T. VI, Fig. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.Mannigfaltigkeit in der Bauart zu beweisen, hier von noch mehrern Tempeln und Höfen die Abbildung beifügen, und damit diese Materie beschließen.
Jch mus aber doch noch eines seltsamen Baums erwähnen, den man auf dem Wege aus der Stadt nach den Tempeln am Ufer findet, wenn man über den Dam geht, durch den der Süderarm des großen Flusses neulich geschlossen wurde. Dieser Baum hat die Größe eines Apfelbaums, schmale Blätter, weite lange Aeste, an deren äußersten und dünnen Zweigen Vogelnester hiengen, welche von dünnem Grase und Zeuge sehr sin- reich geflochten waren, in der Gestalt eines Beutels mit engem langen Halse. Die Oef- nung war nach Nordwesten gerichtet, damit die Südwinde und Regen nicht eindringen kon- ten. Jch habe auf einem Baume über fünfe dieser Nester gezählt, und sie auf keinem an- dern Baum wieder angetroffen. Die Vögel waren dunkelgelblich; sie glichen einigermaßen den Canarienvögeln, und der Stimme nach den Sperlingen, deren es hier im Lande auch eine große Menge giebt. Noch bemerkte ich an dem Baume die Sonderbarkeit, daß er allent- halben viele monströse Ansätze oder ausgewachsene Knobben von verschiedener Gestalt hat- te, deren sich die Einwohner als einer Arznei bei gewissen Krankheiten zu bedienen pflegen.
Religion der Siamer.
Die Religion der Siamer ist die Lehre der Brahmanen, welche schon seit vielen Jahrhunderten unter allen Nationen vom Flus Jndus bis an die äußersten östlichen Gränzen sich verbreitet hat, außer daß am Hofe des Grosmoguls und in dessen großen Städten, auf Sumatra, Java, Celebes und andern Jnseln der Gegend die Religion Mohammeds sich eingedrungen und den Vorzug angemaßt hat. Ob nun gleich diese alge- meine heidnische Religion (zu der die nun bald verloschene Lehre der Son - und Feueranbe- tenden Perser und Chaldäer nicht gehört) nur einen und denselben Ursprung hat, so ist sie doch nach den Sprachen, Sitten und Auslegungen verschiedener Völker in verschiedene Se- cten und Meinungen getheilt.
Den ersten Lehrer ihrer Religion stellen die Siamer in ihren Tempeln als einen si- tzenden krausköpfigen Mohren vor, von ungeheurer Größe, aus Ehrerbietung verguldet, an jeder Seite mit einem seiner vornehmsten Gehülfen, und vor und neben sich mit seinen übrigen Aposteln und Jüngern umgeben, die leztern haben alle gleiche Farbe und Stellung. Jn ihm, glauben sie, nach der Lehre der Brahmanen, habe die Gotheit gewohnt, und dieses mit seinen Lehren, Leben und Offenbarungen bewiesen. Wistnu (durch welchen sie die Gotheit verstehen) sagen sie, hattte schon in vielen hundert tausend Jahren achtmal in angenommener fleischlicher Gestalt die Welt besucht, und erschien endlich zum neunten- mal in der Person dieses Caffern. Sie nennen ihn daher Prah pudi tsjau, d. i. der Heilige von hohem Stamme, -- Sammanu Khutama, d. i. den Menschen ohne Af-
fekten,
Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
T. VI, Fig. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.Mannigfaltigkeit in der Bauart zu beweiſen, hier von noch mehrern Tempeln und Hoͤfen die Abbildung beifuͤgen, und damit dieſe Materie beſchließen.
Jch mus aber doch noch eines ſeltſamen Baums erwaͤhnen, den man auf dem Wege aus der Stadt nach den Tempeln am Ufer findet, wenn man uͤber den Dam geht, durch den der Suͤderarm des großen Fluſſes neulich geſchloſſen wurde. Dieſer Baum hat die Groͤße eines Apfelbaums, ſchmale Blaͤtter, weite lange Aeſte, an deren aͤußerſten und duͤnnen Zweigen Vogelneſter hiengen, welche von duͤnnem Graſe und Zeuge ſehr ſin- reich geflochten waren, in der Geſtalt eines Beutels mit engem langen Halſe. Die Oef- nung war nach Nordweſten gerichtet, damit die Suͤdwinde und Regen nicht eindringen kon- ten. Jch habe auf einem Baume uͤber fuͤnfe dieſer Neſter gezaͤhlt, und ſie auf keinem an- dern Baum wieder angetroffen. Die Voͤgel waren dunkelgelblich; ſie glichen einigermaßen den Canarienvoͤgeln, und der Stimme nach den Sperlingen, deren es hier im Lande auch eine große Menge giebt. Noch bemerkte ich an dem Baume die Sonderbarkeit, daß er allent- halben viele monſtroͤſe Anſaͤtze oder ausgewachſene Knobben von verſchiedener Geſtalt hat- te, deren ſich die Einwohner als einer Arznei bei gewiſſen Krankheiten zu bedienen pflegen.
Religion der Siamer.
Die Religion der Siamer iſt die Lehre der Brahmanen, welche ſchon ſeit vielen Jahrhunderten unter allen Nationen vom Flus Jndus bis an die aͤußerſten oͤſtlichen Graͤnzen ſich verbreitet hat, außer daß am Hofe des Grosmoguls und in deſſen großen Staͤdten, auf Sumatra, Java, Celebes und andern Jnſeln der Gegend die Religion Mohammeds ſich eingedrungen und den Vorzug angemaßt hat. Ob nun gleich dieſe alge- meine heidniſche Religion (zu der die nun bald verloſchene Lehre der Son - und Feueranbe- tenden Perſer und Chaldaͤer nicht gehoͤrt) nur einen und denſelben Urſprung hat, ſo iſt ſie doch nach den Sprachen, Sitten und Auslegungen verſchiedener Voͤlker in verſchiedene Se- cten und Meinungen getheilt.
