Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

und selbst die Möglichkeit einer Veränderung überhaupt
muß euch anstössig werden. Denn, wenn ihr nicht durch
Erfahrung fändet, daß sie wirklich ist, so würdet ihr nie-
mals a priori ersinnen können, wie eine solche unaufhör-
liche Folge von Seyn und Nichtseyn möglich sey.

Wenn auch indessen allenfalls ein transscendentales
Vermögen der Freiheit nachgegeben wird, um die Welt-
veränderungen anzufangen, so würde dieses Vermögen
doch wenigstens nur ausserhalb der Welt seyn müssen, (wie-
wol es immer eine kühne Anmassung bleibt, ausserhalb dem
Inbegriffe aller möglichen Anschauungen, noch einen Ge-
genstand anzunehmen, der in keiner möglichen Wahrneh-
mung gegeben werden kan). Allein, in der Welt selbst, den
Substanzen ein solches Vermögen beyzumessen, kan nimmer-
mehr erlaubt seyn, weil alsdenn der Zusammenhang nach all-
gemeinen Gesetzen sich einander nothwendig bestimmender
Erscheinungen, den man Natur nent, und mit ihm das Merk-
mal empirischer Wahrheit, welches Erfahrung vom Traum
unterscheidet, größtentheils verschwinden würde. Denn
es läßt sich neben einem solchen gesetzlosen Vermögen der
Freiheit, kaum mehr Natur denken; weil die Gesetze der
lezteren durch die Einflüsse der ersteren, unaufhörlich
abgeändert, und das Spiel der Erscheinungen, welches
nach der blossen Natur regelmässig und gleichförmig seyn
würde, dadurch verwirret und unzusammenhängend ge-
macht wird.

F f 2

und ſelbſt die Moͤglichkeit einer Veraͤnderung uͤberhaupt
muß euch anſtoͤſſig werden. Denn, wenn ihr nicht durch
Erfahrung faͤndet, daß ſie wirklich iſt, ſo wuͤrdet ihr nie-
mals a priori erſinnen koͤnnen, wie eine ſolche unaufhoͤr-
liche Folge von Seyn und Nichtſeyn moͤglich ſey.

Wenn auch indeſſen allenfalls ein transſcendentales
Vermoͤgen der Freiheit nachgegeben wird, um die Welt-
veraͤnderungen anzufangen, ſo wuͤrde dieſes Vermoͤgen
doch wenigſtens nur auſſerhalb der Welt ſeyn muͤſſen, (wie-
wol es immer eine kuͤhne Anmaſſung bleibt, auſſerhalb dem
Inbegriffe aller moͤglichen Anſchauungen, noch einen Ge-
genſtand anzunehmen, der in keiner moͤglichen Wahrneh-
mung gegeben werden kan). Allein, in der Welt ſelbſt, den
Subſtanzen ein ſolches Vermoͤgen beyzumeſſen, kan nimmer-
mehr erlaubt ſeyn, weil alsdenn der Zuſammenhang nach all-
gemeinen Geſetzen ſich einander nothwendig beſtimmender
Erſcheinungen, den man Natur nent, und mit ihm das Merk-
mal empiriſcher Wahrheit, welches Erfahrung vom Traum
unterſcheidet, groͤßtentheils verſchwinden wuͤrde. Denn
es laͤßt ſich neben einem ſolchen geſetzloſen Vermoͤgen der
Freiheit, kaum mehr Natur denken; weil die Geſetze der
lezteren durch die Einfluͤſſe der erſteren, unaufhoͤrlich
abgeaͤndert, und das Spiel der Erſcheinungen, welches
nach der bloſſen Natur regelmaͤſſig und gleichfoͤrmig ſeyn
wuͤrde, dadurch verwirret und unzuſammenhaͤngend ge-
macht wird.

