Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

nehmen kan. Weil aber dadurch doch einmal das Ver-
mögen, eine Reihe in der Zeit ganz von selbst anzufangen,
bewiesen (obzwar nicht eingesehen) ist, so ist es uns nunmehr
auch erlaubt, mitten im Laufe der Welt verschiedene Reihen,
der Caussalität nach, von selbst anfangen zu lassen, und den
Substanzen derselben ein Vermögen beizulegen, aus Frei-
heit zu handeln. Man lasse sich aber hiebey nicht durch
einen Mißverstand aufhalten: daß, da nemlich eine suc-
cessive Reihe in der Welt nur einen comparativ ersten An-
fang haben kan, indem doch immer ein Zustand der Din-
ge in der Welt vorhergeht, etwa kein absolut erster An-
fang der Reihen während dem Weltlaufe möglich sey.
Denn wir reden hier nicht vom absolutersten Anfange der
Zeit nach, sondern der Caussalität nach. Wenn ich iezt
(zum Beispiel) völlig frey, und ohne den nothwendig be-
stimmenden Einfluß der Naturursachen von meinem Stuhle
aufstehe, so fängt in dieser Begebenheit, samt deren na-
türlichen Folgen ins Unendliche, eine neue Reihe schlecht-
hin an, obgleich der Zeit nach diese Begebenheit nur die
Fortsetzung einer vorhergehenden Reihe ist. Denn diese
Entschliessung und That liegt gar nicht in der Abfolge blos-
ser Naturwirkungen, und ist nicht eine blosse Fortsetzung
derselben, sondern die bestimmende Naturursachen hören
oberhalb derselben, in Ansehung dieser Eräugniß, ganz
auf, die zwar auf iene folgt, aber daraus nicht erfolgt
und daher zwar nicht der Zeit nach, aber doch in Ansehung
der Caussalität, ein schlechthin erster Anfang einer Reihe
von Erscheinungen genant werden muß.

Die Bestätigung von der Bedürfniß der Vernunft,
in der Reihe der Naturursachen sich auf einen ersten An-
fang aus Freiheit zu berufen, leuchtet daran sehr klar in
die Augen: daß (die epicurische Schule ausgenommen)
alle Philosophen des Alterthums sich gedrungen sahen, zur
Erklärung der Weltbewegungen einen ersten Beweger
anzunehmen, d. i. eine freihandelnde Ursache, welche die-
se Reihe von Zuständen zuerst und von selbst anfieng. Denn
aus blosser Natur unterfingen sie sich nicht, einen ersten
Anfang begreiflich zu machen.

Die

nehmen kan. Weil aber dadurch doch einmal das Ver-
moͤgen, eine Reihe in der Zeit ganz von ſelbſt anzufangen,
bewieſen (obzwar nicht eingeſehen) iſt, ſo iſt es uns nunmehr
auch erlaubt, mitten im Laufe der Welt verſchiedene Reihen,
der Cauſſalitaͤt nach, von ſelbſt anfangen zu laſſen, und den
Subſtanzen derſelben ein Vermoͤgen beizulegen, aus Frei-
heit zu handeln. Man laſſe ſich aber hiebey nicht durch
einen Mißverſtand aufhalten: daß, da nemlich eine ſuc-
ceſſive Reihe in der Welt nur einen comparativ erſten An-
fang haben kan, indem doch immer ein Zuſtand der Din-
ge in der Welt vorhergeht, etwa kein abſolut erſter An-
fang der Reihen waͤhrend dem Weltlaufe moͤglich ſey.
Denn wir reden hier nicht vom abſoluterſten Anfange der
Zeit nach, ſondern der Cauſſalitaͤt nach. Wenn ich iezt
(zum Beiſpiel) voͤllig frey, und ohne den nothwendig be-
ſtimmenden Einfluß der Natururſachen von meinem Stuhle
aufſtehe, ſo faͤngt in dieſer Begebenheit, ſamt deren na-
tuͤrlichen Folgen ins Unendliche, eine neue Reihe ſchlecht-
hin an, obgleich der Zeit nach dieſe Begebenheit nur die
Fortſetzung einer vorhergehenden Reihe iſt. Denn dieſe
Entſchlieſſung und That liegt gar nicht in der Abfolge bloſ-
ſer Naturwirkungen, und iſt nicht eine bloſſe Fortſetzung
derſelben, ſondern die beſtimmende Natururſachen hoͤren
oberhalb derſelben, in Anſehung dieſer Eraͤugniß, ganz
auf, die zwar auf iene folgt, aber daraus nicht erfolgt
und daher zwar nicht der Zeit nach, aber doch in Anſehung
der Cauſſalitaͤt, ein ſchlechthin erſter Anfang einer Reihe
von Erſcheinungen genant werden muß.

