Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsätzen vorgestellt, und der Begriff der Heiligkeit, der ihr um des-willen zukommt, setzt sie zwar nicht über alle practische, aber doch über alle practisch-einschränkende Gesetze, mithin Ver- bindlichkeit und Pflicht weg. Diese Heiligkeit des Willens ist gleichwol eine practische Idee, welche nothwendig zum Ur- bilde dienen muß, welchem sich ins Unendliche zu nähern das einzige ist, was allen endlichen vernünftigen Wesen zusteht, und welche das reine Sittengesetz, das darum selbst heilig heißt, ihnen beständig und richtig vor Augen hält, von wel- chem ins Unendliche gehenden Progressus seiner Maximen und Unwandelbarkeit derselben zum beständigen Fortschreiten sicher zu seyn, d. i. Tugend, das höchste ist, was endliche practische Vernunft bewirken kann, die selbst wiederum wenigstens als natürlich erworbenes Vermögen nie vollendet seyn kann, weil die Sicherheit in solchem Falle niemals apodictische Gewißheit wird, und als Ueberredung sehr gefährlich ist. §. 8. Lehrsatz IV. Die Avtonomie des Willens ist das alleinige ist
I. Th. I. B. I. Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen vorgeſtellt, und der Begriff der Heiligkeit, der ihr um des-willen zukommt, ſetzt ſie zwar nicht uͤber alle practiſche, aber doch uͤber alle practiſch-einſchraͤnkende Geſetze, mithin Ver- bindlichkeit und Pflicht weg. Dieſe Heiligkeit des Willens iſt gleichwol eine practiſche Idee, welche nothwendig zum Ur- bilde dienen muß, welchem ſich ins Unendliche zu naͤhern das einzige iſt, was allen endlichen vernuͤnftigen Weſen zuſteht, und welche das reine Sittengeſetz, das darum ſelbſt heilig heißt, ihnen beſtaͤndig und richtig vor Augen haͤlt, von wel- chem ins Unendliche gehenden Progreſſus ſeiner Maximen und Unwandelbarkeit derſelben zum beſtaͤndigen Fortſchreiten ſicher zu ſeyn, d. i. Tugend, das hoͤchſte iſt, was endliche practiſche Vernunft bewirken kann, die ſelbſt wiederum wenigſtens als natuͤrlich erworbenes Vermoͤgen nie vollendet ſeyn kann, weil die Sicherheit in ſolchem Falle niemals apodictiſche Gewißheit wird, und als Ueberredung ſehr gefaͤhrlich iſt. §. 8. Lehrſatz IV. Die Avtonomie des Willens iſt das alleinige iſt
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I. Th. I. B. I. Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen
vorgeſtellt, und der Begriff der Heiligkeit, der ihr um des-
willen zukommt, ſetzt ſie zwar nicht uͤber alle practiſche, aber
doch uͤber alle practiſch-einſchraͤnkende Geſetze, mithin Ver-
bindlichkeit und Pflicht weg. Dieſe Heiligkeit des Willens iſt
gleichwol eine practiſche Idee, welche nothwendig zum Ur-
bilde dienen muß, welchem ſich ins Unendliche zu naͤhern das
einzige iſt, was allen endlichen vernuͤnftigen Weſen zuſteht,
und welche das reine Sittengeſetz, das darum ſelbſt heilig
heißt, ihnen beſtaͤndig und richtig vor Augen haͤlt, von wel-
chem ins Unendliche gehenden Progreſſus ſeiner Maximen und
Unwandelbarkeit derſelben zum beſtaͤndigen Fortſchreiten ſicher
zu ſeyn, d. i. Tugend, das hoͤchſte iſt, was endliche practiſche
Vernunft bewirken kann, die ſelbſt wiederum wenigſtens als
natuͤrlich erworbenes Vermoͤgen nie vollendet ſeyn kann, weil
die Sicherheit in ſolchem Falle niemals apodictiſche Gewißheit
wird, und als Ueberredung ſehr gefaͤhrlich iſt.
§. 8.
Lehrſatz IV.
Die Avtonomie des Willens iſt das alleinige
Princip aller moraliſchen Geſetze und der ihnen gemaͤßen
Pflichten: Alle Heteronomie der Willkuͤhr gruͤndet da-
gegen nicht allein gar keine Verbindlichkeit, ſondern iſt
vielmehr dem Princip derſelben und der Sittlichkeit des
Willens entgegen. In der Unabhaͤngigkeit nemlich von
aller Materie des Geſetzes (nemlich einem begehrten
Objecte) und zugleich doch Beſtimmung der Willkuͤhr
durch die bloße allgemeine geſetzgebende Form, deren
eine Maxime faͤhig ſeyn muß, beſteht das alleinige
Princip der Sittlichkeit. Jene Unabhaͤngigkeit aber
iſt
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