Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite
Mercur und Argos.
Mercur und Argos.

Zwischen den Fenstern des Spiegelsaals befand sich diess
Bild als Pendant zu Apollo und Marsyas 1). Beides beliebte
Stoffe, als klassische Mordgeschichten, und wegen der allego-
rischen Ausgiebigkeit. Lope im "Pilger" führt uns im Kerker
von Barcelona zu einem vornehmen Gefangenen, der sich damit
tröstet, die Wände der Zelle mit Sinnbildern seiner Schicksale
(hieroglyphicos) zu bedecken. Neben Orpheus und Sisyphus sieht
man auch unsre Scene, sie bedeutet nach dem Epigramm des
Vespasiano Estroza:
Amor sutil al mas zeloso enganna.

Im ersten Zimmer der königlichen Sommerwohnung war
der Apoll mit Marsyas von Spagnoletto, gemalt im Jahr
seiner Aufnahme in die römische Akademie (1630). Dieses
Henkerstück war von jeher (Dante und Raphael!) Poeten und
Malern theuer als Emblem der Intoleranz aller wahren Diener
der Kunst gegen Mittelmässigkeit und Plattheit.

In der Torre de la parada war auch ein Rubens, eine schöne
abendliche Waldlandschaft, wo der Wächter, sitzend entschlum-
mert, den Hals recht bequem der Operation darbietet, -- eine
banale Anpassung vielgebrauchter Attituden. Velazquez hat
auch bei diesem leichten Füllbild gedacht und nicht eher zum
Pinsel gegriffen, bis er die Geschichte geschaut hatte. So ent-
stand ein unheimliches Dämmerungsstück: der Abendhimmel, von
schweren eisengrauen Wolken bedeckt, sendet noch einige Streif-
lichter auf die silhouettenartig aus dunklem Boden hervorragen-
den Gestalten. Wie der Indianer der Prärie schleicht Mercur
auf Knien und Händen heran, in der aufgestützten Rechten
das blosse Schwert, sein Opfer umkreisend; soeben den Kopf
nach links wendend, bekommt er den Hüter der Io zu Gesicht,
ein Bild plötzlich-unwiderstehlicher Ueberwältigung durch den
Schlaf. Es scheint fast, dass ihm die Statue des sterbenden
Fechters in der Villa Ludovisi vorgeschwebt hat, welche er
dort für den Palast hatte abformen lassen. Die Figur des Kuh-
diebs mit dem Flügelhut zeichnet sich ab auf dem weissen Schein

1) Otros dos quadros yguales de entrebentanas de a 3 varas de ancho y
vara de alto de dos fabulas, la una de Apolo desollando a un Satiro; y la otra de
Mercurio y Argos con una Baca; ambos originales de Belazquez, tasados a cien
doblones cada uno. Inventar von 1666. Grösse 1,27 x 2,48.
Mercur und Argos.
Mercur und Argos.

Zwischen den Fenstern des Spiegelsaals befand sich diess
Bild als Pendant zu Apollo und Marsyas 1). Beides beliebte
Stoffe, als klassische Mordgeschichten, und wegen der allego-
rischen Ausgiebigkeit. Lope im „Pilger“ führt uns im Kerker
von Barcelona zu einem vornehmen Gefangenen, der sich damit
tröstet, die Wände der Zelle mit Sinnbildern seiner Schicksale
(hieroglyphicos) zu bedecken. Neben Orpheus und Sisyphus sieht
man auch unsre Scene, sie bedeutet nach dem Epigramm des
Vespasiano Estroza:
Amor sutil al mas zeloso engaña.

Im ersten Zimmer der königlichen Sommerwohnung war
der Apoll mit Marsyas von Spagnoletto, gemalt im Jahr
seiner Aufnahme in die römische Akademie (1630). Dieses
Henkerstück war von jeher (Dante und Raphael!) Poeten und
Malern theuer als Emblem der Intoleranz aller wahren Diener
der Kunst gegen Mittelmässigkeit und Plattheit.