Die Beſtaͤtigung von der Beduͤrfniß der Vernunft,
in der Reihe der Natururſachen ſich auf einen erſten An-
fang aus Freiheit zu berufen, leuchtet daran ſehr klar in
die Augen: daß (die epicuriſche Schule ausgenommen)
alle Philoſophen des Alterthums ſich gedrungen ſahen, zur
Erklaͤrung der Weltbewegungen einen erſten Beweger
anzunehmen, d. i. eine freihandelnde Urſache, welche die-
ſe Reihe von Zuſtaͤnden zuerſt und von ſelbſt anfieng. Denn
aus bloſſer Natur unterfingen ſie ſich nicht, einen erſten
Anfang begreiflich zu machen.

Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <pb facs="#f0480" n="[450]"/>
                    <div next="#f0482" xml:id="f0480" prev="#f0478" n="8">
                      <div n="9">
                        <div n="10">
                          <p prev="#f0478p">nehmen kan. Weil aber dadurch doch einmal das Ver-<lb/>
mo&#x0364;gen, eine Reihe in der Zeit ganz von &#x017F;elb&#x017F;t anzufangen,<lb/>
bewie&#x017F;en (obzwar nicht einge&#x017F;ehen) i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t es uns nunmehr<lb/>
auch erlaubt, mitten im Laufe der Welt ver&#x017F;chiedene Reihen,<lb/>
der Cau&#x017F;&#x017F;alita&#x0364;t nach, von &#x017F;elb&#x017F;t anfangen zu la&#x017F;&#x017F;en, und den<lb/>
Sub&#x017F;tanzen der&#x017F;elben ein Vermo&#x0364;gen beizulegen, aus Frei-<lb/>
heit zu handeln. Man la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich aber hiebey nicht durch<lb/>
einen Mißver&#x017F;tand aufhalten: daß, da nemlich eine &#x017F;uc-<lb/>
ce&#x017F;&#x017F;ive Reihe in der Welt nur einen comparativ er&#x017F;ten An-<lb/>
fang haben kan, indem doch immer ein Zu&#x017F;tand der Din-<lb/>
ge in der Welt vorhergeht, etwa kein ab&#x017F;olut er&#x017F;ter An-<lb/>
fang der Reihen wa&#x0364;hrend dem Weltlaufe mo&#x0364;glich &#x017F;ey.<lb/>
Denn wir reden hier nicht vom ab&#x017F;oluter&#x017F;ten Anfange der<lb/>
Zeit nach, &#x017F;ondern der Cau&#x017F;&#x017F;alita&#x0364;t nach. Wenn ich iezt<lb/>
(zum Bei&#x017F;piel) vo&#x0364;llig frey, und ohne den nothwendig be-<lb/>
&#x017F;timmenden Einfluß der Naturur&#x017F;achen von meinem Stuhle<lb/>
auf&#x017F;tehe, &#x017F;o fa&#x0364;ngt in die&#x017F;er Begebenheit, &#x017F;amt deren na-<lb/>
tu&#x0364;rlichen Folgen ins Unendliche, eine neue Reihe &#x017F;chlecht-<lb/>
hin an, obgleich der Zeit nach die&#x017F;e Begebenheit nur die<lb/>
Fort&#x017F;etzung einer vorhergehenden Reihe i&#x017F;t. Denn die&#x017F;e<lb/>
Ent&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;ung und That liegt gar nicht in der Abfolge blo&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er Naturwirkungen, und i&#x017F;t nicht eine blo&#x017F;&#x017F;e Fort&#x017F;etzung<lb/>
der&#x017F;elben, &#x017F;ondern die be&#x017F;timmende Naturur&#x017F;achen ho&#x0364;ren<lb/>
oberhalb der&#x017F;elben, in An&#x017F;ehung die&#x017F;er Era&#x0364;ugniß, ganz<lb/>
auf, die zwar auf iene folgt, aber daraus nicht erfolgt<lb/>
und daher zwar nicht der Zeit nach, aber doch in An&#x017F;ehung<lb/>
der Cau&#x017F;&#x017F;alita&#x0364;t, ein &#x017F;chlechthin er&#x017F;ter Anfang einer Reihe<lb/>
von Er&#x017F;cheinungen genant werden muß.</p><lb/>
