Wenn ich von einem Ganzen rede, welches noth- wendig aus einfachen Theilen besteht, so verstehe ich dar- unter nur ein substanzielles Ganze, als das eigentliche Compositum, d. i. dieienige zufällige Einheit des Mannig- faltigen, welches abgesondert (wenigstens in Gedanken) gegeben, in eine wechselseitige Verbindung gesezt wird, und dadurch Eines ausmacht. Den Raum solte man ei- gentlich nicht Compositum, sondern Totum nennen, weil die Theile desselben nur im Ganzen und nicht das Ganze durch die Theile möglich ist. Er würde allenfalls ein Compositum ideale, aber nicht reale heissen können. Doch dieses ist nur Subtilität. Da der Raum kein Zusammen- geseztes aus Substanzen (nicht einmal aus realen Acci- denzen) ist, so muß, wenn ich alle Zusammensetzung in ihm aufhebe, nichts, auch nicht einmal der Punct übrig bleiben; denn dieser ist nur als die Gränze eines Raumes, (mithin eines Zusammengesezten) möglich. Raum und
Zeit
Anmerkung zur zweiten Antinomie. I. zur Theſis.
Wenn ich von einem Ganzen rede, welches noth- wendig aus einfachen Theilen beſteht, ſo verſtehe ich dar- unter nur ein ſubſtanzielles Ganze, als das eigentliche Compoſitum, d. i. dieienige zufaͤllige Einheit des Mannig- faltigen, welches abgeſondert (wenigſtens in Gedanken) gegeben, in eine wechſelſeitige Verbindung geſezt wird, und dadurch Eines ausmacht. Den Raum ſolte man ei- gentlich nicht Compoſitum, ſondern Totum nennen, weil die Theile deſſelben nur im Ganzen und nicht das Ganze durch die Theile moͤglich iſt. Er wuͤrde allenfalls ein Compoſitum ideale, aber nicht reale heiſſen koͤnnen. Doch dieſes iſt nur Subtilitaͤt. Da der Raum kein Zuſammen- geſeztes aus Subſtanzen (nicht einmal aus realen Acci- denzen) iſt, ſo muß, wenn ich alle Zuſammenſetzung in ihm aufhebe, nichts, auch nicht einmal der Punct uͤbrig bleiben; denn dieſer iſt nur als die Graͤnze eines Raumes, (mithin eines Zuſammengeſezten) moͤglich. Raum und
Zeit
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><pbfacs="#f0468"n="[438]"/><divnext="#f0470"xml:id="f0468"prev="#f0466"n="8"><divn="9"><divn="10"><head><hirendition="#b">Anmerkung zur zweiten Antinomie.<lb/><hirendition="#aq">I.</hi> zur Theſis.</hi></head><lb/><pxml:id="f0468p">Wenn ich von einem Ganzen rede, welches noth-<lb/>
wendig aus einfachen Theilen beſteht, ſo verſtehe ich dar-<lb/>
unter nur ein ſubſtanzielles Ganze, als das eigentliche<lb/>
Compoſitum, d. i. dieienige zufaͤllige Einheit des Mannig-<lb/>
faltigen, welches abgeſondert (wenigſtens in Gedanken)<lb/>
gegeben, in eine wechſelſeitige Verbindung geſezt wird,<lb/>
und dadurch Eines ausmacht. Den Raum ſolte man ei-<lb/>
gentlich nicht Compoſitum, ſondern Totum nennen, weil<lb/>
die Theile deſſelben nur im Ganzen und nicht das Ganze<lb/>
durch die Theile moͤglich iſt. Er wuͤrde allenfalls ein<lb/><hirendition="#aq">Compoſitum ideale,</hi> aber nicht <hirendition="#aq">reale</hi> heiſſen koͤnnen. Doch<lb/>
dieſes iſt nur Subtilitaͤt. Da der Raum kein Zuſammen-<lb/>
geſeztes aus Subſtanzen (nicht einmal aus realen Acci-<lb/>
denzen) iſt, ſo muß, wenn ich alle Zuſammenſetzung in<lb/>
ihm aufhebe, nichts, auch nicht einmal der Punct uͤbrig<lb/>
bleiben; denn dieſer iſt nur als die Graͤnze eines Raumes,<lb/>
(mithin eines Zuſammengeſezten) moͤglich. Raum und</p></div></div></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Zeit</fw><lb/></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[[438]/0468]
Anmerkung zur zweiten Antinomie.
I. zur Theſis.
Wenn ich von einem Ganzen rede, welches noth-
wendig aus einfachen Theilen beſteht, ſo verſtehe ich dar-
unter nur ein ſubſtanzielles Ganze, als das eigentliche
Compoſitum, d. i. dieienige zufaͤllige Einheit des Mannig-
faltigen, welches abgeſondert (wenigſtens in Gedanken)
gegeben, in eine wechſelſeitige Verbindung geſezt wird,
und dadurch Eines ausmacht. Den Raum ſolte man ei-
gentlich nicht Compoſitum, ſondern Totum nennen, weil
die Theile deſſelben nur im Ganzen und nicht das Ganze
durch die Theile moͤglich iſt. Er wuͤrde allenfalls ein
Compoſitum ideale, aber nicht reale heiſſen koͤnnen. Doch
dieſes iſt nur Subtilitaͤt. Da der Raum kein Zuſammen-
geſeztes aus Subſtanzen (nicht einmal aus realen Acci-
denzen) iſt, ſo muß, wenn ich alle Zuſammenſetzung in
ihm aufhebe, nichts, auch nicht einmal der Punct uͤbrig
bleiben; denn dieſer iſt nur als die Graͤnze eines Raumes,
(mithin eines Zuſammengeſezten) moͤglich. Raum und
Zeit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. [438]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/468>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.