligkeit alles deſſen, was in der Zeitreihe
beſtimt iſt, in Betrachtung, (weil vor iedem eine Zeit
vorhergeht, darin die Bedingung ſelbſt wiederum als be-
dingt beſtimt ſeyn muß) wodurch denn alles Unbedingte,
und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. [459]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/489>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.