F f 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <pb facs="#f0481" n="[451]"/>
                    <div next="#f0483" xml:id="f0481" prev="#f0479" n="8">
                      <div n="9">
                        <div n="10">
                          <p prev="#f0479p">und &#x017F;elb&#x017F;t die Mo&#x0364;glichkeit einer Vera&#x0364;nderung u&#x0364;berhaupt<lb/>
muß euch an&#x017F;to&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig werden. Denn, wenn ihr nicht durch<lb/>
Erfahrung fa&#x0364;ndet, daß &#x017F;ie wirklich i&#x017F;t, &#x017F;o wu&#x0364;rdet ihr nie-<lb/>
mals <hi rendition="#aq">a priori</hi> er&#x017F;innen ko&#x0364;nnen, wie eine &#x017F;olche unaufho&#x0364;r-<lb/>
liche Folge von Seyn und Nicht&#x017F;eyn mo&#x0364;glich &#x017F;ey.</p><lb/>
                          <p>Wenn auch inde&#x017F;&#x017F;en allenfalls ein trans&#x017F;cendentales<lb/>
Vermo&#x0364;gen der Freiheit nachgegeben wird, um die Welt-<lb/>
vera&#x0364;nderungen anzufangen, &#x017F;o wu&#x0364;rde die&#x017F;es Vermo&#x0364;gen<lb/>
doch wenig&#x017F;tens nur au&#x017F;&#x017F;erhalb der Welt &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, (wie-<lb/>
wol es immer eine ku&#x0364;hne Anma&#x017F;&#x017F;ung bleibt, au&#x017F;&#x017F;erhalb dem<lb/>
Inbegriffe aller mo&#x0364;glichen An&#x017F;chauungen, noch einen Ge-<lb/>
gen&#x017F;tand anzunehmen, der in keiner mo&#x0364;glichen Wahrneh-<lb/>
mung gegeben werden kan). Allein, in der Welt &#x017F;elb&#x017F;t, den<lb/>
Sub&#x017F;tanzen ein &#x017F;olches Vermo&#x0364;gen beyzume&#x017F;&#x017F;en, kan nimmer-<lb/>
mehr erlaubt &#x017F;eyn, weil alsdenn der Zu&#x017F;ammenhang nach all-<lb/>
gemeinen Ge&#x017F;etzen &#x017F;ich einander nothwendig be&#x017F;timmender<lb/>
Er&#x017F;cheinungen, den man Natur nent, und mit ihm das Merk-<lb/>
mal empiri&#x017F;cher Wahrheit, welches Erfahrung vom Traum<lb/>
unter&#x017F;cheidet, gro&#x0364;ßtentheils ver&#x017F;chwinden wu&#x0364;rde. Denn<lb/>
es la&#x0364;ßt &#x017F;ich neben einem &#x017F;olchen ge&#x017F;etzlo&#x017F;en Vermo&#x0364;gen der<lb/>
Freiheit, kaum mehr Natur denken; weil die Ge&#x017F;etze der<lb/>
lezteren durch die Einflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e der er&#x017F;teren, unaufho&#x0364;rlich<lb/>
abgea&#x0364;ndert, und das Spiel der Er&#x017F;cheinungen, welches<lb/>
nach der blo&#x017F;&#x017F;en Natur regelma&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig und gleichfo&#x0364;rmig &#x017F;eyn<lb/>
wu&#x0364;rde, dadurch verwirret und unzu&#x017F;ammenha&#x0364;ngend ge-<lb/>
macht wird.</p>
                        </div>
                      </div>
                    </div><lb/>
                    <fw place="bottom" type="sig">F f 2</fw><lb/>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[451]/0481] und ſelbſt die Moͤglichkeit einer Veraͤnderung uͤberhaupt muß euch anſtoͤſſig werden. Denn, wenn ihr nicht durch Erfahrung faͤndet, daß ſie wirklich iſt, ſo wuͤrdet ihr nie- mals a priori erſinnen koͤnnen, wie eine ſolche unaufhoͤr- liche Folge von Seyn und Nichtſeyn moͤglich ſey. Wenn auch indeſſen allenfalls ein transſcendentales Vermoͤgen der Freiheit nachgegeben wird, um die Welt- veraͤnderungen anzufangen, ſo wuͤrde dieſes Vermoͤgen doch wenigſtens nur auſſerhalb der Welt ſeyn muͤſſen, (wie- wol es immer eine kuͤhne Anmaſſung bleibt, auſſerhalb dem Inbegriffe aller moͤglichen Anſchauungen, noch einen Ge- genſtand anzunehmen, der in keiner moͤglichen Wahrneh- mung gegeben werden kan). Allein, in der Welt ſelbſt, den Subſtanzen ein ſolches Vermoͤgen beyzumeſſen, kan nimmer- mehr erlaubt ſeyn, weil alsdenn der Zuſammenhang nach all- gemeinen Geſetzen ſich einander nothwendig beſtimmender Erſcheinungen, den man Natur nent, und mit ihm das Merk- mal empiriſcher Wahrheit, welches Erfahrung vom Traum unterſcheidet, groͤßtentheils verſchwinden wuͤrde. Denn es laͤßt ſich neben einem ſolchen geſetzloſen Vermoͤgen der Freiheit, kaum mehr Natur denken; weil die Geſetze der lezteren durch die Einfluͤſſe der erſteren, unaufhoͤrlich abgeaͤndert, und das Spiel der Erſcheinungen, welches nach der bloſſen Natur regelmaͤſſig und gleichfoͤrmig ſeyn wuͤrde, dadurch verwirret und unzuſammenhaͤngend ge- macht wird. F f 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/481
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. [451]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/481>, abgerufen am 21.11.2024.