Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

ten als: Es könne das Daseyn des schlechthin Einfachen
aus keiner Erfahrung oder Wahrnehmung, weder äusse-
ren noch inneren, dargethan werden, und das schlechthin
Einfache sey also eine blosse Idee, deren obiective Realität
niemals in irgend einer möglichen Erfahrung kan darge-
than werden, mithin in der Exposition der Erscheinungen
ohne alle Anwendung und Gegenstand. Denn wir wollen
annehmen, es ließe sich vor diese transscendentale Idee
ein Gegenstand der Erfahrung finden: so müßte die em-
pirische Anschauung irgend eines Gegenstandes als eine sol-
che erkant werden, welche schlechthin kein Mannigfal-
tiges ausserhalb einander, und zur Einheit verbunden,
enthält. Da nun von dem Nichtbewustseyn eines Man-
nigfaltigen auf die gänzliche Unmöglichkeit ein solches in
irgend einer Anschauung desselben Obiects, kein Schluß
gilt, dieses leztere aber zur absoluten Simplicität durch-
aus nöthig ist, so folgt: daß diese aus keiner Wahrneh-
mung, welche sie auch sey, könne geschlossen werden. Da
also etwas als ein schlechthin einfaches Obiect niemals in
irgend einer möglichen Erfahrung kan gegeben werden,
die Sinnenwelt aber, als der Inbegriff aller möglichen
Erfahrungen angesehen werden muß: so ist überall in ihr
nichts Einfaches gegeben.

Dieser zweite Satz der Antithesis geht viel weiter als
der erste, der das Einfache nur von der Anschauung des
Zusammengesezten verbant, dahingegen dieser es aus der
ganzen Natur wegschaft, daher er auch nicht aus dem
Begriffe eines gegebenen Gegenstandes der äusseren Anschau-
ung (des Zusammengesezten), sondern aus dem Verhält-
niß desselben zu einer möglichen Erfahrung überhaupt hat
bewiesen werden können.

II. An-
E e 3

ten als: Es koͤnne das Daſeyn des ſchlechthin Einfachen
aus keiner Erfahrung oder Wahrnehmung, weder aͤuſſe-
ren noch inneren, dargethan werden, und das ſchlechthin
Einfache ſey alſo eine bloſſe Idee, deren obiective Realitaͤt
niemals in irgend einer moͤglichen Erfahrung kan darge-
than werden, mithin in der Expoſition der Erſcheinungen
ohne alle Anwendung und Gegenſtand. Denn wir wollen
annehmen, es ließe ſich vor dieſe transſcendentale Idee
ein Gegenſtand der Erfahrung finden: ſo muͤßte die em-
piriſche Anſchauung irgend eines Gegenſtandes als eine ſol-
che erkant werden, welche ſchlechthin kein Mannigfal-
tiges auſſerhalb einander, und zur Einheit verbunden,
enthaͤlt. Da nun von dem Nichtbewuſtſeyn eines Man-
nigfaltigen auf die gaͤnzliche Unmoͤglichkeit ein ſolches in
irgend einer Anſchauung deſſelben Obiects, kein Schluß
gilt, dieſes leztere aber zur abſoluten Simplicitaͤt durch-
aus noͤthig iſt, ſo folgt: daß dieſe aus keiner Wahrneh-
mung, welche ſie auch ſey, koͤnne geſchloſſen werden. Da
alſo etwas als ein ſchlechthin einfaches Obiect niemals in
irgend einer moͤglichen Erfahrung kan gegeben werden,
die Sinnenwelt aber, als der Inbegriff aller moͤglichen
Erfahrungen angeſehen werden muß: ſo iſt uͤberall in ihr
nichts Einfaches gegeben.

Dieſer zweite Satz der Antitheſis geht viel weiter als
der erſte, der das Einfache nur von der Anſchauung des
Zuſammengeſezten verbant, dahingegen dieſer es aus der
ganzen Natur wegſchaft, daher er auch nicht aus dem
Begriffe eines gegebenen Gegenſtandes der aͤuſſeren Anſchau-
ung (des Zuſammengeſezten), ſondern aus dem Verhaͤlt-
niß deſſelben zu einer moͤglichen Erfahrung uͤberhaupt hat
bewieſen werden koͤnnen.