In der Torre de la parada war auch ein Rubens, eine schöne
abendliche Waldlandschaft, wo der Wächter, sitzend entschlum-
mert, den Hals recht bequem der Operation darbietet, — eine
banale Anpassung vielgebrauchter Attituden. Velazquez hat
auch bei diesem leichten Füllbild gedacht und nicht eher zum
Pinsel gegriffen, bis er die Geschichte geschaut hatte. So ent-
stand ein unheimliches Dämmerungsstück: der Abendhimmel, von
schweren eisengrauen Wolken bedeckt, sendet noch einige Streif-
lichter auf die silhouettenartig aus dunklem Boden hervorragen-
den Gestalten. Wie der Indianer der Prärie schleicht Mercur
auf Knien und Händen heran, in der aufgestützten Rechten
das blosse Schwert, sein Opfer umkreisend; soeben den Kopf
nach links wendend, bekommt er den Hüter der Io zu Gesicht,
ein Bild plötzlich-unwiderstehlicher Ueberwältigung durch den
Schlaf. Es scheint fast, dass ihm die Statue des sterbenden
Fechters in der Villa Ludovisi vorgeschwebt hat, welche er
dort für den Palast hatte abformen lassen. Die Figur des Kuh-
diebs mit dem Flügelhut zeichnet sich ab auf dem weissen Schein