                          <p>Die Be&#x017F;ta&#x0364;tigung von der Bedu&#x0364;rfniß der Vernunft,<lb/>
in der Reihe der Naturur&#x017F;achen &#x017F;ich auf einen er&#x017F;ten An-<lb/>
fang aus Freiheit zu berufen, leuchtet daran &#x017F;ehr klar in<lb/>
die Augen: daß (die epicuri&#x017F;che Schule ausgenommen)<lb/>
alle Philo&#x017F;ophen des Alterthums &#x017F;ich gedrungen &#x017F;ahen, zur<lb/>
Erkla&#x0364;rung der Weltbewegungen einen er&#x017F;ten Beweger<lb/>
anzunehmen, d. i. eine freihandelnde Ur&#x017F;ache, welche die-<lb/>
&#x017F;e Reihe von Zu&#x017F;ta&#x0364;nden zuer&#x017F;t und von &#x017F;elb&#x017F;t anfieng. Denn<lb/>
aus blo&#x017F;&#x017F;er Natur unterfingen &#x017F;ie &#x017F;ich nicht, einen er&#x017F;ten<lb/>
Anfang begreiflich zu machen.</p>
                        </div>
                      </div>
                    </div><lb/>
                    <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[450]/0480] nehmen kan. Weil aber dadurch doch einmal das Ver- moͤgen, eine Reihe in der Zeit ganz von ſelbſt anzufangen, bewieſen (obzwar nicht eingeſehen) iſt, ſo iſt es uns nunmehr auch erlaubt, mitten im Laufe der Welt verſchiedene Reihen, der Cauſſalitaͤt nach, von ſelbſt anfangen zu laſſen, und den Subſtanzen derſelben ein Vermoͤgen beizulegen, aus Frei- heit zu handeln. Man laſſe ſich aber hiebey nicht durch einen Mißverſtand aufhalten: daß, da nemlich eine ſuc- ceſſive Reihe in der Welt nur einen comparativ erſten An- fang haben kan, indem doch immer ein Zuſtand der Din- ge in der Welt vorhergeht, etwa kein abſolut erſter An- fang der Reihen waͤhrend dem Weltlaufe moͤglich ſey. Denn wir reden hier nicht vom abſoluterſten Anfange der Zeit nach, ſondern der Cauſſalitaͤt nach. Wenn ich iezt (zum Beiſpiel) voͤllig frey, und ohne den nothwendig be- ſtimmenden Einfluß der Natururſachen von meinem Stuhle aufſtehe, ſo faͤngt in dieſer Begebenheit, ſamt deren na- tuͤrlichen Folgen ins Unendliche, eine neue Reihe ſchlecht- hin an, obgleich der Zeit nach dieſe Begebenheit nur die Fortſetzung einer vorhergehenden Reihe iſt. Denn dieſe Entſchlieſſung und That liegt gar nicht in der Abfolge bloſ- ſer Naturwirkungen, und iſt nicht eine bloſſe Fortſetzung derſelben, ſondern die beſtimmende Natururſachen hoͤren oberhalb derſelben, in Anſehung dieſer Eraͤugniß, ganz auf, die zwar auf iene folgt, aber daraus nicht erfolgt und daher zwar nicht der Zeit nach, aber doch in Anſehung der Cauſſalitaͤt, ein ſchlechthin erſter Anfang einer Reihe von Erſcheinungen genant werden muß. Die Beſtaͤtigung von der Beduͤrfniß der Vernunft, in der Reihe der Natururſachen ſich auf einen erſten An- fang aus Freiheit zu berufen, leuchtet daran ſehr klar in die Augen: daß (die epicuriſche Schule ausgenommen) alle Philoſophen des Alterthums ſich gedrungen ſahen, zur Erklaͤrung der Weltbewegungen einen erſten Beweger anzunehmen, d. i. eine freihandelnde Urſache, welche die- ſe Reihe von Zuſtaͤnden zuerſt und von ſelbſt anfieng. Denn aus bloſſer Natur unterfingen ſie ſich nicht, einen erſten Anfang begreiflich zu machen. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/480
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. [450]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/480>, abgerufen am 23.11.2024.