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Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.

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zukünftigen bessern Zustandes fähig sind, ist die allmählige Annäherung der menschlichen Natur zu ihrem Zwecke möglich. Siehet hin und wieder doch noch mancher Große sein Volk gleichsam nur für einen Theil des Naturreiches an, und richtet also auch nur darauf sein Augenmerk, daß es fortgepflanzt werde. Höchstens verlangt man dann auch noch Geschicklichkeit, aber blos um die Unterthanen desto besser als Werkzeug zu seinen Absichten gebrauchen zu können. Privatmänner müssen freylich auch zuerst den Naturzweck vor Augen haben, aber dann auch besonders auf die Entwickelung der Menschheit und dahin sehen, daß sie nicht nur geschickt, sondern auch gesittet werde, und, welches das schwerste ist, daß sie suchen, die Nachkommenschaft weiter zu bringen, als sie selbst gekommen sind.

Bey der Erziehung muß der Mensch also 1) disciplinirt werden. Discipliniren heißt suchen zu verhüten, daß die Thierheit nicht der Menschheit, in dem einzelnen sowohl, als gesellschaftlichen Menschen, zum Schaden gereiche. Disciplin ist also blos Bezähmung der Wildheit.

2) Muß der Mensch kultivirt werden. Kultur begreift unter sich die Belehrung und die Unterweisung. Sie ist die Verschaffung der Geschicklichkeit. Diese ist der Besitz eines Vermögens, welches zu allen beliebigen Zwecken zureichend ist. Sie bestimmt also gar keine Zwecke, sondern überläßt das nachher den Umständen.

Einige Geschicklichkeiten sind in allen Fällen gut, z. E. das Lesen und Schreiben; andere nur zu einigen

zukünftigen bessern Zustandes fähig sind, ist die allmählige Annäherung der menschlichen Natur zu ihrem Zwecke möglich. Siehet hin und wieder doch noch mancher Große sein Volk gleichsam nur für einen Theil des Naturreiches an, und richtet also auch nur darauf sein Augenmerk, daß es fortgepflanzt werde. Höchstens verlangt man dann auch noch Geschicklichkeit, aber blos um die Unterthanen desto besser als Werkzeug zu seinen Absichten gebrauchen zu können. Privatmänner müssen freylich auch zuerst den Naturzweck vor Augen haben, aber dann auch besonders auf die Entwickelung der Menschheit und dahin sehen, daß sie nicht nur geschickt, sondern auch gesittet werde, und, welches das schwerste ist, daß sie suchen, die Nachkommenschaft weiter zu bringen, als sie selbst gekommen sind.

Bey der Erziehung muß der Mensch also 1) disciplinirt werden. Discipliniren heißt suchen zu verhüten, daß die Thierheit nicht der Menschheit, in dem einzelnen sowohl, als gesellschaftlichen Menschen, zum Schaden gereiche. Disciplin ist also blos Bezähmung der Wildheit.

2) Muß der Mensch kultivirt werden. Kultur begreift unter sich die Belehrung und die Unterweisung. Sie ist die Verschaffung der Geschicklichkeit. Diese ist der Besitz eines Vermögens, welches zu allen beliebigen Zwecken zureichend ist. Sie bestimmt also gar keine Zwecke, sondern überläßt das nachher den Umständen.

Einige Geschicklichkeiten sind in allen Fällen gut, z. E. das Lesen und Schreiben; andere nur zu einigen

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zukünftigen bessern Zustandes fähig sind, ist die allmählige Annäherung der menschlichen Natur zu ihrem Zwecke möglich. Siehet hin und wieder doch noch mancher Große sein Volk gleichsam nur für einen Theil des Naturreiches an, und richtet also auch nur darauf sein Augenmerk, daß es fortgepflanzt werde. Höchstens verlangt man dann auch noch Geschicklichkeit, aber blos um die Unterthanen desto besser als Werkzeug zu seinen Absichten gebrauchen zu können. Privatmänner müssen freylich auch zuerst den Naturzweck vor Augen haben, aber dann auch besonders auf die Entwickelung der Menschheit und dahin sehen, daß sie nicht nur geschickt, sondern auch gesittet werde, und, welches das schwerste ist, daß sie suchen, die Nachkommenschaft weiter zu bringen, als sie selbst gekommen sind.</p>
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[20/0020] zukünftigen bessern Zustandes fähig sind, ist die allmählige Annäherung der menschlichen Natur zu ihrem Zwecke möglich. Siehet hin und wieder doch noch mancher Große sein Volk gleichsam nur für einen Theil des Naturreiches an, und richtet also auch nur darauf sein Augenmerk, daß es fortgepflanzt werde. Höchstens verlangt man dann auch noch Geschicklichkeit, aber blos um die Unterthanen desto besser als Werkzeug zu seinen Absichten gebrauchen zu können. Privatmänner müssen freylich auch zuerst den Naturzweck vor Augen haben, aber dann auch besonders auf die Entwickelung der Menschheit und dahin sehen, daß sie nicht nur geschickt, sondern auch gesittet werde, und, welches das schwerste ist, daß sie suchen, die Nachkommenschaft weiter zu bringen, als sie selbst gekommen sind. Bey der Erziehung muß der Mensch also 1) disciplinirt werden. Discipliniren heißt suchen zu verhüten, daß die Thierheit nicht der Menschheit, in dem einzelnen sowohl, als gesellschaftlichen Menschen, zum Schaden gereiche. Disciplin ist also blos Bezähmung der Wildheit. 2) Muß der Mensch kultivirt werden. Kultur begreift unter sich die Belehrung und die Unterweisung. Sie ist die Verschaffung der Geschicklichkeit. Diese ist der Besitz eines Vermögens, welches zu allen beliebigen Zwecken zureichend ist. Sie bestimmt also gar keine Zwecke, sondern überläßt das nachher den Umständen. Einige Geschicklichkeiten sind in allen Fällen gut, z. E. das Lesen und Schreiben; andere nur zu einigen

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/20>, abgerufen am 26.04.2024.