Den erſten Lehrer ihrer Religion ſtellen die Siamer in ihren Tempeln als einen ſi- tzenden krauskoͤpfigen Mohren vor, von ungeheurer Groͤße, aus Ehrerbietung verguldet, an jeder Seite mit einem ſeiner vornehmſten Gehuͤlfen, und vor und neben ſich mit ſeinen uͤbrigen Apoſteln und Juͤngern umgeben, die leztern haben alle gleiche Farbe und Stellung. Jn ihm, glauben ſie, nach der Lehre der Brahmanen, habe die Gotheit gewohnt, und dieſes mit ſeinen Lehren, Leben und Offenbarungen bewieſen. Wiſtnu (durch welchen ſie die Gotheit verſtehen) ſagen ſie, hattte ſchon in vielen hundert tauſend Jahren achtmal in angenommener fleiſchlicher Geſtalt die Welt beſucht, und erſchien endlich zum neunten- mal in der Perſon dieſes Caffern. Sie nennen ihn daher Prah pudi tſjau, d. i. der Heilige von hohem Stamme, — Sammanu Khutama, d. i. den Menſchen ohne Af-
fekten,
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[46/0130]
Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
Mannigfaltigkeit in der Bauart zu beweiſen, hier von noch mehrern Tempeln und Hoͤfen
die Abbildung beifuͤgen, und damit dieſe Materie beſchließen.
T. VI,
Fig. 1.
2. 3. 4.
5. 6. 7.
Jch mus aber doch noch eines ſeltſamen Baums erwaͤhnen, den man auf dem
Wege aus der Stadt nach den Tempeln am Ufer findet, wenn man uͤber den Dam geht,
durch den der Suͤderarm des großen Fluſſes neulich geſchloſſen wurde. Dieſer Baum hat
die Groͤße eines Apfelbaums, ſchmale Blaͤtter, weite lange Aeſte, an deren aͤußerſten
und duͤnnen Zweigen Vogelneſter hiengen, welche von duͤnnem Graſe und Zeuge ſehr ſin-
reich geflochten waren, in der Geſtalt eines Beutels mit engem langen Halſe. Die Oef-
nung war nach Nordweſten gerichtet, damit die Suͤdwinde und Regen nicht eindringen kon-
ten. Jch habe auf einem Baume uͤber fuͤnfe dieſer Neſter gezaͤhlt, und ſie auf keinem an-
dern Baum wieder angetroffen. Die Voͤgel waren dunkelgelblich; ſie glichen einigermaßen den
Canarienvoͤgeln, und der Stimme nach den Sperlingen, deren es hier im Lande auch eine
große Menge giebt. Noch bemerkte ich an dem Baume die Sonderbarkeit, daß er allent-
halben viele monſtroͤſe Anſaͤtze oder ausgewachſene Knobben von verſchiedener Geſtalt hat-
te, deren ſich die Einwohner als einer Arznei bei gewiſſen Krankheiten zu bedienen
pflegen.
Religion der Siamer.
Die Religion der Siamer iſt die Lehre der Brahmanen, welche ſchon ſeit vielen
Jahrhunderten unter allen Nationen vom Flus Jndus bis an die aͤußerſten oͤſtlichen
Graͤnzen ſich verbreitet hat, außer daß am Hofe des Grosmoguls und in deſſen großen
Staͤdten, auf Sumatra, Java, Celebes und andern Jnſeln der Gegend die Religion
Mohammeds ſich eingedrungen und den Vorzug angemaßt hat. Ob nun gleich dieſe alge-
meine heidniſche Religion (zu der die nun bald verloſchene Lehre der Son - und Feueranbe-
tenden Perſer und Chaldaͤer nicht gehoͤrt) nur einen und denſelben Urſprung hat, ſo iſt ſie
doch nach den Sprachen, Sitten und Auslegungen verſchiedener Voͤlker in verſchiedene Se-
cten und Meinungen getheilt.
Den erſten Lehrer ihrer Religion ſtellen die Siamer in ihren Tempeln als einen ſi-
tzenden krauskoͤpfigen Mohren vor, von ungeheurer Groͤße, aus Ehrerbietung verguldet,
an jeder Seite mit einem ſeiner vornehmſten Gehuͤlfen, und vor und neben ſich mit ſeinen
uͤbrigen Apoſteln und Juͤngern umgeben, die leztern haben alle gleiche Farbe und Stellung.
Jn ihm, glauben ſie, nach der Lehre der Brahmanen, habe die Gotheit gewohnt, und
dieſes mit ſeinen Lehren, Leben und Offenbarungen bewieſen. Wiſtnu (durch welchen
ſie die Gotheit verſtehen) ſagen ſie, hattte ſchon in vielen hundert tauſend Jahren achtmal
in angenommener fleiſchlicher Geſtalt die Welt beſucht, und erſchien endlich zum neunten-
mal in der Perſon dieſes Caffern. Sie nennen ihn daher Prah pudi tſjau, d. i. der
Heilige von hohem Stamme, — Sammanu Khutama, d. i. den Menſchen ohne Af-
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/130>, abgerufen am 04.03.2025.
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