II. An-
E e 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <pb facs="#f0467" n="[437]"/>
                    <div next="#f0469" xml:id="f0467" prev="#f0465" n="8">
                      <div n="9">
                        <div n="10">
                          <p prev="#f0465p">ten als: Es ko&#x0364;nne das Da&#x017F;eyn des &#x017F;chlechthin Einfachen<lb/>
aus keiner Erfahrung oder Wahrnehmung, weder a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
ren noch inneren, dargethan werden, und das &#x017F;chlechthin<lb/>
Einfache &#x017F;ey al&#x017F;o eine blo&#x017F;&#x017F;e Idee, deren obiective Realita&#x0364;t<lb/>
niemals in irgend einer mo&#x0364;glichen Erfahrung kan darge-<lb/>
than werden, mithin in der Expo&#x017F;ition der Er&#x017F;cheinungen<lb/>
ohne alle Anwendung und Gegen&#x017F;tand. Denn wir wollen<lb/>
annehmen, es ließe &#x017F;ich vor die&#x017F;e trans&#x017F;cendentale Idee<lb/>
ein Gegen&#x017F;tand der Erfahrung finden: &#x017F;o mu&#x0364;ßte die em-<lb/>
piri&#x017F;che An&#x017F;chauung irgend eines Gegen&#x017F;tandes als eine &#x017F;ol-<lb/>
che erkant werden, welche &#x017F;chlechthin kein Mannigfal-<lb/>
tiges au&#x017F;&#x017F;erhalb einander, und zur Einheit verbunden,<lb/>
entha&#x0364;lt. Da nun von dem Nichtbewu&#x017F;t&#x017F;eyn eines Man-<lb/>
nigfaltigen auf die ga&#x0364;nzliche Unmo&#x0364;glichkeit ein &#x017F;olches in<lb/>
irgend einer An&#x017F;chauung de&#x017F;&#x017F;elben Obiects, kein Schluß<lb/>
gilt, die&#x017F;es leztere aber zur ab&#x017F;oluten Simplicita&#x0364;t durch-<lb/>
aus no&#x0364;thig i&#x017F;t, &#x017F;o folgt: daß die&#x017F;e aus keiner Wahrneh-<lb/>
mung, welche &#x017F;ie auch &#x017F;ey, ko&#x0364;nne ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werden. Da<lb/>
al&#x017F;o etwas als ein &#x017F;chlechthin einfaches Obiect niemals in<lb/>
irgend einer mo&#x0364;glichen Erfahrung kan gegeben werden,<lb/>
die Sinnenwelt aber, als der Inbegriff aller mo&#x0364;glichen<lb/>
Erfahrungen ange&#x017F;ehen werden muß: &#x017F;o i&#x017F;t u&#x0364;berall in ihr<lb/>
nichts Einfaches gegeben.</p><lb/>
                          <p>Die&#x017F;er zweite Satz der Antithe&#x017F;is geht viel weiter als<lb/>
der er&#x017F;te, der das Einfache nur von der An&#x017F;chauung des<lb/>
Zu&#x017F;ammenge&#x017F;ezten verbant, dahingegen die&#x017F;er es aus der<lb/>
ganzen Natur weg&#x017F;chaft, daher er auch nicht aus dem<lb/>
Begriffe eines gegebenen Gegen&#x017F;tandes der a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;eren An&#x017F;chau-<lb/>
ung (des Zu&#x017F;ammenge&#x017F;ezten), &#x017F;ondern aus dem Verha&#x0364;lt-<lb/>
niß de&#x017F;&#x017F;elben zu einer mo&#x0364;glichen Erfahrung u&#x0364;berhaupt hat<lb/>
bewie&#x017F;en werden ko&#x0364;nnen.</p>
                        </div>
                      </div>
                    </div><lb/>
                    <fw place="bottom" type="sig">E e 3</fw>
                    <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">II.</hi> An-</fw><lb/>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[437]/0467] ten als: Es koͤnne das Daſeyn des ſchlechthin Einfachen aus keiner Erfahrung oder Wahrnehmung, weder aͤuſſe- ren noch inneren, dargethan werden, und das ſchlechthin Einfache ſey alſo eine bloſſe Idee, deren obiective Realitaͤt niemals in irgend einer moͤglichen Erfahrung kan darge- than werden, mithin in der Expoſition der Erſcheinungen ohne alle Anwendung und Gegenſtand. Denn wir wollen annehmen, es ließe ſich vor dieſe transſcendentale Idee ein Gegenſtand der Erfahrung finden: ſo muͤßte die em- piriſche Anſchauung irgend eines Gegenſtandes als eine ſol- che erkant werden, welche ſchlechthin kein Mannigfal- tiges auſſerhalb einander, und zur Einheit verbunden, enthaͤlt. Da nun von dem Nichtbewuſtſeyn eines Man- nigfaltigen auf die gaͤnzliche Unmoͤglichkeit ein ſolches in irgend einer Anſchauung deſſelben Obiects, kein Schluß gilt, dieſes leztere aber zur abſoluten Simplicitaͤt durch- aus noͤthig iſt, ſo folgt: daß dieſe aus keiner Wahrneh- mung, welche ſie auch ſey, koͤnne geſchloſſen werden. Da alſo etwas als ein ſchlechthin einfaches Obiect niemals in irgend einer moͤglichen Erfahrung kan gegeben werden, die Sinnenwelt aber, als der Inbegriff aller moͤglichen Erfahrungen angeſehen werden muß: ſo iſt uͤberall in ihr nichts Einfaches gegeben. Dieſer zweite Satz der Antitheſis geht viel weiter als der erſte, der das Einfache nur von der Anſchauung des Zuſammengeſezten verbant, dahingegen dieſer es aus der ganzen Natur wegſchaft, daher er auch nicht aus dem Begriffe eines gegebenen Gegenſtandes der aͤuſſeren Anſchau- ung (des Zuſammengeſezten), ſondern aus dem Verhaͤlt- niß deſſelben zu einer moͤglichen Erfahrung uͤberhaupt hat bewieſen werden koͤnnen. II. An- E e 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/467
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. [437]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/467>, abgerufen am 21.12.2024.