1) Otros dos quadros yguales de entrebentanas de á 3 varas de ancho y
vara de alto de dos fabulas, la una de Apolo desollando á un Satiro; y la otra de
Mercurio y Argos con una Baca; ambos originales de Belazquez, tasados á cien
doblones cada uno. Inventar von 1666. Grösse 1,27 × 2,48.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0391" n="367"/>
          <fw place="top" type="header">Mercur und Argos.</fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Mercur und Argos.</hi> </head><lb/>
            <p>Zwischen den Fenstern des Spiegelsaals befand sich diess<lb/>
Bild als Pendant zu Apollo und Marsyas <note place="foot" n="1)">Otros dos quadros yguales de entrebentanas de á 3 varas de ancho y<lb/>
vara de alto de dos fabulas, la una de Apolo desollando á un Satiro; y la otra de<lb/>
Mercurio y Argos con una Baca; ambos originales de Belazquez, tasados á cien<lb/>
doblones cada uno. Inventar von 1666. Grösse 1,27 × 2,48.</note>. Beides beliebte<lb/>
Stoffe, als klassische Mordgeschichten, und wegen der allego-<lb/>
rischen Ausgiebigkeit. Lope im &#x201E;Pilger&#x201C; führt uns im Kerker<lb/>
von Barcelona zu einem vornehmen Gefangenen, der sich damit<lb/>
tröstet, die Wände der Zelle mit Sinnbildern seiner Schicksale<lb/>
(<hi rendition="#i">hieroglyphicos</hi>) zu bedecken. Neben Orpheus und Sisyphus sieht<lb/>
man auch unsre Scene, sie bedeutet nach dem Epigramm des<lb/>
Vespasiano Estroza:<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#i">Amor sutil al mas zeloso engaña</hi>.</hi></p><lb/>
            <p>Im ersten Zimmer der königlichen Sommerwohnung war<lb/>
der Apoll mit Marsyas von Spagnoletto, gemalt im Jahr<lb/>
seiner Aufnahme in die römische Akademie (1630). Dieses<lb/>
Henkerstück war von jeher (Dante und Raphael!) Poeten und<lb/>
Malern theuer als Emblem der Intoleranz aller wahren Diener<lb/>
der Kunst gegen Mittelmässigkeit und Plattheit.</p><lb/>
            <p>In der Torre de la parada war auch ein Rubens, eine schöne<lb/>
abendliche Waldlandschaft, wo der Wächter, sitzend entschlum-<lb/>
mert, den Hals recht bequem der Operation darbietet, &#x2014; eine<lb/>
banale Anpassung vielgebrauchter Attituden. Velazquez hat<lb/>
auch bei diesem leichten Füllbild gedacht und nicht eher zum<lb/>
Pinsel gegriffen, bis er die Geschichte geschaut hatte. So ent-<lb/>
stand ein unheimliches Dämmerungsstück: der Abendhimmel, von<lb/>
schweren eisengrauen Wolken bedeckt, sendet noch einige Streif-<lb/>
lichter auf die silhouettenartig aus dunklem Boden hervorragen-<lb/>
den Gestalten. Wie der Indianer der Prärie schleicht Mercur<lb/>
auf Knien und Händen heran, in der aufgestützten Rechten<lb/>
das blosse Schwert, sein Opfer umkreisend; soeben den Kopf<lb/>
nach links wendend, bekommt er den Hüter der Io zu Gesicht,<lb/>
ein Bild plötzlich-unwiderstehlicher Ueberwältigung durch den<lb/>
Schlaf. Es scheint fast, dass ihm die Statue des sterbenden<lb/>
Fechters in der Villa Ludovisi vorgeschwebt hat, welche er<lb/>
dort für den Palast hatte abformen lassen. Die Figur des Kuh-<lb/>
diebs mit dem Flügelhut zeichnet sich ab auf dem weissen Schein<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[367/0391] Mercur und Argos. Mercur und Argos. Zwischen den Fenstern des Spiegelsaals befand sich diess Bild als Pendant zu Apollo und Marsyas 1). Beides beliebte Stoffe, als klassische Mordgeschichten, und wegen der allego- rischen Ausgiebigkeit. Lope im „Pilger“ führt uns im Kerker von Barcelona zu einem vornehmen Gefangenen, der sich damit tröstet, die Wände der Zelle mit Sinnbildern seiner Schicksale (hieroglyphicos) zu bedecken. Neben Orpheus und Sisyphus sieht man auch unsre Scene, sie bedeutet nach dem Epigramm des Vespasiano Estroza: Amor sutil al mas zeloso engaña. Im ersten Zimmer der königlichen Sommerwohnung war der Apoll mit Marsyas von Spagnoletto, gemalt im Jahr seiner Aufnahme in die römische Akademie (1630). Dieses Henkerstück war von jeher (Dante und Raphael!) Poeten und Malern theuer als Emblem der Intoleranz aller wahren Diener der Kunst gegen Mittelmässigkeit und Plattheit. In der Torre de la parada war auch ein Rubens, eine schöne abendliche Waldlandschaft, wo der Wächter, sitzend entschlum- mert, den Hals recht bequem der Operation darbietet, — eine banale Anpassung vielgebrauchter Attituden. Velazquez hat auch bei diesem leichten Füllbild gedacht und nicht eher zum Pinsel gegriffen, bis er die Geschichte geschaut hatte. So ent- stand ein unheimliches Dämmerungsstück: der Abendhimmel, von schweren eisengrauen Wolken bedeckt, sendet noch einige Streif- lichter auf die silhouettenartig aus dunklem Boden hervorragen- den Gestalten. Wie der Indianer der Prärie schleicht Mercur auf Knien und Händen heran, in der aufgestützten Rechten das blosse Schwert, sein Opfer umkreisend; soeben den Kopf nach links wendend, bekommt er den Hüter der Io zu Gesicht, ein Bild plötzlich-unwiderstehlicher Ueberwältigung durch den Schlaf. Es scheint fast, dass ihm die Statue des sterbenden Fechters in der Villa Ludovisi vorgeschwebt hat, welche er dort für den Palast hatte abformen lassen. Die Figur des Kuh- diebs mit dem Flügelhut zeichnet sich ab auf dem weissen Schein 1) Otros dos quadros yguales de entrebentanas de á 3 varas de ancho y vara de alto de dos fabulas, la una de Apolo desollando á un Satiro; y la otra de Mercurio y Argos con una Baca; ambos originales de Belazquez, tasados á cien doblones cada uno. Inventar von 1666. Grösse 1,27 × 2,48.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/391
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/391>, abgerufen am 21.11.2024.