und selbst die Möglichkeit einer Veränderung überhaupt muß euch anstössig werden. Denn, wenn ihr nicht durch Erfahrung fändet, daß sie wirklich ist, so würdet ihr nie- mals a priori ersinnen können, wie eine solche unaufhör- liche Folge von Seyn und Nichtseyn möglich sey.
Wenn auch indessen allenfalls ein transscendentales Vermögen der Freiheit nachgegeben wird, um die Welt- veränderungen anzufangen, so würde dieses Vermögen doch wenigstens nur ausserhalb der Welt seyn müssen, (wie- wol es immer eine kühne Anmassung bleibt, ausserhalb dem Inbegriffe aller möglichen Anschauungen, noch einen Ge- genstand anzunehmen, der in keiner möglichen Wahrneh- mung gegeben werden kan). Allein, in der Welt selbst, den Substanzen ein solches Vermögen beyzumessen, kan nimmer- mehr erlaubt seyn, weil alsdenn der Zusammenhang nach all- gemeinen Gesetzen sich einander nothwendig bestimmender Erscheinungen, den man Natur nent, und mit ihm das Merk- mal empirischer Wahrheit, welches Erfahrung vom Traum unterscheidet, größtentheils verschwinden würde. Denn es läßt sich neben einem solchen gesetzlosen Vermögen der Freiheit, kaum mehr Natur denken; weil die Gesetze der lezteren durch die Einflüsse der ersteren, unaufhörlich abgeändert, und das Spiel der Erscheinungen, welches nach der blossen Natur regelmässig und gleichförmig seyn würde, dadurch verwirret und unzusammenhängend ge- macht wird.
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und ſelbſt die Moͤglichkeit einer Veraͤnderung uͤberhaupt muß euch anſtoͤſſig werden. Denn, wenn ihr nicht durch Erfahrung faͤndet, daß ſie wirklich iſt, ſo wuͤrdet ihr nie- mals a priori erſinnen koͤnnen, wie eine ſolche unaufhoͤr- liche Folge von Seyn und Nichtſeyn moͤglich ſey.
Wenn auch indeſſen allenfalls ein transſcendentales Vermoͤgen der Freiheit nachgegeben wird, um die Welt- veraͤnderungen anzufangen, ſo wuͤrde dieſes Vermoͤgen doch wenigſtens nur auſſerhalb der Welt ſeyn muͤſſen, (wie- wol es immer eine kuͤhne Anmaſſung bleibt, auſſerhalb dem Inbegriffe aller moͤglichen Anſchauungen, noch einen Ge- genſtand anzunehmen, der in keiner moͤglichen Wahrneh- mung gegeben werden kan). Allein, in der Welt ſelbſt, den Subſtanzen ein ſolches Vermoͤgen beyzumeſſen, kan nimmer- mehr erlaubt ſeyn, weil alsdenn der Zuſammenhang nach all- gemeinen Geſetzen ſich einander nothwendig beſtimmender Erſcheinungen, den man Natur nent, und mit ihm das Merk- mal empiriſcher Wahrheit, welches Erfahrung vom Traum unterſcheidet, groͤßtentheils verſchwinden wuͤrde. Denn es laͤßt ſich neben einem ſolchen geſetzloſen Vermoͤgen der Freiheit, kaum mehr Natur denken; weil die Geſetze der lezteren durch die Einfluͤſſe der erſteren, unaufhoͤrlich abgeaͤndert, und das Spiel der Erſcheinungen, welches nach der bloſſen Natur regelmaͤſſig und gleichfoͤrmig ſeyn wuͤrde, dadurch verwirret und unzuſammenhaͤngend ge- macht wird.
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[[451]/0481]
und ſelbſt die Moͤglichkeit einer Veraͤnderung uͤberhaupt
muß euch anſtoͤſſig werden. Denn, wenn ihr nicht durch
Erfahrung faͤndet, daß ſie wirklich iſt, ſo wuͤrdet ihr nie-
mals a priori erſinnen koͤnnen, wie eine ſolche unaufhoͤr-
liche Folge von Seyn und Nichtſeyn moͤglich ſey.
Wenn auch indeſſen allenfalls ein transſcendentales
Vermoͤgen der Freiheit nachgegeben wird, um die Welt-
veraͤnderungen anzufangen, ſo wuͤrde dieſes Vermoͤgen
doch wenigſtens nur auſſerhalb der Welt ſeyn muͤſſen, (wie-
wol es immer eine kuͤhne Anmaſſung bleibt, auſſerhalb dem
Inbegriffe aller moͤglichen Anſchauungen, noch einen Ge-
genſtand anzunehmen, der in keiner moͤglichen Wahrneh-
mung gegeben werden kan). Allein, in der Welt ſelbſt, den
Subſtanzen ein ſolches Vermoͤgen beyzumeſſen, kan nimmer-
mehr erlaubt ſeyn, weil alsdenn der Zuſammenhang nach all-
gemeinen Geſetzen ſich einander nothwendig beſtimmender
Erſcheinungen, den man Natur nent, und mit ihm das Merk-
mal empiriſcher Wahrheit, welches Erfahrung vom Traum
unterſcheidet, groͤßtentheils verſchwinden wuͤrde. Denn
es laͤßt ſich neben einem ſolchen geſetzloſen Vermoͤgen der
Freiheit, kaum mehr Natur denken; weil die Geſetze der
lezteren durch die Einfluͤſſe der erſteren, unaufhoͤrlich
abgeaͤndert, und das Spiel der Erſcheinungen, welches
nach der bloſſen Natur regelmaͤſſig und gleichfoͤrmig ſeyn
wuͤrde, dadurch verwirret und unzuſammenhaͤngend ge-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. [451]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/481>, abgerufen am 21.11.2024.
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