Der Vertheidiger der Allvermögenheit der Natur (transscendentale Physiocratie), im Widerspiel mit der Lehre von der Freiheit, würde seinen Satz, gegen die vernünftelnde Schlüsse der lezteren, auf folgende Art be- haupten. Wenn ihr kein mathematisch Erstes der Zeit nach in der Welt annehmt, so habt ihr auch nicht nöthig, ein dynamisch Erstes der Caussalität nach zu suchen. Wer hat euch geheissen, einen schlechthin ersten Zustand der Welt, und mithin einen absoluten Anfang der nach und nach ablaufenden Reihe der Erscheinungen zu erdenken, und, damit ihr eurer Einbildung einen Ru- hepunct verschaffen möget, der unumschränkten Natur Gränzen zu setzen. Da die Substanzen in der Welt ie- derzeit gewesen sind, wenigstens die Einheit der Erfahrung eine solche Voraussetzung nothwendig macht, so hat es keine Schwierigkeit auch anzunehmen: daß der Wechsel ihrer Zustände, d. i. eine Reihe ihrer Veränderungen ie- derzeit gewesen sey, und mithin kein erster Anfang, we- der mathematisch, noch dynamisch, gesucht werden dürfe. Die Möglichkeit einer solchen unendlichen Abstammung, ohne ein erstes Glied, in Ansehung dessen alles übrige blos nachfolgend ist, läßt sich, seiner Möglichkeit nach, nicht begreiflich machen. Aber wenn ihr diese Naturräth- sel darum wegwerfen wollt, so werdet ihr euch genöthigt sehen, viel synthetische Grundbeschaffenheiten zu verwer- fen, (Grundkräfte) die ihr eben so wenig begreifen könt,
und
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II. Anmerkung zur Antitheſis.
Der Vertheidiger der Allvermoͤgenheit der Natur (transſcendentale Phyſiocratie), im Widerſpiel mit der Lehre von der Freiheit, wuͤrde ſeinen Satz, gegen die vernuͤnftelnde Schluͤſſe der lezteren, auf folgende Art be- haupten. Wenn ihr kein mathematiſch Erſtes der Zeit nach in der Welt annehmt, ſo habt ihr auch nicht noͤthig, ein dynamiſch Erſtes der Cauſſalitaͤt nach zu ſuchen. Wer hat euch geheiſſen, einen ſchlechthin erſten Zuſtand der Welt, und mithin einen abſoluten Anfang der nach und nach ablaufenden Reihe der Erſcheinungen zu erdenken, und, damit ihr eurer Einbildung einen Ru- hepunct verſchaffen moͤget, der unumſchraͤnkten Natur Graͤnzen zu ſetzen. Da die Subſtanzen in der Welt ie- derzeit geweſen ſind, wenigſtens die Einheit der Erfahrung eine ſolche Vorausſetzung nothwendig macht, ſo hat es keine Schwierigkeit auch anzunehmen: daß der Wechſel ihrer Zuſtaͤnde, d. i. eine Reihe ihrer Veraͤnderungen ie- derzeit geweſen ſey, und mithin kein erſter Anfang, we- der mathematiſch, noch dynamiſch, geſucht werden duͤrfe. Die Moͤglichkeit einer ſolchen unendlichen Abſtammung, ohne ein erſtes Glied, in Anſehung deſſen alles uͤbrige blos nachfolgend iſt, laͤßt ſich, ſeiner Moͤglichkeit nach, nicht begreiflich machen. Aber wenn ihr dieſe Naturraͤth- ſel darum wegwerfen wollt, ſo werdet ihr euch genoͤthigt ſehen, viel ſynthetiſche Grundbeſchaffenheiten zu verwer- fen, (Grundkraͤfte) die ihr eben ſo wenig begreifen koͤnt,
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[[449]/0479]
II. Anmerkung
zur Antitheſis.
Der Vertheidiger der Allvermoͤgenheit der Natur
(transſcendentale Phyſiocratie), im Widerſpiel mit der
Lehre von der Freiheit, wuͤrde ſeinen Satz, gegen die
vernuͤnftelnde Schluͤſſe der lezteren, auf folgende Art be-
haupten. Wenn ihr kein mathematiſch Erſtes der
Zeit nach in der Welt annehmt, ſo habt ihr auch nicht
noͤthig, ein dynamiſch Erſtes der Cauſſalitaͤt nach zu
ſuchen. Wer hat euch geheiſſen, einen ſchlechthin erſten
Zuſtand der Welt, und mithin einen abſoluten Anfang
der nach und nach ablaufenden Reihe der Erſcheinungen
zu erdenken, und, damit ihr eurer Einbildung einen Ru-
hepunct verſchaffen moͤget, der unumſchraͤnkten Natur
Graͤnzen zu ſetzen. Da die Subſtanzen in der Welt ie-
derzeit geweſen ſind, wenigſtens die Einheit der Erfahrung
eine ſolche Vorausſetzung nothwendig macht, ſo hat es
keine Schwierigkeit auch anzunehmen: daß der Wechſel
ihrer Zuſtaͤnde, d. i. eine Reihe ihrer Veraͤnderungen ie-
derzeit geweſen ſey, und mithin kein erſter Anfang, we-
der mathematiſch, noch dynamiſch, geſucht werden duͤrfe.
Die Moͤglichkeit einer ſolchen unendlichen Abſtammung,
ohne ein erſtes Glied, in Anſehung deſſen alles uͤbrige
blos nachfolgend iſt, laͤßt ſich, ſeiner Moͤglichkeit nach,
nicht begreiflich machen. Aber wenn ihr dieſe Naturraͤth-
ſel darum wegwerfen wollt, ſo werdet ihr euch genoͤthigt
ſehen, viel ſynthetiſche Grundbeſchaffenheiten zu verwer-
fen, (Grundkraͤfte) die ihr eben ſo wenig begreifen koͤnt,
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. [449]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/479>, abgerufen am 21.11.2024.
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