Die Caussalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt ins- gesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Caus- salität durch Freiheit zu Erklärung derselben anzunehmen nothwendig.
Beweis.
Man nehme an: es gebe keine andere Caussalität, als nach Gesetzen der Natur, so sezt alles, was geschieht, einen vorigen Zustand voraus, auf den es unausbleiblich nach einer Regel folgt. Nun muß aber der vorige Zustand selbst etwas seyn, was geschehen ist (in der Zeit gewor- den, da es vorher nicht war), weil, wenn es iederzeit gewesen wäre, seine Folge auch nicht allererst entstanden, sondern immer gewesen seyn würde. Also ist die Caussa- lität der Ursache, durch welche etwas geschieht, selbst et- was Geschehenes, welches nach dem Gesetze der Natur wiederum einen vorigen Zustand und dessen Caussalität, dieser aber eben so einen noch älteren voraussezt u. s. w. Wenn also alles nach blossen Gesetzen der Natur geschieht, so giebt es iederzeit nur einen subalternen, niemals aber
einen
Der Antinomie
Dritter Widerſtreit
Theſis.
Die Cauſſalitaͤt nach Geſetzen der Natur iſt nicht die einzige, aus welcher die Erſcheinungen der Welt ins- geſamt abgeleitet werden koͤnnen. Es iſt noch eine Cauſ- ſalitaͤt durch Freiheit zu Erklaͤrung derſelben anzunehmen nothwendig.
Beweis.
Man nehme an: es gebe keine andere Cauſſalitaͤt, als nach Geſetzen der Natur, ſo ſezt alles, was geſchieht, einen vorigen Zuſtand voraus, auf den es unausbleiblich nach einer Regel folgt. Nun muß aber der vorige Zuſtand ſelbſt etwas ſeyn, was geſchehen iſt (in der Zeit gewor- den, da es vorher nicht war), weil, wenn es iederzeit geweſen waͤre, ſeine Folge auch nicht allererſt entſtanden, ſondern immer geweſen ſeyn wuͤrde. Alſo iſt die Cauſſa- litaͤt der Urſache, durch welche etwas geſchieht, ſelbſt et- was Geſchehenes, welches nach dem Geſetze der Natur wiederum einen vorigen Zuſtand und deſſen Cauſſalitaͤt, dieſer aber eben ſo einen noch aͤlteren vorausſezt u. ſ. w. Wenn alſo alles nach bloſſen Geſetzen der Natur geſchieht, ſo giebt es iederzeit nur einen ſubalternen, niemals aber
einen
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Der Antinomie
Dritter Widerſtreit
Theſis.
Die Cauſſalitaͤt nach Geſetzen der Natur iſt nicht
die einzige, aus welcher die Erſcheinungen der Welt ins-
geſamt abgeleitet werden koͤnnen. Es iſt noch eine Cauſ-
ſalitaͤt durch Freiheit zu Erklaͤrung derſelben anzunehmen
nothwendig.
Beweis.
Man nehme an: es gebe keine andere Cauſſalitaͤt, als
nach Geſetzen der Natur, ſo ſezt alles, was geſchieht,
einen vorigen Zuſtand voraus, auf den es unausbleiblich
nach einer Regel folgt. Nun muß aber der vorige Zuſtand
ſelbſt etwas ſeyn, was geſchehen iſt (in der Zeit gewor-
den, da es vorher nicht war), weil, wenn es iederzeit
geweſen waͤre, ſeine Folge auch nicht allererſt entſtanden,
ſondern immer geweſen ſeyn wuͤrde. Alſo iſt die Cauſſa-
litaͤt der Urſache, durch welche etwas geſchieht, ſelbſt et-
was Geſchehenes, welches nach dem Geſetze der Natur
wiederum einen vorigen Zuſtand und deſſen Cauſſalitaͤt,
dieſer aber eben ſo einen noch aͤlteren vorausſezt u. ſ. w.
Wenn alſo alles nach bloſſen Geſetzen der Natur geſchieht,
ſo giebt es iederzeit nur einen ſubalternen, niemals aber
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. [444]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/474>, abgerufen am 23.11.2024.
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